Vom Frühling beseelt, jeden Tag aufs Neue

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Kurt Binder
schrieb am 03.03.2024, 08:03 Uhr
Hallo Nimrod,

danke für die „Doktorarbeit“! Hab während des Schreibens ständig Käse gefuttert, damit der würzige Ideen-Strang nicht abreißt!
Es freut mich, dass Dir auch meine „ungereimten“ Beiträge geschmeckt haben ;-)) ! Die ordnen sich doch prima in unsre Quatschspalte ein – also werde ich sie auch künftig das ‚Licht des Forums’ erblicken lassen ;-)) !
Ein Klagelied auf das prophezeite Ende des Königs Camenbert wäre unehrlich, weil ich, wie gesagt die Stinker vorziehe. Ich werde mir aber Deine Anregung trotzdem noch überlegen, doch lasse ich sie erstmal gründlich reifen – eben wie einen guten Käse ;-)) !
Oder – versuchst Du es?

Gruß Kurt
Kurt Binder
schrieb am 14.03.2024, 12:19 Uhr
Drückeberger*

Gründlichen Recherchen zufolge scheint es sich hierbei um einen Begriff zu handeln, der mehr beeinhaltet, als er meinen will.
Da ist also ein gewisser Herr Berger, der gerne drückt. Und schon stehen wir verblüfft und ratlos wie Herakles am Scheideweg vor einer weiteren Form dieses Grundkonfliktes des Menschen. Zum Glück aber – es sei lobend erwähnt, bleibt unsre Entscheidung auf der Ebene einer passiven Meinungsäußerung, ohne einschneidende, die Zukunft der Menschheit gefährdende Folgen!
Unsre Pirsch nach der, hier semantisch raffiniert getarnten Wahrheit beginnen wir logischerweise mit der Frage:
Drückt Herr Berger sich, oder drückt er andere?

In der reflexiven Form dieses Verhaltens, wenn er sich also vor etwas drückt, sollten wir ihn darob nicht grundsätzlich verurteilen, oder gar Feigheit unterstellen, denn damit würden wir „Drückeberger“ zu einem gefährlichen Reizwort stilisieren – was es nicht verdient! Es ist einfach eine defensive Maßnahme, die Herr Berger aufgrund seiner Ratio der Akzeptanz einer offensichtlich aussichtslosen Situation vorzieht.
Es wäre also verständlich, wenn er sich sogar in materieller Not vor einem Job als Toilettenreiniger, als Löwenbändiger im Zirkus, oder gar vor seiner lebenslänglichen Verbannung in ein Straflager nach Sibirien drücken würde!
So sei einem wackeren Mann dieser, moralisch sicher diskutierbare Fluchtweg vor drohendem Versagen gelegentlich zugestanden. Und das, egal ob er sich vor dem Galgen, oder vor Alimente drückt!

Die aktive Form Herrn Bergers Drückbedürfnisses, nämlich wen oder was er, vom Frühling beseelt im Sinne der Polykolore wo, wann, warum, wieso, weshalb, wohin und wie lange drückt – nun, das würde (erstens) jeweils speziel profilierte anatomische und pychologische Einblicke erfordern, und uns in Folge nötigen, indiskrete Blicke auf sein wahres Appetenzverhalten zu werfen! Also - das wäre fürwahr ein Starker Tobak, dem wir mit einem einzigen, aber umweltschonenden, schlagkräftigen Argument mit gemeinsamen Kopfschütteln entschieden die Immigration in diese rätselhafte Scharade kategorisch verweigern:
Das geht uns (zweitens) überhaubt gar nix an!

*) Diese Auseinandersetzung erhebt keinen Anspruch darauf, eine Dissertation zu werden!
Kurt Binder
schrieb am 22.03.2024, 06:37 Uhr
Kollisionskurs 1

Nachdem der Herr den Menschen geschaffen hatte, herrschte anfangs, da es ja mit dem Prototyp namens Adam nur einer war, die schönste Eintracht zwischen ihm. Als es dann mit der Konstruktion der Eva zwei wurden, stellte sich sogleich die Zwietracht ein. Trotzdem fügten sich die beiden je nach Lust und Migräne der göttlichen Order, fruchtbar zu sein und sich sofort zu vermehren, und schafften es so bis heute, unsren gepeinigten Planeten mit mehr als acht Milliarden Epigonen zu populieren und zurück in das Chaos zu führen.
Evident, dass mit der Bevölkerungsdichte auch die Aggressionsbereitschaft zugenommen hatte, weil die Menschen mehr und mehr zusammenrücken mussten. So wandelte sich die Tuchfühlung, ehemals eine Geste der Zusammengehörigkeit und der Freundschaft, langsam aber stetig zum potentiellen Tatmotiv. Man wich sich aus, wo man nur konnte, vermied es, sich anzusehen oder gar zu berühren, und sprach sich nur an, wenn es absolut nötig war. Der Abwehrinstinkt hatte in den Menschen einen Stellenwert belegt, der höher gelagert war als der Wunsch nach Kontakt und Kommunikation, und der so das Überleben des Individuums in seiner gefühlskalten, Ich-bezogenen sozialen Umgebung bis heute zwangsläufig gesichert hat.
Nun, das klingt gewiss etwas unglaubwürdig, doch beweise ich anhand eines Experiments, dass ich mit meiner These in dieser evolutionär betrachteten Kurzdarstellung richtig liege!
Für diesen Test wählen wir zwei junge Männer aus Bummelstadt aus, die wir Klaus und Dieter nennen wollen. Klaus bewohnt ein Reihenhaus in einem südlich vom Stadtzentrum gelegenen Wohnviertel, und Dieter logiert in einem Hochhaus im Norden der Stadt. Beide verlassen fast gleichzeitig ihre Wohnung, um beim im Zentrum gelegenen ALDI einzukaufen.
Da heute ein schöner Frühlingstag ist, wandern beide Versuchssubjekte davon beseelt zu Fuß. Klaus marschiert zügig durch die Hauptstraße nordwärts, während Dieter im gleichen Tempo in südlicher Richtung schreitet. Für einen außerirdischen Beobachter bewegen sie sich natürlich nicht genau auf einer Linie, sondern durch die im wirren Zickzack angelegten Straßen und Gassen. Mal wendet sich Klaus nach links, Dieter nach rechts, dann wieder kurzfristig aufeinander zu, dann wieder ab - und so weiter. Um zu dem Kaufhaus zu gelangen, müssen sie beide kurz davor erst an einem Punkt ankommen, wo sich beide Straßen neben einer alten Kirche vereinigen. Von da an führt ein gemeinsamer Weg zum ALDI. Seien wir also gespannt, was geschehen wird, wenn beide gleichzeitig an diesem Punkt ankommen. Hier müsste das passieren, was dieses Experiment demonstrieren will. Noch stimmt das von uns angenommene Timing genau. Trotz aller Windungen und Hakenschlagen der Gassen befinden sich die beiden Jungen haargenau auf Kollisionskurs und müssten, bei dem Marschtempo um dieselbe Ecke schießend, hart zusammenstoßen. In solchen Fällen schwerer Kollision ist Aggression vorprogrammiert!

Teil 2 folgt morgen zwischen 6:27 und 7:13 Uhr MEZ
Kurt Binder
schrieb am 23.03.2024, 06:42 Uhr
Kollisionskurs 2

Doch halt - Klaus bleibt stehen und wühlt suchend in seinen Taschen. Der Zeitplan scheint in Gefahr zu sein, denn ein Verzug von einem Bruchteil einer Sekunde würde die Karambolage verhindern. Nach mehreren Sekunden holt er endlich zufrieden nickend den Einkaufszettel aus der Hosentasche und geht weiter. Sein Schritt hat sich etwas verlangsamt, so dass unser Experiment ernstlich in Gefahr ist. Beide befinden sich nur noch etwa 200 Meter von der Kreuzung entfernt, an der sie sich treffen müssten.
Doch nun bleibt auch Dieter stehen. Er greift verärgert in alle Taschen, schaut sich um, dann auf den Boden. Er ist sehr beunruhigt, dann aber zieht er aus dem Einkaufsbeutel die Brieftasche heraus, von der er angenommen hatte, sie zuhause vergessen zu haben - und geht weiter. Es grenzt an ein Wunder, aber - wir sind wieder im Zeitplan.
Klaus und Dieter nähern sich unaufhaltsam mehr und mehr dem kritischen Punkt. Zwar muss Klaus an einer Kreuzung zwei Autos vorüberfahren lassen, was in 12 Sekunden kostet, aber gleichzeitig hebt Dieter einer alten Dame den Regenschirm vom Boden auf, der ihr aus der Hand gefallen war.
Nun sind sie noch knapp hundert Meter voneinander entfernt. Sie können sich nicht sehen, weil die Straßen nun in einem stumpfen Winkel zu jenem Punkt zusammenlaufen, wo die Kollision stattfinden müsste.
Und wieder bleibt Klaus stehen, holt aus seiner Brusttasche eine Sonnenbrille heraus, putzt sie mit einem Papiertaschentuch und setzt sie auf die Nase. Die ganze Prozedur hat eine Minute gekostet. Doch wie vorauszusehen war, hält auch Dieter vor einer Eisdiele an und kauft sich ein großes Waffeleis. Dann geht er daran leckend weiter. Zeitverlust - eine Minute!
Jetzt haben sich beide auf etwa 15 Meter der Straßenecke genähert, an der wir den Crash erwarten. Die Zeit verläuft wieder synchron, und unsre Jungs marschieren mit gleicher Schrittlänge zielstrebig aufeinander zu. Für eine weitere Verzögerung ist kein Hindernis mehr vorgesehn, so dass sie nach 10 ... 9 ... 8 Metern unweigerlich zusammenprallen müssen!
Der Countdown läuft weiter ... jetzt nur noch 4 Meter ... 3 ... 2 ... 1 ... beide befinden sich jetzt unmittelbar vor der Ecke ... noch 0,5 Meter ... jetzt 0 Meter - und da passierts - Klaus prallt mit voller Wucht auf Dieter, dieser ebenso heftig auf Klaus, Dieters Waffeleis zerschellt auf Klaus’ Hemdenbrust, dessen Sonnenbrille klappert auf den Boden und zerbricht, sie starren sich wütend an, heben die rechte Hand - Achtung, jetzt gehts los - und rufen freudig überrascht:
„Hallo, Bruderherz, lange nicht mehr gesehen - wie gehts denn so?“

Mist - da hab ich für das Experiment offensichtlich die falschen Versuchskarnickel ausgesucht!
Kurt Binder
schrieb am 28.03.2024, 12:25 Uhr
Hallo, liebe Forum-Freunde,

ich wünsche euch allen recht angenehme Feiertage, mit vielen Roten Ostereiern, Eierlikör, Eierspeis, Kuchen, Bespritzern, nebst allem, was vom Frühling beseelt unsre Forum-Begeisterung aufrecht erhält.
Der Osterhase sei mit euch !

Herzlichst
Kurt H. Binder
Nimrod
schrieb am 28.03.2024, 14:33 Uhr (am 28.03.2024, 14:35 Uhr geändert).
Lieber Kurt,

vielen Dank für alle guten Wünsche. Auch dir möge Ostern ein Fest der Freude, an deinen Lieben und an der Natur sein. Ich wünsche dir viele, weichgekochte (um sie leichter beißen zu können) in Leuchtfarben (um sie auch alle zu finden) bemalte Ostereier, möglichst alle nahe beieinander (um mit dem Suchen nicht zu viele Wege zu gehen). Dazu all das andere, was dir mit Ostern als liebenswertem Familienfest gut tut. Der übrigen Leser-und Schreiberschaft ebenso, frohe und geruhsame Osterfeiertage und auch viele bunte Eier - Euer Nimrod
Maikind
schrieb am 30.03.2024, 07:06 Uhr (am 30.03.2024, 07:11 Uhr geändert).
herzliche Ostergrüße an Alle
ganz besonders an dich,
lieber Kurt!
ich wünsche

den sonnigen, aufgehenden Frühling in unsere Herzen
die Fröhlichkeit und Unbeschwertheit der Vögel in unsere Gemüter
und
dass die Machthabenden dieser heutigen Zeit sich auf ihren inneren, kindlichen wie göttlichen Kern besinnen, der nichts weiteres benötigt als in Liebe und Frieden wachsen zu können.
Kurt Binder
schrieb am 19.04.2024, 11:19 Uhr
„Der Sinn des Lebens“

Neulich spazierte ich morgens, vom Regen beseelt und total unbedarft über die klatschnasse Au. Wie aus dem Nichts hüpfte plötzlich eine Kröte aus dem Sumpf über meinen Pfad, glotzte mich aus ihren Glotzaugen anzüglich an, und quakte:
“Küss mich – ich bin ein verwunschener Schöner Prinz!“ Ich lächelte nur mitleidig.
“Sorry, liebe Kröte“, antwortete ich auf Krötisch, „aber wie du siehst, bin ich ein Mann, und steh folglich nicht auf Schöne Prinzen!“ Die Kleine blickte verduzt drein.
“Mist“, quakte sie dann verlegen, „da hab ich wohl das Drehbuch verwechselt!“ Sie griff in ihre Handtasche, holte ein grünes Heft hervor, und schlug es auf.
„Aaha - du hast Recht, also nochmals: Küss mich, ich bin eine verwunschene Prinzessin!“
“Klingt schon besser, doch was fang ich bloß mit einer Prinzessin an? Wer weiß, welche Ansprüche die an unser Eheleben stellt – das kann ich mir bei meiner Rente sicher nicht leisten!“ Die Kröte verzog ihr großes Maul, schnappte flink nach einer Fliege, und fragte skeptisch:
“Was – du bist also schon Rentner? Warte mal – ich glaube da habe ich etwas besseres für dich!“ Sie holte aus ihrer Umhängetasche ein graues Heft hervor, und quakte:
“Küss mich – ich bin eine rüstige, reiche Rentnerin!“ Das klang schon wesentlich verlockender, und ich neigte mich in dem Bewusstsein, dass Wohlstand Opfer erfordere zu ihr hinab, und berührte ihr Maul flüchtig mit den Lippen.
“Waas – das soll ein Kuss sein?“, unmutete sie mich enttäuscht an. „Das nehmen meine Rüstige-Rentnerin-Genen überhaupt nichr zur Kenntnis! Also los – noch einmal, und bitte etwas professioneller!“
Ich beugte mich erneut über die Amphibie, unterdrückte mühsam die zunehmende Abneigung - und drückte ihr, kurz bevor mein rebellierender Magen sein Veto einlegen konnte, einen dicken Schmatz auf.
Im selben Augenblick hockte vor mir, in ziemlich greifbarer Nähe – eine Riesenkröte, die mich verliebt anklimperte. Als sie mein Entsetzen bemerkte, unkte sie verlegen:
“Tut mir Leid; ich wollte dich nicht erschrecken, aber ich bin eine Wechselkröte, und muss leider durch diese metamorphischen Zwischenstadien hindurchgehen. Doch wenn du mich jetzt noch einmal küsst, steht dein Traum wie gewünscht vor dir; ich heiße übrigens Julia!“
Leute, im Hinblick auf eine schöne Prinzessin, oder auf eine reiche Rentnerin ein Krötenmaul zu küssen, kann man umter Umständen gerade noch überleben. Wenn aber diese Kröte - so groß wie man selbst vor dir hockt (ich bin 170 hoch), und wenn sie vorher 5cm klein war, dann blickst du jetzt auf Lefzen, die einem ausgewachsenen Kamel Ehre machen würden! Und panisch gellte mein Schrei durch die Morgenstille:
„Hiiil ... feee!“ – und ich rannte entsetzt von dannen. Doch Julia war mit einem einzigen Sprung über mir, drückte mich liebevoll in den Schlamm, und raunte:
“Wenn du mich jetzt ein letztes Mal küsst, werde ich wieder eine kleine Kröte – und wir gehen beide, wie anfangs unverändert unsrer Wege!“ Angesichts eines glimpflichen Endes dieses Alptraums ließ ich alle meine sinnlichen Wahrnehmungen auf ein Minimum schrumpfen, schloss die Augen - und beschmatzte Julia mit beispielloser Todesverachtung.
Doch wie staunte ich, als ich feststellte, dass ich dabei keinen Abscheu, sonder – erotische Schauer und beglückendes Wohlbefinden empfand. Auch hatte sich die Natur um mich herum merkwürdig verändert. Das Gras stand übermannsgroß um mich herum wie riesige, spitze Schwerter, und die Regentropfen waren so groß wie reife Kirschen.
“Danke dir, mein Romeo!“, hauchte Julia – und dann hüpften wir beide Seite an Seite in den Sumpf, unter das Blatt einer Seerose, um den Fortbestand unsrer gefährdeten Art zu sichern.


P.S. Shakespeare möge mir verzeihen, dass ich dem wohl berühmtesten Liebespaar aller Zeiten, nach einer surrealen Evolution meiner Darsteller dennoch eine befriedigende Zukunft angedichtet habe!
Kurt Binder
schrieb am 18.05.2024, 09:37 Uhr
Kaiser-Duell (1/2) Teil 1
Der Kampf der Titanen

Julius war niedergeschlagen. Nicht im Ring, sondern moralisch. Er war Versicherungsvertreter und hatte seit Tagen kein Opfer mehr auf den Leim - sprich „auf die Police“ locken können. So streifte er heute am frühen Morgen schon ziellos durch den im warmen Frühlingswind aufblühenden Park, und dachte mit Grausen an die wahrscheinlich unausbleiblichen Folgen seines Versagens: Mahnungen, Gehaltskürzung, Imageverlust usw.
Plötzlich stockte sein Schritt, und sein Auge begann zu wetterleuchten. Nicht weit von ihm lümmelte, auf einer Bank zusammengesackt ein Individuum. Es schien eingeschlafen zu sein, denn seine Rechte hing schlaff hinunter und auf der Erde glimmte noch eine halbe Zigarre. Neben ihm auf der Bank lag, etwas zerknüllt, eine alte Aktentasche.
„Aha“, dachte Julius, und musterte mit geübtem Auge die Gestalt, die einen etwas vergammelten Eindruck machte. „Der scheint mir ziemlich lebensmde zu sein. Na, dann wollen wir mal!“ Er setzte sein gewinnendes Lächeln auf und trat mit ein paar raschen Schritten zur Bank hin. Dies Lächeln hatte er tausendmal vor dem Spiegel geprobt und hatte es zu einer derartigen Vollendung gebracht, dass er sich sogar selbst versichert hatte.
„Guten Abend!“, grüßte er laut. Die Gestalt zuckte zusammen, richtete sich auf und sagte etwas verlegen:
„Ich muss wohl kurz eingeschlafen sein.“ Julius nickte ihm aufmunternd zu.
„Ist doch erlaubt?“, fragte er und setzte sich gleich neben das Individuum. Dieses rückte höflich zur Seite. Beide schwiegen eine Weile. Julius kramte in seiner Gedächtniskiste und versuchte den Nachbarn einzuordnen.
Versicherungsvertreter, wie auch manche andere Vertreter, teilen die Menschen in Kategorien ein. Jede Kategorie erfordert eine bestimmte Vorgehensweise, die von Fall zu Fall, je nach Charakter oder Gemüt des zu Bekehrenden, mit entsprechend flexibler Nuancierung angewandt wird. Einer von den Brüdern erklärte mir einmal mit überzeugend sein wollender Miene, dass dazu ein langjähriges tiefenpsychologisches Studium nötig sei. Ich hingegen meine, dass ein gesunder Menschenverstand und etwas Einfühlungsvermögen ausreichen sollte.
„Also am besten gerade drauf los!“, dachte Julius und begann mit der banalsten, abgedroschensten Anbiederungsfloskel:
„Ist doch ein herrliches Frühlingswetter heute, nicht wahr?“ Das Wetter war seit eh und je der beliebteste und wirksamste Vorwand, um eine Beziehung aufzunehmen. Es konnte von beiden Teilen gleichzeitig wahrgenommen, und somit bestätigt oder kommentiert werden. Hätte Julius erzählt, dass seine Tante Sidonie gerne Ziegenkäse
äße, so hätte das keinen Menschen aus den Socken gerissen. Außerdem forderte das „nicht wahr?“ eine klare Antwort heraus, denn der Hauptsatz allein wäre ja nur eine subjektive Feststellung gewesen, die nicht unbedingt einer Antwort bedurfte. Der Mann neben ihm schien das zu wissen, denn er antwortete gedankenvoll:
„Ja, ja, es ist eine wahre Lust zu leben.“
„Donnerwetter“, dachte Julius, „der Kerl hat mir in seiner Naivität selbst das Stichwort gegeben.“ Der Mann hob die Zigarre von dem Boden auf und sog daran.
„Brennt noch.“, stellte er lakonisch fest. Julius war überzeugter Nichtraucher. Doch als nun der schwere Qualm in seine Augen drang, rückte er keinen Zentimeter zur Seite.
„Nicht wahr.“, hakte er sofort ein. „Und wie wenige verstehen es, ihrem Leben auch nur das abzuringen, was es ihnen freizügig bietet.“ Sein Nachbar nickte zustimmend.
„Ihrem kurzen Leben, wollten Sie wohl sagen“, ergänzte er Julius’ pseudophilosophische Betrachtung.

Teil 2 folgt morgen

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