Warum sind wir hier?

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OREX
schrieb am 30.03.2014, 18:49 Uhr
Warum sind wir hier? Über die Frage, warum wir unsere alte Heimat Siebenbürgen verließen und heute hier in der Bundesrepublik Deutschland leben, wurde in der letzten Zeit oft kontrovers diskutiert. Ich werde an dieser Stelle versuchen, die Frage, warum wir aus Siebenbürgen ausgewandert sind, zu beantworten, indem ich ein paar historische Fakten erwähne, ohne dabei ins Detail zu gehen. Unsere Vorfahren kamen in der Mitte des 12. Jahrhunderts, als friedliche deutsche Siedler, auf Einladung des ungarischen Königs Geysa II. und ließen sich im Land jenseits der Wälder (terra transsilvana) nieder. Also wohlgemerkt, sie wurden eingeladen, waren quasi Gäste, und wie man es von wohlerzogenen Gästen auch erwarten kann, dachten sie, den Platz zu räumen und nach 850 Jahren „heim“ ins Mutterland zu ziehen. Aber Spaß beiseite. Durch ihren Fleiß, ihr straff organisiertes Gemeinwesen und die gewollte Isolation (bis hinein in die Neuzeit) von den anderen in Siebenbürgen lebenden Nationalitäten, gelangten sie zu einem gewissen Wohlstand. Doch Wohlstand, und wäre er noch so bescheiden, erzeugt Neider. Wie oft schützten sie sich vor Angreifern durch Rückzug in die selbstgebauten Kirchen- oder Bauernburgen, oder hinter die Schutzmauern der Städte. Manchmal mussten sie sich sogar auf offenem Felde dem Feinde stellen. Nicht zu vergessen sind die Kämpfe für unsere Rechte, ausgetragen von unseren Vertretern, auf diplomatischem Parket mit den jeweiligen Bürokratien in den Hauptstädten Budapest, Istanbul, Wien und Bukarest. Eine wichtige Rolle im Leben unseres Volkes hat die Kirche gespielt. Die Siebenbürger Sachsen waren, da sie aus Westeuropa stammten, anfangs auch katholisch, traten dann aber geschlossen und friedlich im Jahre 1547 dem evangelischen Glauben bei. Reformator war Johannes Honterus, Humanist und Kronstädter Pfarrer, Zeitgenosse von Martin Luther. Mit dem Übertritt zum evangelischen Glauben, ist Honterus ein guter Schachzug gelungen, denn nun war unsere Kirche nicht mehr an Weisungen der herrschenden katholischen (sprich: ungarischen) Kirche gebunden. Bis in die 1990er Jahre waren in Siebenbürgen „deutsch“ und „evangelisch“ sprachlich gleichgesetzt. In Stolzenburg wird schon 1394 urkundlich eine Schule erwähnt. Im Jahre 1722 wird die allgemeine Schulpflicht für Jungen und Mädchen eingeführt. Die Siebenbürger Sachsen gehörten damit zu den ersten in Europa mit derartiger Maßnahme. Zu Hause, in der Familie wurde auf dem Land nur Sächsisch gesprochen und in den Städten Sächsisch und/oder Deutsch. Der Unterricht in der Schule und der Gottesdienst in der Kirche wurden in Deutsch abgehalten. Unsere Schulen wurden von der Kirche getragen, hatten jedoch aufklärerischen Charakter. Neben den Dorfschulen gab es fünf städtische Gymnasien, die den Besuch ausländischer Universitäten ermöglichten. Unsere Pfarrer haben bis zum Zweiten Weltkrieg an Universitäten in Deutschland studiert. Dadurch haben sie den Kontakt mit dem Mutterland aufrecht erhalten und somit zum Fortbestand des Deutschtums in Siebenbürgen beigetragen. Aber nicht nur die Pfarrer haben im Ausland studiert, sondern auch andere Akademiker; wohl der Berühmteste von ihnen war der Raketenpionier Professor Hermann Oberth. Oberth hatte seinerzeit die mathematische Theorie des Raketenflugs entwickelt und war dann der Lehrer des später berühmt gewordenen Raketenbauers Wernher von Braun. Ja, aber warum sind wir hier? Wer oder was hat uns aus unserer Heimat vertrieben und warum? Wurden wir denn überhaupt vertrieben? Jetzt, 23 Jahre nach dem großen Exodus von 1990, fällt es schwer, diese Fragen richtig zu beantworten. Wie kurz ist doch das Gedächtnis eines Menschen. Ich muss mir auch zuerst mühevoll meine Gedanken zusammenlesen und sie ordnen, bevor ich antworte. Ganz kurz zusammengefasst: Es war der Kommunismus, streckenweise unterstützt vom rumänischen Nationalismus, der uns vertrieb. Eigentlich hat Rumänien seine Deutschen nie direkt aus dem Land vertrieben, aber die jahrzehntelangen Schikanen, denen anfangs nur der deutsche Bevölkerungsteil und dann zunehmend auch die rumänische Bevölkerung ausgesetzt war, führten zur Anekelung und somit zum Ausreisewunsch, was einer indirekten Vertreibung entspricht. Ich, der jüngste von drei Brüdern, war etwa eineinhalb Jahre alt, als man uns Anfang 1945 die Mutter wegnahm – der Vater war in amerikanischer Kriegsgefangenschaft. Meine Mutter – noch nicht 24 Jahre alt – wurde, zusammen mit anderen insgesamt etwa 30000 Siebenbürger Sachsen, Männer und Frauen zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion deportiert, wo sie in einem Kohlebergwerk im Donezbecken in der Ukraine bis zu ihrer Erkrankung im Jahr 1948 arbeitete. In ihrem Roman „Atemschaukel“, für den sie im Jahr 2009 den Nobelpreis für Literatur erhielt, berichtet die aus dem Banat (Rumänien) stammende Schriftstellerin Herta Müller über den Alltag in so einem Lager. Als die Mutter fort war, wurden wir 3 Kinder aufgeteilt auf die Alten (Großeltern, Urgroßeltern) väterlicher- und mütterlicherseits. Und diese, die Alten, haben unter Einsatz ihrer letzten Kräfte für uns gesorgt. Das Ergebnis: Ich kann mich erinnern, dass wir in dieser Zeit 6 Beerdigungen im Familienkreis hatten. Meine Großeltern und Eltern waren Bauern. Im Jahr 1945 wurden sie enteignet. Wenn man überleben wollte, hieß es, sich mit den rumänischen Eigentümern zu arrangieren, das heißt Ackergrund zu pachten oder wie man so sagte: um die Hälfte zu bearbeiten. Die Hälfte, das war aber nicht alles, was man für sich behalten durfte, der Ertrag wurde gemindert durch verschiedene Zwangsabgaben an den Staat. Wir Kinder mussten auch anpacken und mithelfen, wo es nur ging. In Anbetracht des Erlebten reifte der Gedanke auszureisen. Im August 1964 stellte ich zum ersten Mal einen Ausreiseantrag. Selbst die Drangsale der Securitate konnten den einmal gefassten Entschluss nicht ändern und so kamen wir 18 Jahre später, im Dezember 1982, endlich in der Bundesrepublik Deutschland an. Einem Sicherheitsventil gleich, bei dem durch Öffnen viel Dampf aus dem Druckkessel entweicht, so haben nach Öffnen der Grenzen nach der Revolution im Dezember 1989 in der Periode 1990 bis 1992 mehr als 90000 Siebenbürger Sachsen ihre alte Heimat quasi mit dem Koffer in der Hand verlassen. Warum haben sie das getan? Ich meine, es war nicht so sehr die Sehnsucht nach ein bisschen mehr Wohlstand, vielmehr war es die Angst, weiter zu leben in einem Land, in dem sie allzu oft gegängelt wurden, verbunden mit dem Wunsch nach Freiheit, mit der Hoffnung auf Freiheit. Jedoch die absolute Freiheit gibt es nicht. Wichtig ist mir, die Freiheit zu haben, mir die Art meiner Unfreiheit selbst aussuchen zu dürfen. Ich bin froh, glücklich und dankbar hier leben zu dürfen. Ohne die hiesige Gesundheitsfürsorge, wäre ich jetzt wahrscheinlich nicht mehr am Leben.

Otmar
jodradek
schrieb am 30.03.2014, 19:30 Uhr
Ich bin froh, glücklich und dankbar hier leben zu dürfen. Ohne die hiesige Gesundheitsfürsorge, wäre ich jetzt wahrscheinlich nicht mehr am Leben.

So geht es vielen anderen auch.
Aber irgendwann (wahrscheinlich) sterben wir alle.
jodradek
schrieb am 30.03.2014, 19:43 Uhr
Wäre eine Überlegung wert eine Parallele zu ziehen, "warum sind wir hier und die Ungaren aus Rumänien nicht nach Ungarn ausgewandert sind ?".
Putinescu
schrieb am 30.03.2014, 19:47 Uhr
meiner Meinung nach haben sich die Vorfahren die heutige SBS selber in ihren Heimat Fremd gemacht. Dadurch dass Sie sich zur Besatzungsmacht Habsburgen Angepasst haben.Um ihren Privilegien weiter behalten zu dürfen.Aus Armenien stammende,und auf der Balkan lebende Walachen wurden dagegen mit Dakische und Römische Vorfahren beschenkt.Also Praktisch immer schon dort gelebt.Und Soxe,für Privilegien sich selber verfremdet.Deswegen leben Sie heute in Deutschland.Trotz überwiegend Kumanische Abstammung
kranich
schrieb am 30.03.2014, 20:04 Uhr
Deswegen leben Sie heute in Deutschland.Trotz überwiegend Kumanische Abstammung

Putinescu: Deine Kenntnisse in Geschichte sind echt "verblüffend"! Bald behauptest du bestimmt die Massai kämen aus Grönland und die Chinesen aus Feuerland...
Putinescu
schrieb am 30.03.2014, 20:25 Uhr
Kranich

ich behaupte nicht,das ist Tatsache.Die übernommene Wörter von Österreicher.Paar eingeladene Lehrer aus Westeuropa und eine Gut ausgebaute Schulsystem können Wunder bewirken.Ähnlich wie beim Rumänen.Die erste Rumänen müssten auch die Schulbänke drücken um ihren Muttersprache zu erlernen.Ende 19 Jh haben die Rumänen auf der ganze Balkan Sprachlehrer ausgesetzt.Damit die dort gebliebene Walachen einigermaße ähnlich Sprechen wie die Neurömer in Dacia.
lucky_271065
schrieb am 30.03.2014, 22:03 Uhr (am 30.03.2014, 22:04 Uhr geändert).
@OREX

Warum sind wir hier?

Damit meine ich allerdings die - laut SIEBENBUERGER.DE ca.16.000 Siebenbürger Sachsen, die nach wie vor in Siebenbürgen leben. Etwa 10% von ihnen in Hermannstadt.

Müssten diese sich nun ihrerseits dafür rechtfertigen? Warum sie nicht ausgewandert sind?
gerri
schrieb am 30.03.2014, 22:19 Uhr
@ Putinescu ich habe schon Behauptungen gelesen das die siebb. Sachsen freiwillig nach Russland in die Kohlebergwerke gegangen sind.
Deshalb sind sie weg, weil sie erkannt haben das die arroganten Lügner immer an der Macht bleiben werden und das sich auch weiterhin nichts ändern wird.
Jetzt sind sie unter sich und zerfleischen sich wie man täglich in den Zeitungen liest.
orbo
schrieb am 30.03.2014, 22:20 Uhr (am 30.03.2014, 22:22 Uhr geändert).
Müssten diese sich nun ihrerseits dafür rechtfertigen? Warum sie nicht ausgewandert sind?
Lucky (oben) versus Orex (unten)

Was war der wirkliche Grund für unsere Ausreise? Warum reisen manche aus Deutschland aus? Es war und ist ein Phänomen der Zeit. Es gibt viele Gründe für unsere Ausreise. Jeder hat mit Überzeugung, manchmal mit Inbrunst, seine eigenen Gründe vorgestellt und verteidigt. Im Eifer des Gefechts konnte es mitunter passieren, dass man nicht richtig zugehört (kann ich sagen „zugelesen“?) hat. Es ist und bleibt ein emotionsgeladenes Thema. Die Gründe des Gesprächspartners sind zu respektieren und ich kann und darf nicht versuchen, meinen persönlichen Grund als allgemeingültig mit aller Gewalt in den Kopf des Anderen hineinzupressen. Wir müssen uns, dafür dass wir hier sind, nicht entschuldigen. Es ist und bleibt unser gutes Recht, frei zu entscheiden wo man leben möchte. Wie die meisten von uns habe ich meinen Platz hier gefunden und bin froh und dankbar (heute da ich alt und krank bin umso mehr), dass ich hier sein darf.
gerri
schrieb am 30.03.2014, 22:25 Uhr
@ Danke OREX,das können unsere Kinder und Kindeskinder lesen,es ist kurz und bündig erklärt ohne viel Drumherum.
Das drucke ich aus,es wird eingerahmt und es kriegt seinen Ehrenplatz neben der Siebenbürger Landkarte im Flur,damit es jeder lesen kann.
TAFKA"P_C"
schrieb am 31.03.2014, 08:01 Uhr
Deswegen leben Sie heute in Deutschland.Trotz überwiegend Kumanische Abstammung
He Putin Putinovic Putinescu, du kannst es auch belegen, dass die Vorfahren der Soxe, Kumanen waren, wohl? Oder bist du nur ein Lügner?
kranich
schrieb am 31.03.2014, 09:39 Uhr
He Putin Putinovic Putinescu, du kannst es auch belegen, dass die Vorfahren der Soxe, Kumanen waren, wohl? Oder bist du nur ein Lügner?

Lügner ist vielleicht nicht das richtige Wort. Sagen wir mal so: Wie so oft, hat "unser" Puti eine eigene Interpretation der Geschichte...
Friedrich K
schrieb am 31.03.2014, 12:12 Uhr
@OREX
Das Thema hatten wir schon vor 3 ½ Jahren.

@lucky_271065
Rechtfertigen müssen sich weder die Dortgebliebenen noch die „Hergekommenen“ – Vorwürfe für die eine oder andere Entscheidung werden nur denen gemacht die gegangen sind (auf die Siebenbürger Sachsen bezogen). Von wem die Vorwürfe kommen ist allgemein bekannt. Überbewerten sollte man diese nicht.

Haben sich unsere Vorfahren rechtfertigen müssen weil sie vor Jahrhunderten nach Siebenbürgen gingen?
Haben sich Millionen von Auswanderern für ihren Entschluss rechtfertigen müssen?
Haben sich Millionen von „Gastarbeitern“ für ihren Entschluss nicht mehr in die angestammte Heimat zurückzukehren rechtfertigen müssen?
Müssen sich die Rumänen die heute im Ausland leben und arbeiten dafür rechtfertigen?

Egal wie unterschiedlich die Gründe auch gewesen sein mögen – die wenigsten haben es sich mit ihrer Entscheidung leicht gemacht; im Gegensatz zu dem was hier von manchen Gurkenzüchtern, Bretterscheißhausspezialisten sowie selbsternannten Brückenbauern gebetsmühlenartig verbreitet wird.
orbo
schrieb am 31.03.2014, 13:33 Uhr (am 31.03.2014, 13:37 Uhr geändert).
Müssten diese sich nun ihrerseits dafür rechtfertigen? Warum sie nicht ausgewandert sind?

Niemand muss sich dafür rechtfertigen, weshalb er nicht ausgewandert ist. Das hat OREX auch nicht behauptet. Eher kann man dessen Ausführungen dahingehend verstehen, dass er seine Auswanderung begründet; "wir müssen uns, dafür dass wir hier sind, nicht entschuldigen."
Daher stellt sich die Frage, wieso der zweifache Vater Lucky meint, jemand erwarte von ihm eine Rechtfertigung, dass er nicht auch ausgewandert sei. Im Grunde genommen ist das aber ein Einzelschicksal, das uns nichts anzugehen hat. Alles was zusammenfasssend zu sagen war, hat OREX bereits festgehalten.
pedimed
schrieb am 31.03.2014, 15:49 Uhr
@putinescu: trotz der deutschen Vornamen ein Kumane da mit der Grammatik im stolpern. Die Sibis reden heute noch meistens Moselfränkisch von der Familie her und sind somit keine Nachfahren der Kumanen! Host mi ???

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