Der entzauberte Weihnachtsmann

20.12.2004, 17:13 Uhr

Erich Briebrecher [none]

Der entzauberte Weihnachtsmann

Der entzauberte Weihnachtsmann

Von Erich Briebrecher

Es war Mitte November, der erste Schnee war schon früher gefallen und weggetaut, jetzt aber blieb er liegen und musste stets im Hof und vom Gehsteig weggeräumt werden. Diese Arbeit erledigten die Erwachsenen, hielten aber auch die Kinder an, dabei mitzuhelfen. Am Anfang machte es riesigen Spaß, wurde dann aber immer mehr zu einer ungeliebten Tätigkeit. Um uns die Kinder an die Schneeschaufel zu kriegen, versprach man uns Süßigkeiten, viele Nüsse und Mandelkuchen die uns der Nikolaus bringen würde. Zugleich wurde mit der Rute gedroht, die uns der Nikolaus in die Schuhe stecke, um mit ihr bei Bedarf gezüchtigt zu werden. Meine ältere Schwester grinste gar schelmisch bei dieser Drohung und meinte es gäbe gar keinen Nikolaus, das wären doch nur unsere Eltern, die uns die kleinen Geschenke oder die Rute in die auf Hochglanz gebrachten Schuhe stecken würden. Dies leuchtete mir ein, denn auch die anderen Kinder vertraten dieselbe Meinung. Die angehäuften Schneewälle waren im Hof und auch auf der Gasse so mächtig angestiegen dass ein Kind sich leicht dahinter verstecken konnte. Bei Schneeballschlachten wurde diese weiße Deckung gar gern angenommen. Eisschuhlaufen und Schlittenfahren, gehörte ebenfalls zum alltäglichen Vergnügen der vielen kleinen und größeren Kinder der Nachbarschaft. So verging die Zeit schnell und Weihnachten rückte immer näher. Eines Tages fragte ich meine Schwester was wohl der Weihnachtsmann uns dieses Jahr schenken würde? Sie setzte eine gar ernste Mine auf und sagte ganz ernst. „Wir leben in einer Nachkriegszeit, uns hat man alles weggenommen, unsere Mutter ist erst vor einem Jahr aus Russland heimgekommen, wo sie fünf Jahre lang ohne Bezahlung hat schuften müssen. Wir sind arm. Unsere Eltern haben es schwer uns zu ernähren, alles was sie erarbeiten müssen sie dafür ausgeben, so können wir nicht auch noch auf Geschenke, welche auch immer, von ihnen erwarten“. Da sagte ich dass doch der Weihnachtsmann und nicht unsere Eltern die Kinder bescheren würden, und der hätte immer viele Sachen in seinem Sack die er nur um des Schenkens willen mit sich führe. Die Gesichtszüge meiner Schwester wurden schelmisch und freundlich als sie sagte dass, wie im Falle des Nikolaus auch der Weihnachtsmann unsere Eltern seien. Dies war unerhört für mich. Das sie den Nikolaus spielten konnte ich mir vorstellen, aber der Weihnachtsmann hatte meine Großmutter immer gesagt, der kommt von weit weg aus dem Lande wo es an nichts fehlt, denn die Geschenke seien vom Christkind, welches immer für alle Menschen da sei. Ich fragte auch meine Spielkameraden und die waren auch davon überzeugt dass der Weihnachtsmann ein Fremder sei, der nur zur Weihnachtszeit käme um Geschenke oder Strafen auszuteilen. Nein den Weihnachtsmann den ließ ich mir nicht nehmen, ihn hatte ich doch schon so oft als wahre Person mit knallender Peitsche, Geschrei und winterlich gekleidet, mit Pelzmütze und langem weißem Bart, mit eigenen Augen gesehen und leibhaftig erlebt. Als am Weihnachtsabend die Glocken schöner und heller erklangen als sonst im Jahr, machten wir uns mitsamt unseren Eltern auf in die Kirche zur Weihnachtsfeier. Da es bereits dunkel war, zündete mein Vater eine Laterne und wir die Kinder unsere Kerzen an, mit denen wir uns den Weg erleuchteten. Wie treffend fand ich die Verse Eichendorfs, dessen Gedicht ich auswendig gelernt hatte, um es am heimatlichen Weihnachtsbaum aufzusagen. „Markt und Strassen stehn verlassen / still erleuchtet jedes Haus / sinnend geh ich durch die Gassen / alles sieht so festlich aus“. In Gedanken sagte ich die Verse auf und mir war ganz feierlich zumute in der schneeweißen Nacht. Der Gottesdienst verlief wie üblich, mit dem Eingangslied „Stille Nacht“, dem Bibeltext Lukas 2 Vers 1 „Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von Kaiser Augustus ausging, das alle Welt geschätzt würde“. Danach folgte das Krippenspiel eingeübt von den größeren Schülern, die Ansprache des Pfarrers und das Ausgangslied „Großer Gott wir loben dich“. Beendet wurde der so feierliche Gottesdienst mit der Bescherung aller Kinder. Wie froh war ich dass ich mit einem Bleistift, Radiergummi und Schreibheft, nach Hause gehen durfte. Nachdem wir alle unsere Lichter wieder angezündet hatten, gingen wir hinaus in die dunkele schneeweiße Nacht. Vorsichtig die kleine Kinderhand, um das lebendige Kerzenflämmchen haltend damit der leise Wind es nicht auslösche, machten wir uns auf den Heimweg. Noch zwischen den grauen Mauern der Kirchenburg gehend, hörte man von der Straße her das schreien und Peitschen knallen der Christmänner. Heftig an ihrem Ärmel zupfend, sagte ich ängstlich zu meiner Schwester: „Hast du gehört die Weihnachtsmänner sind schon da, um die guten Kinder zu beschenken und die bösen zu bestrafen und unsere Eltern gehen doch hinter uns". Ein wenig unwillig antwortete sie: „Du brauchst keine Angst zu haben, bis du groß bist wirst du schon erfahren wer die Christmänner sind“. Bis wir zu Hause ankamen huschten immer wieder langbärtige Gestalten lärmend an uns vorbei, aber ich konnte keinen erkennen. Durch die Art und Weise wie meine Schwester zu mir gesprochen hatte, kamen beträchtliche Zweifel in mir hoch und ich beschloss dieser Sache nachzugehen. Zu Hause angekommen fesselte uns der schöne kleine mit Äpfel, Nüssen und Backwerk behangene Weihnachtsbaum. Unerwartet klopfte es ans Fenster und eine Stimme rief: Habt ihr böse Kinder im Haus, oder sind es nur gute Kinder“. Da ging meine Mutter und öffnete die Tür und sagte: „Hier wohnen nur gute Kinder, komm doch herein du frierender Christmann“. Zuerst musste meine Schwester ihr Gedicht aufsagen. Sie wurde gelobt und erhielt ein Päckchen, Äpfel, Nüsse und Kekse und dann kam ich dran. Weil ich einiges auf dem Kerbholz hatte sagte ich mein Gedicht mit zitternder Stimme auf und hatte furchtbare Angst verprügelt oder mitgenommen zu werden. Als der Weihnachtsmann mein schlechtes Gewissen erkannte, sagte er mit milder Stimme, ich hätte öfters nicht gefolgt und wäre auch noch frech gewesen aber einige Nüsse hätte ich mir dennoch verdient. Als er zu mir sprach, glaubte ich die Stimme meines Vaters zu erkennen. Schnell ließ ich meinen Blick im Raum umherschweifen und sah dass er nicht da war. In diesem Moment fasste ich den Bart und die Pelzmütze und riss sie herunter, da stand er vor mir, mein Vater, der sich als Christmann verkleidet hatte. Wie ein Ruck durchzog es mich, ich hatte in diesem Augenblick erkannt was es mit dem Weihnachtsmann auf sich hatte, sein Zauber war schlagartig dahin und mit ihm meine von Wundern umsponnene Kindheit. Die folgenden Weihnachten waren nicht mehr erfüllt von zauberhaften Erwartungen eines an Wunder glaubenden Kindes, anders viel nüchterner, realer, aber dennoch schön blieb die Weihnachtszeit.


Eine frohe Weihnachtszeit und ein erfolgreiches neues Jahr wünscht Euch allen von ganzem Herzen, Euer Erich Briebrecher

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