2. April 2002

Wilhelm Neustädter: Großschatzmeister der Freimaurer

Nachruf auf eine schillernde Persönlichkeit: Wilhelm Neustädter (1915-2001) war Jurist, Textilhändler, Bankdirektor und Großschatzmeister der Freimaurer in Deutschland.
Wilhelm Neustädter
Wilhelm Neustädter


Durch einen Nachruf im Berliner Blatt Der Tagesspiegel vom 21. Dezember 2001 wurde die Siebenbürgische Zeitung auf eine herausragende Persönlichkeit aufmerksam: auf den aus Siebenbürgen stammenden Dr. Wilhelm Neustädter. Christine-Felice Röhrs widmete den Nachruf primär dem Freimaurer – 1965 wurde er in die "Johannisloge Berlin" aufgenommen, wurde Logenmeister der Loge „Zum Todtenkopfe und Phönix“, Großschatzmeister der „Großen Landesloge der Freimaurer von Deutschland“ und 1985 Träger des „Roten Kreuzes“. Und sie schrieb ihn aus der Sicht der Logenbrüder in solch lockerem Ton, wie er für Nachrufe sicherlich nicht üblich ist: „Knacki wurde er von den Brüdern genannt. Die haben den Spitznamen so lange gebraucht, ihnen fiel gar nicht mehr auf, wie unpassend er eigentlich klang. Nach bierseliger Heiterkeit. Nach Knastinsasse. Oder nach ‘nem pickligen Kerlchen. Bestimmt nicht nach Doktor Wilhelm Neustädter, der ein gut aussehender Mann war. Groß, bullig, Adlernase, dunkle Haare, blaue Augen. Eine Mischung aus Heinrich George und Curd Jürgens ... Natürlich war Knacki auch nie im Knast - er war Freimaurer.“ Wobei Freimaurer zu sein, nicht nur eine Freizeitbeschäftigung, sondern allesumschlingend ist: „daheim Güte, im Geschäft Ehrenhaftigkeit, in Gesellschaft Höflichkeit, für den Unglücklichen Mitleid, gegen das Unrecht Widerstand, für das Schwache Hilfe, dem Gesetz gegenüber Treue, vor dem Andersdenkenden Toleranz. Kurz: Freimaurer sein, ist der Versuch, ein besserer Mensch zu werden ... Erkenne Dich selbst. Beherrsche Dich selbst. Veredele Dich selbst. Drei Grundsätze der Freimaurer.“ Man erfährt viel über Wilhelms Neustädters Freimaurertum, über diese Männerzirkel, die zwar eingetragene Vereine sind und deren Vorstände demokratisch gewählt werden, die aber wegen der für Außenstehende unverständlichen Logen-Mystik im Ruch des Geheimbündlerischen stehen: „Auch Wilhelm Neustädter sprach den Eid, mit dem er akzeptierte, dass dem Verräter ,die Gurgel durchschnitten, die Zunge an der Wurzel herausgerissen und der Verurteilte bei Ebbe unter dem Meeresboden verscharrt‘ wird. Sagte ihn auf mit verbundenen Augen und musste kein bisschen lachen ... Jeden Mittwoch kam Wilhelm Neustädter zur so genannten ,Arbeit‘ ins Haus an der Peter-Lenne-Straße, verlässlich, pünktlich, geduscht und im Smoking. Wie es der Brauch verlangt, trug er über der Jacke den weißen Freimaurer-Schurz, stand Hand in Hand mit den Brüdern. Dazu Mozarts ,Brüder, reicht die Hand zum Bunde‘. Dann der Höhepunkt des Abends: der Vortrag ... Knacki habe etwas von einem Barockfürsten gehabt, sagen die Brüder. Tagsüber Geldmensch, abends Geschichtenerzähler und Genießer. Ein Barockfürst, aber nicht in machiavellistischem Stil, trotz seiner Ehr- und Machtfülle als Logenmeister, Großschatzmeister, Rot-Kreuz-Träger. Vor dem Hochmut stand ja der Logen-Grundsatz, sich in jeder Lebenslage anständig zu verhalten.“
Vielleicht war diese Demut auch der Grund dafür, dass man im Kreise seiner Landsleute so wenig über ihn wusste. Spärlich waren die Informationen zu den siebenbürgischen Bezügen, zu seinem beruflichen wie familiären Leben. Glücklicherweise konnte das einzige Kind Wilhelm Neustädters ausfindig gemacht werden und diese Daten nachreichen.
Geboren wurde Wilhelm Neustädter am 1. Februar 1915 in Bukarest, wuchs aber bis zur Matura am „Honterus-Gymnasium“ in Kronstadt auf. Nach dem Studium an den Rechtsfakultäten in Bukarest und Klausenburg wurde er 1938 promoviert und ließ sich als selbständiger Anwalt in Kronstadt nieder. Dort heiratete er 1942 Käthe Kraus, die ihm 1943 den Sohn Wolfgang schenkte. Bei Kriegsende kam Wilhelm Neustädter in amerikanische Gefangenschaft – seit 1941 diente er im deutschen Heer – und blieb nach der baldigen Entlassung in Deutschland. 1953 ließ er sich von seiner ersten Frau scheiden, die mit dem Sohn noch lange Jahre in Siebenbürgen lebte, und heiratete 1955 erneut – Cornelia Herstatt, Journalistin und bekannteste Klatschkolumnistin Deutschlands.
Beruflich hatte Wilhelm Neustädter von 1945 bis 1950 als Generalbevollmächtigter der „Textilgroßhandlung Otto Hagemann“ in vielen Teilen Deutschlands gearbeitet, bevor er sich zwischen 1950 und 1953 als Wollgroßhändler selbständig machte. Dann versuchte er sich in einer neuen Branche. Mit Geschick, Gespür, Fleiß und großer Willenskraft wurde er schon 1955 Leiter einer Filiale der „Bank für Gemeinwirtschaft Berlin“. Sein unaufhaltsamer Aufstieg brachte ihn an die Spitze dieses bedeutenden Bankhauses, und als Banker wurde er zu einer der exponierten Persönlichkeiten Berlins, der nicht nur persönliche Beziehungen zu höchsten politischen Vertretern wie Richard von Weizsäcker und Helmut Schmitt pflegte, sondern sich auch als Mäzen der quirligen Berliner Kunstszene Verdienste erwarb.
Nachdem 1989 seine Frau verstarb und sich auch erste altersbedingte Gebrechen bemerkbar machten, zog er in die Nähe seines inzwischen in Lauterbach am Chiemsee lebenden Sohnes Wolfgang und der Schwiegertochter Anita. Im Altenheim „Marktresidenz Prien“ verlebte er seine letzten Jahre, widmete sich seinem lebenslangen Hobby, dem Lesen, und hielt für die Heimbewohner regelmäßig Vorträge. Mit seinem Sohn fand er im Reisen ein weiteres Hobby. Neues zu entdecken und kennen zu lernen machte ihm Freude, aber ebenso der Blick zurück nach Siebenbürgen und die Gespräche über sein geliebtes Kronstadt.
Für den 17. November 2001 hatten Wilhelm und Wolfgang Neustädter eine Fahrt nach Österreich geplant. Wilhelm Neustädter, auf den man sich immer verlassen konnte, konnte diesen Termin nicht mehr wahrnehmen: Er verstarb am nächsten Tag im Alter von 86 Jahren. Mit seinem Leben dürfte er - in aller einem Freimaurer anstehenden Demut - zufrieden sein.

Hans-Werner Schuster


(gedruckte Ausgabe. Siebenbürgische Zeitung, Folge 5 vom 31. März 2002)

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