11. August 2003

Deutsche in Rumänien vom Aussterben bedroht?

Noch zwischen den beiden Weltkriegen lebten in Rumänien rund 800 000 Deutsche. Ihre Vorfahren waren vor rund 850 Jahren dort eingewandert. Heute dagegen sind es nur noch 60 000 - die deutsche Minderheit droht langfristig auszusterben. Trotzdem nimmt der deutsche Einfluss wieder zu, vor allem das Erlernen der deutschen Sprache ist bei vielen jungen Rumänen populär.
Auf den ersten Blick ist Hermannstadt (Sibiu) eine rumänische Stadt wie viele andere auch. Auf den Straßen rumänische Stimmen, in den Häuserzeilen rumänische Geschäfte, und in den Gaststätten - rumänische Musik. Und doch ist es keine normale rumänische Stadt - jedenfalls historisch betrachtet. Hermannstadt wurde, wie viele Städte in Siebenbürgen, vor rund 850 Jahren von deutschen Siedlern gegründet. Heute erinnern fast nur noch Bauwerke wie Kirchen und Schulen sowie alte Friedhöfe an die Geschichte der Deutschen, die früher mehrheitlich hier lebten. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts bildeten die Rumänen die Mehrheit.

Nach dem zweiten Weltkrieg wurden rund 75 000 Rumänien-Deutsche zwangsweise in die Sowjetunion deportiert. Die kommunistische Regierung bestrafte sie damit für ihre angeblich Nazi-freundliche Haltung. Die Verbliebenen mussten damals hinnehmen, dass die Behörden ihre Minderheitenrechte eingeschränkten und ihren Besitz verstaatlichten. Vieles ist bis heute nicht zurückgegeben worden.

Dennoch funktionierte das Zusammenleben weitgehend reibungslos. Klagen über alltägliche Diskriminierungen, wie sie bisweilen von Ungarn und Roma hervorgebracht werden, sind von den Vertretern der deutschen Minderheit in Rumänien nicht zu hören. Und viele ältere Rumänen erinnern sich mit großer Symphatie an ihre ehemaligen deutschen Nachbarn zurück - wie die 78 Jahre alte Rozalia Cristea, die Jahrzehnte lang eng mit einer deutschen Familie befreundet war. „Ich vermisse sie und würde mich freuen, wenn sie noch einmal nach Rumänien kämen. Ganz allgemein gesagt, hatten wir Rumänen immer ein gutes Bild von den Deutschen hier. Denn es waren korrekte Leute, sehr ordentlich, aufrichtig und ehrlich.“

Die deutsche Minderheit in Rumänien droht langfristig zwar auszusterben. Doch paradoxerweise nimmt gleichzeitig der deutsche Einfluss wieder zu. Zahlreiche alte deutsche Gebäude werden derzeit renoviert - nicht selten mit deutscher Finanzhilfe. Und obwohl in einer Stadt wie Hermannstadt nur noch 2 000 Deutsche leben, besuchen dort über 3 000 Kinder deutsche Schulen. Es sind überwiegend rumänische Kinder - denn die Schulen haben einen guten Ruf, und das Erlernen der deutschen Sprache gilt im Hinblick auf Rumäniens angestrebten EU-Beitritt 2007 als karrierefördernd. Nicht zu vergessen: Hermannstadt hat erstmals seit 1939 wieder einen deutschen Bürgermeister. Klaus Johannis stellt fest:

"Wenn sie mit Rumänen oder mit rumänischen Politikern sprechen, dann sind die Leute fast einstimmig der Meinung, dass es schade ist, dass die Deutschen weggegangen sind. Das Image der deutschen Minderheit ist hier - kurz zusammengefasst und in Anführungszeichen zu verstehen - das einer 'guten Minderheit'."

Ein Image, von dem der Bürgermeister und Vorsitzende des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien auch selbst profitiert. Schließlich wäre er sonst wohl kaum von der rumänischen Bevölkerungsmehrheit an die Stadtspitze gewählt worden. Johannis will das gute Image der Deutschen nutzen, um verstärkt deutsche Investoren in die Stadt am Zibin zu locken. Dabei hat er nicht zuletzt die ausgesiedelten Rumäniendeutschen im Visier. Vielleicht, so seine Vision, kommen sie irgendwann doch wieder in ihre alte Heimat zurück.

Rainer Sollich


Der Autor ist stellvertretender Leiter der Zentralredaktion der Deutschen Welle. Der hier leicht gekürzte Hintergrundbericht wurde Anfang August vom deutschen Programm sowie mehreren Fremdsprachenprogrammen der Deutschen Welle ausgestrahlt.

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