13. September 2003

Siebenbürger Sachsen im 21. Jahrhundert - Fragen über Fragen

Anfang Oktober 2003 findet unser erster Verbandstag im neuen Jahrhundert statt. Ein Verbandstag ist einerseits ein markantes Datum, an dem die Führungsriege eines Vereins Rechenschaft über ihre Tätigkeit der letzten Jahre ablegt und dann in einem demokratischen Verfahren ein neues Führungsgremium gewählt wird. Er ist ebenso ein Meilenstein, der einen Rückblick gestattet, zugleich jedoch auch dem (lauten) Nachdenken über das Künftige Raum bietet. Das Künftige ist bekanntlich mit zahlreichen offenen Fragen verbunden. Seit Jahren bewegen mich u. a. auch grundlegende Fragen zu unserem Verein, zu unserem Selbstverständnis, zu unserer Zukunft.
Was haben wir Siebenbürger Sachsen, wir als Verein unseren Landsleuten, unseren Mitmenschen, unseren Nachkommen zu bieten? Ist es etwas dermaßen Handfestes, dass sich darauf solide bauen lässt? Kann das, was wir bieten, auch begeistern? Kann das, was wir bieten, den heutigen und künftig wohl noch stärker werdenden vielschichtigen medialen Reizen, die wie Bombenteppiche auf uns Menschen der modernen Spaßgesellschaft niederprasseln, standhalten, ja eventuell Halt bieten?

Für wen sind wir attraktiv? Sind wir überhaupt attraktiv?
Ist das, was wir tun (nur) Selbstzweck? Oder hat das, was wir tun, einen tieferen Sinn? Versuchen wir bloß unseren wohl unvermeidlichen Abgang aus der aktiven Geschichte hinauszuzögern?

Lohnt es sich, Siebenbürgisch-Sächsisches weiterzuverfolgen? Was meinen wir mit Siebenbürgisch-Sächsischem? Sind so genannte siebenbürgerisch-sächsische Werte längst sinnentleert?

Versuchen wir letztlich seit 50 Jahren doch nichts anderes zu bewerkstelligen, als unseren Landsleuten Rechtsgleichheit mit den Bürgern der Bundesrepublik Deutschland zu sichern (z. B. Fragen, wie Staatsangehörigkeit, längere Zeit Lastenausgleich, seit einigen Jahren Rentengleichberechtigung usw.)? Oder unsere wertvollen materiellen und ideellen zivilisatorischen Leistungen (von den Kirchenburgen in Siebenbürgen bis hin zum siebürgisch-sächsischen Volksbrauchtum, von dem Toleranzgedanken bis hin zu den wissenschaftlichen Leistungen eines Hermann Oberth, vom frühen siebenbürgerisch-sächsischen Schulwesen bis hin zu bemerkenswerten literarischen und künstlerischen Leistungen unserer Zeit) zu dokumentieren und zu konservieren?

Was bringen uns Siebenbürger Sachsen die nächsten 50 Jahre? Gibt es in 50 Jahren noch Siebenbürger Sachsen oder nur noch Nachkommen von Siebenbürger Sachsen bzw. von Siebenbürger Sachsen Abstammende? Was wir der Geschichte zu bieten haben, ist zwar alles bekannt oder zumindest geklärt bzw. unstrittig, was haben wir jedoch als Siebenbürger Sachsen unseren Landsleuten und Nachkommen im Alltag (der nächsten Tage, Monate, Jahre, Jahrzehnte) zu bieten?

Wer sind wir, was wollen wir? Sind wir Verwalter des Niedergangs oder überzeugte, aktive Erbauer/Verkünder einer siebenbürgisch-sächsischen Renaissance? Sind wir Phantasten oder Realisten? Sind wir überflüssig? Sind wir rückwärtsgewandt oder zukunftskompatibel? Reicht unser Fundus an einer nutzbar gemachten siebenbürgerisch-sächsischen Vergangenheit aus, um auch künftig siebenbürgisch-sächsische Lebensart weiterzuentwickeln?

Benötigt unser Verein zum Überleben eine breite Basis an Mitgliedern, oder kann er den biologisch bedingten Mitgliederschwund künftig verkraften (z.B. durch Beitragserhöhungen)? Was können wir bei abnehmender Mitgliederzahl noch leisten? Helfen wohl nur Spenden/Stiftungen weiter (siehe Gundelsheim)? Was können wir bei zunehmender Reduzierung der öffentlichen Mittel für unseren Verein bzw. unsere Institutionen leisten? Wie machen wir unseren Landsleuten und potentiellen Förderern klar, dass ihre Unterstützung für unseren Verein sinnvoll ist? Womit packen wir sie? Womit schrecken wir sie eher ab?

Wo liegt künftig der Schwerpunkt unseres Handelns (geografisch, thematisch, organisatorisch)? Müssen wir uns nicht der hiesigen Realität stellen? Welcher Realität? Was empfinden wir identitätsstiftend /was könnte identitätsstiftend sein? Wo sind unsere Schwächen? Wo unsere Stärken? Wo unsere Chancen? Was an uns, was in uns, was von uns ist zukunftsträchtig?

Benötigen wir nicht auch völlig neue Anstöße, neue Ideen, neue Methoden, Organisationsformen der Fortführung unseres Vereins? Gehört dazu eventuell auch eine Namensänderung? - Fragen, Fragen, Fragen ...

Bei ihrer Gründung hieß unsere Landsmannschaft VERBAND der Siebenbürger Sachsen in Deutschland e.V. Aus politischen Gründen änderte man Anfang der 50er Jahre den Namen, um gemeinsam mit den anderen, damals zahlenmäßig großen und auch politisch mächtigen Vertriebenenverbänden, die sich vorwiegend Landsmannschaften nannten, auch für die Siebenbürger Sachsen die gleichen Rechte als Vertriebene zu erlangen. Dies ist damals gelungen und im Nachhinein war die damalige Namensänderung eine richtige Entscheidung. Gegenwärtig ist das Gewicht mancher Landsmannschaften stark im Abnehmen begriffen, der Begriff Landsmannschaft für viele Menschen keineswegs zugkräftig. Als eine wichtige, sinnvolle Möglichkeit, unserer gemeinsamen siebenbürgisch-sächsischen Tätigkeit neue Impulse zu geben, plädiere ich für eine Namensänderung unserer Landsmannschaft.

Statt "LANDSMANNSCHAFT der Siebenbürger Sachsen in Deutschland e.V." soll künftig der Name unseres Vereins SIEBENBÜRGER SACHSEN IN DEUTSCHLAND e.V. lauten.

Es gibt zwar gewichtige Gründe gegen eine Namensänderung, aber auch stichhaltige Argumente dafür. Gegen eine Namensänderung unseres Vereins sprechen ernstzunehmende Argumente: Der Begriff Landsmannschaft dokumentiert beispielsweise Kontinuität, er ist ein Teil des Vermächtnisses der Gründer unserer Landsmannschaft, er steht für Verbundenheit mit den anderen Landsmannschaften, er ist allen Amtsträgern sehr geläufig, seine Änderung würde möglicherweise juristisch nicht einfach sein und sicherlich wird seine Änderung auch nicht unerhebliche Kosten im organisatorischen Bereich verursachen.

Für eine Namensänderung gibt es jedoch stichhaltige, überzeugende Argumente: Zunächst: Warum sollte der Begriff LANDSMANNSCHAFT ersetzt werden?
? Der Begriff LANDSMANNSCHAFT (der Siebenbürger Sachsen) hat seinen Zweck erfüllt, er hat - salopp gesagt - ausgedient, er ist inzwischen veraltet, wirkt eher kontraproduktiv und spricht zahlreiche Menschen nicht mehr bzw. gar nicht an (besonders junge Menschen).
? Der Name LANDSMANNSCHAFT weckt bei manchen Bundesbürgern ungute Assoziationen. Oft habe ich es erlebt, dass Unkenntnis und Vorurteil uns bei der Nennung des Begriffes LANDSMANNSCHAFT ungerechterweise sofort in die äußerste rechte Ecke unseres politischen Spektrums, in die Ecke der angeblich Ewiggestrigen plaziert hat.
? Jedoch nicht allein manche Bundesbürger können mit unserem Namen nicht viel Positives anfangen, der Begriff LANDSMANNSCHAFT wird von zahlreichen Landsleuten als Begriff empfunden, mit dem man am liebsten nichts zu tun haben möchte. Und das ist bedenklich!
? Der Name LANDSMANNSCHAFT bietet schließlich kaum mehr die ursprüngliche Identifikationsmöglichkeit (auch für weibliche Individuen nicht!) Die LANDSMANNSCHAFT der Siebenbürger Sachsen erscheint als eine unter vielen anderen Landsmannschaften und muss mit den Vorurteilen, die anderen Landsmannschaften entgegengebracht werden, vorlieb nehmen.
? Der Begriff LANDSMANNSCHAFT steht nach meinem Dafürhalten unseren Zukunftsaufgaben und weiteren Zielen eher im Wege, besonders in der neuen bundespolitischen Konstellation nach dem Machtwechsel im Herbst 1998 ...

Siebenbürger Sachsen sind in Deutschland eine Minderheit. Minderheiten sind sowohl in einer Diktatur als auch in einer Demokratie schutzbedürftig. Der Schutz kann von außen kommen, von innen muss er kommen. Um sich erfolgreich als Minderheit behaupten zu können, müssen wir rechtzeitig Vorkehrungen treffen. Aus der Not eine Tugend machend, haben sich die zahlenmäßig den Ungarn oder den Rumänen unterlegenen Siebenbürger Sachsen jahrhundertelang durch Leistung behauptet und zeitgemäße Vorkehrungen für den Notfall getroffen. Ihr Name war allzeit ein Markenzeichen. Heute ist es nicht anders. Aber nur für diejenigen, die uns kennen. Denn, wer uns besser kennt, urteilt nicht vorschnell über uns. Da das Bekenntnis zu dem Gemeinschaft stiftenden kulturellen Erbe der Siebenbürger Sachsen auch in Zukunft lebendig bleiben und deutlich zum Ausdruck kommen muss, plädiere ich für eine sinnvolle Namensänderung. Wenn nicht ?Verband der Siebenbürger Sachsen in Deutschland e.V.?, dann lediglich ?SIEBENBÜRGER SACHSEN in DEUTSCHLAND e.V.? Denn:
? Der Begriff ?SIEBENBÜRGER SACHSEN in Deutschland e.V.? birgt neue und bessere Chancen und Möglichkeiten einer Integration und Identifikation, einer inneren, auch inhaltlichen Erneuerung, einer Anpassung unseres Vereins an die Zeit, in der wir gegenwärtig leben, an die vor uns liegende Zeit mit ihren neuen, schwierigen Aufgaben.
? Der Begriff ?SIEBENBÜRGER SACHSEN in Deutschland e.V.? kann überzeugender auch in der Erziehung unserer Jüngsten positiv wirken, kann auch das Bewusstsein der Zusammengehörigkeit, des Verbundenseins verstärken. Er kann jungen Menschen klarer vermitteln, wer sie sind, zu wem sie sich bekennen.
? Der Begriff ?SIEBENBÜRGER SACHSEN in Deutschland e.V.? ist viel eher zukunftsweisend als der Begriff Landsmannschaft. Er rückt unseren historischen Namen in den Vordergrund und kann uns auch bei anderen Bundesbürgern freundlicher, vorurteilsfrei und unmittelbar bekannt machen.
? Der Begriff ?SIEBENBÜRGER SACHSEN in Deutschland e.V.? bietet vielen Menschen Orientierung und Identifikationsmöglichkeit (nicht nur, jedoch besonders jungen Menschen).
? Der Begriff ?SIEBENBÜRGER SACHSEN in Deutschland e.V.? kann von außenstehenden, uns Vertriebenen und Aussiedlern nicht unbedingt mit Sympathie begegnenden Personen und Institutionen, nicht ohne weiteres abgelehnt werden, wie dies mit LANDSMANNSCHAFT schon oft geschehen ist.
Schließlich:
? Der Begriff ?SIEBENBÜRGER SACHSEN in Deutschland e.V.? ist gleichzeitig Name und Zustandsbeschreibung, Name und Programm. Er wirkt dynamisch, kraftvoll. Er impliziert durch die Zahl ?Sieben? (?Sieben auf einen Streich, ...?) eine größere Anzahl von verbundenen Menschen und durch das Wort ?Bürger? (hier auch im Sinne von Burgen) einen positiv besetzten Sachverhalt: Nämlich Menschen aus einem Land mit Burgen, also kein ärmliches Land, sondern eher eins mit einer jahrhundertealten Geschichte, denn Burgen sind typisch für frühere Zeiten mit bemerkenswerten Leistungen. Zugleich schwingt aber auch der moderne Begriff ?Bürger? mit, also nicht irgendwelche Dahergezogene, Fremde, Hilfsbedürftige. Heute wird auch in der Europa- oder in der Demokratiedebatte oft von der so genannten ?Bürgergesellschaft? gesprochen. Diese positiven Assoziationen produzieren keineswegs Ablehnung, sondern eher Zustimmung oder zumindest positiv gefärbte Neugierde (?Siebenbürgen? Das klingt ja deutsch!? ?Was bedeutet Siebenbürgen?? ?Wo ist das?? - für diejenigen, die uns noch nicht kennen). Somit wirkt ?Siebenbürger Sachsen? im Endeffekt integrierend, verbindend. Der Begriff würde uns somit sowohl in unseren Reihen als auch darüber hinaus positiv weiterhelfen.

Ich möchte zusätzlich daran erinnern, dass Worte, dass Begriffe - sofern sie mit Leben ausgefüllt werden, denn bei einer einfachen Namensänderung darf es nicht bleiben - auch ein wichtiger Machtfaktor sein können. Treffende Begriffe wie der Begriff ?SIEBENBÜRGER SACHSEN in Deutschland e.V.? können die Durchsetzungsfähigkeit unseres Vereins in unserer heutigen Gesellschaft stärken und vorantreiben. Damit heben wir uns von dem Einheitsbegriff ?Landsmannschaften? ab, werden selbständig und eigenständig wahrgenommen, ohne uns aus der Riege der sonstigen Aussiedlerverbände zu verabschieden.

Nomen est omen! Wir haben in unserer Welt nur dann eine echte Chance, wenn wir auch zukünftig beherzt und offensiv vorgehen, wenn wir zum notwendigen Wandel JA sagen und bereit sind, uns selber zu erneuern, auch durch unseren Namen.

Horst Göbbel, stellvertretender Bundesvorsitzender der Landsmannschaft



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