30. Januar 2005

Hagen Rether: "Die Werte gehen, aber Schröder bleibt"

"Deutschlands schärfste Schneide" (SZ).- "Ein neuer Fixstern am deutschen Kabaretthimmel" (AZ).- "Die Rettung des deutschen Kabaretts" (Tollwood-Programmheft) - die Münchner Journalisten sparten nicht mit Superlativen, als sie über Hagen Rether, den in Essen lebenden Gewinner des Passauer Scharfrichterbeils 2004, berichteten. Vollkommen zu Recht, meint Konrad Klein, der Autor der folgenden Anmerkungen über den Kabarettisten siebenbürgischer Abstammung und seinen Auftritt beim Münchner Tollwood-Festival.
"Mit Preisen ist es wie mit Hämorrhoiden, irgendwann kriegt jeder Arsch welche." Mit diesen Worten nahm Hagen Rether, 35, im Dezember vergangenen Jahres das begehrte Passauer Scharfrichterbeil entgegen. Was soll man aber sagen, wenn einer gleich sechs davon in kurzer Zeit bekommt (Paulaner Solo 2004, Prix Pantheon 2004 u.a.)? Der Bayerische Kabarettpreis 2005 und der Deutsche Kleinkunstpreis 2005 (Förderpreis der Stadt Mainz) folgen demnächst. Letzterer gilt als bedeutendste Auszeichnung auf dem Gebiet der Kleinkunst in Deutschland.

Der eingangs zitierte Spruch ist Geist von Rethers Geiste, auch wenn er von Billy Wilder stammt. Der gewichtige Nachwuchspreis - ein fast brusthohes Beil mit handgeschmiedeter Klinge - stand am Anfang schon mancher schönen Karriere, erstmals jener von Hape Kerkeling (1983). Kabarettisten wie Luise Kinseher, Werner Brix, Urban Priol oder auch Günther Grünwald (der sich tv-mäßig inzwischen selbstentleibt hat) kamen in den letzten Jahren hinzu.


Mit Baseballschläger, Charme und Banane: Hagen Rether am Flügel der Münchner Lach- und Schießgesellschaft. Foto: Konrad Klein
Mit Baseballschläger, Charme und Banane: Hagen Rether am Flügel der Münchner Lach- und Schießgesellschaft. Foto: Konrad Klein


Wie ein Scharfrichter sieht Hagen Rether, der hochgewachsene, schlanke Mann mit dem flotten Pferdeschwanz und dem sanften Lächeln freilich nicht aus. In wenigen Minuten wird er im dunklen Dreireiher auf dem Klavierstuhl Platz nehmen und den Zuschauern die Welt erklären - so unterhaltsam und so erhellend, dass es einem glatt das Spiegel-Abo erspart (wie es ein weiblicher Rether-Fan im Internet formulierte). Noch aber sitzt Rether mit übereinandergeschlagenen Beinen entspannt auf einem Sofa, zieht an seiner Marlboro und telefoniert. Trotz Zeitmangels bittet er mich in die Garderobe, alles mit einer bei Stars selten gewordenen Freundlichkeit. Apfelsaft? Pepsi? Oder darf’s eine Mentholzigarette sein?

Meinem Wunsch, ihn zu seiner siebenbürgischen Herkunft zu befragen, begegnet Rether mit freundlicher-verhaltener Skepsis. Wahrscheinlich erscheint ihm mein Anliegen exotischer als die tibetanischen Klangschalen vom Asiatica-Laden vor dem Tollwood-Zelt. Doch erst nach der Vorstellung ist Zeit für meine Fragen (lesen Sie das Interview im SiebenbuergeR.de-Newsletter vom 1. Februar 2005).

Gut drei Stunden dauert Hagen Rethers Soloprogramm "Liebe", mit dem er landauf, landab in ausverkauften Häusern auftritt. Auch das rund 500 Plätze fassende Theaterzelt des längst zum Highlight der Münchner Kulturszene avancierten Tollwood-Festival ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Kein Problem für einen Profi wie Rether, eine solche Menschenmenge bei Laune zu halten. Dabei ist er eher ein Mann der leisen Töne, einer, der mit seinem jungenhaften Charme fast noch ein bisschen schüchtern wirkt. Doch Rether spielt nicht erst seit heute vor großem Publikum. Beim Essener Kabarettisten Doktor Ludger Stratmann hatte er als Mann am Klavier schon reichlich Bühnenerfahrung gesammelt.

Locker, lässig und mit souveräner Coolness – mit einem Wort: gentlemanlike - absolviert er den Abend. Spannung produzieren mit geringstmöglichem Aufwand. Einen Joghurt löffeln, dann und wann ein Statement von sich geben, eine launige Frage stellen. Rether greift wie beiläufig in die Tasten, natürlich gekonnt minimalistisch. Dazu en passant was Persönliches: "Ich bin auch Sitzpinkler und Frauenversteher. " Und schon ist man mittendrin. Keine Frage: Geniales Timing, unverbrauchte running gags ("man weiß ja so wenig"), schräge Assoziationen. Gut, Harald Schmidt und Gerhard Polt, die begnadeten Zeitschinder, hatten das so oder ähnlich auch schon gemacht. Aber so entspannt wie bei Rether kam das bei keinem von beiden rüber.

Der Barpiano-Profi setzt vielen seiner Ausführungen akustische Glanzlichter auf, oft nur in Form eines Musikzitats oder ironischen Akzents. Ein weichgespültes Ave Maria, wenn es um pädophile Priester und den "Dienst am Hirten" geht, gezielte Dissonanzen bei weniger erbaulichen Themen wie das Dosenpfand oder dem "wiederverneinten" Deutschland ("Es wächst zusammen, was sich verdient hat"). Nein, mit dem politischen Gutmenschen-Kabarett, wie es Hanns Dieter Hüsch auf seiner Orgel zelebrierte, ist Hagen Rether nicht zu vergleichen. Und mit den ‚Everblacks’ des virtuosen Wiener Klavierkabarettisten Georg Kreisler auch nicht. Es ist schon was sehr Altmodisches, was Rether da macht: eine Art Piano-Plauderei, wie sie eigentlich ausgestorben schien. Locker vom Klavierhocker und scheinbar zwanglos-assoziativ. Stichwortgeber ist die Medienwelt selbst. Eine Nachricht, die Werbung, der entlarvende Spruch eines Politikers, ein Modewort. Alles wird mit großer Lust am pointierten Formulieren zerpflückt, gewendet, kommentiert und mit messerscharfer Logik ad absurdum geführt. Das Ganze akustisch angereichert mit improvisierten Tonfolgen zwischen Klassik und Moderne, Jazz und Boogie-Woogie. Keine Frage, mit Rethers kurzweilig-intelligenter, oft hochpolitscher Pianoplauderei ist das deutsche Musikkabarett im 21. Jahrhundert angekommen. Dazu gehört vielleicht auch der unverkrampftere Umgang mit bisherigen Tabuthemen: "Israel, ein ganz normaler Apartheidstaat". Kein Antisemitismus, nirgends. Selten eine klügere Missbilligung jüdischer Politik gehört.

Stillleben mit Baseballschläger und Banane

Nein, für seine Rundumschläge braucht Rether den Baseballschläger, den er sich zu Beginn der Vorstellung auf dem Klavierflügel zurechtgelegt hatte, nicht. Ist er, zusammen mit den Bananen, Hinweis auf gewisse Vorlieben und Eigenheiten der Bürger aus den neuen Bundesländern? Oder Anspielung auf den Uralt-Ossi Nietzsche, der ja auch schon gerne mit dem Hammer philosophierte? Egal, bei Rether wird jeder und alles gekeult, was in unserer postmodernen Spaßgesellschaft irgendwie unangenehm aufgefallen ist: Monika Hohlmeier, die bayerische Kultusministerin, die ihre Kinder in die Waldorfschule schickt ("das ist der Ölscheich, der Solarautos fährt"), Olli Kahn ("ein Mann wie Steffi Graf"), Köhler ("die Steigerung von Kohl"), Schröder ("die Werte gehen, aber Schröder bleibt"), der "Erfinder des Islam" Peter Scholl-Latour ("Ich kenn die Brüder doch") und, und, und. Ausgeklammert bleiben eigentlich nur einige echt überflüssige "Luxusthemen", deren Behandlung Rether jenen Kabarettisten überlässt, denen nichts Besseres mehr einfällt (Aufbauen von Ikearegalen, Frisur von Frau Merkel).

Richtig schwarz wird es, als sich Rether den "Gröpaz" Gunther von Hagens, den Größten Plastinator aller Zeiten, vornimmt, dem der dumme Fehler unterlief, chinesische Hinrichtungsopfer zu plastinieren - angeblich nur, weil es Verständigungsschwierigkeiten gab. Was Rether zum runderneuerten Blödellied von den "Drei Chinesen mit dem Einschussloch" inspirierte. "So ein Schmarrn", hörte ich einen Altachtundsechziger hinter mir schimpfen. Dabei hatte Rether nichts weiter gemacht, als die jüngsten Hervorbringungen des Oberzynikers Dr. H. mit den Mitteln des Musikkabaretts anzuprangern.

Aber warum bis nach China schweifen, wenn man mindestens ebenso begabte Allesvermarkter vor der eigenen Haustür hat? Vor allem dem Deutschrocker Herbert Grönemeyer gelten Rethers ätzendsten Attacken. Sie kommen als Lied-Parodien daher, die genialer nicht sein könnten. "Wann ist ein Mann ein Mann? " knödelt, grölt und kräht er solange, bis kein Auge mehr trocken ist. Dass sich Rether auch mit den "katholischen Mullahs" aus dem Vatikan und deren "gemeingefährlichen" Fatwas, pardon, Enzykliken anlegt - geschenkt; wenn auch manche Papstnummer für den gläubigen Katholiken jenseits der Schmerzgrenze liegen mag. Dass sich Rether aber auch einen Zeitgenossen vom Kaliber eines Michel Friedman vornimmt, das hat man in Deutschland so noch nicht gesehen. Friedman das für ihn abgewandelte Lied des armen jüdischen Milchmanns Tevje aus dem Musical "Anatevka" singen zu lassen ("Wenn ich nicht so reich wär, deidel, didel, deidel, didel, deidel, dei") - das ist, gelinde gesagt, ein Stückchen wiedergefundene Normalität im heutigen deutsch-jüdischen Nebeneinander.

Gegen Ende verwischen sich die Grenzen zwischen kommentierender Plauderei, Satire und surrealer Nonsensblödelei immer mehr. "Sehet die Bischöfe und Kardinäle unter dem Himmel an, sie säen nicht und sie ernten nicht... " Doch selbst beim Kalauern hält Rether das Niveau: "Früher wollte man heim ins Reich, heute will man reich ins Heim. " Wo vom "Turnen bis zur Urne" die Rede ist, darf natürlich auch "Uschi Altglas" und "Jo-Jo" Fischer nicht fehlen. Und für den schnellen Lacher zwischendurch gibt’s öfter einen Witz. Hier der kürzeste: "Der Irak wurde in drei Sektoren aufgeteilt: Super, Normal und Diesel." Es wird Zeit, dass sich das deutsche Feuilleton Gedanken über das Comeback des guten alten Witzes macht.

Man sieht: intelligentes Politkabarett ohne die Ideologielastigkeit altlinker Kabarettisten von ehedem. Also ein Fall von "postkatastrophalem Entertainment", wie es auch Matthias Beltz, der Unbestechliche, bis vor kurzem nach machte. Dass die Generation Golf nicht nur kabarettistische Leichtmatrosen, sondern auch einen Kabarettisten hervorgebracht hat, der den besten das Wasser reichen kann – wer hätte das vor kurzem noch gedacht?

Man hätte Hagen Rether gründlich missverstanden, wenn man ihm menschenverachtende Formulierungen und Zynismus vorwerfen würde. Rether braucht nicht politisch korrekt zu sein, weil er es ethisch-moralisch ist. Sein gebetartiger Sprechgesang "Herr" am Ende seines Soloprogramms zeigt, was er wirklich denkt. Es ist das zu Moll-Akkorden vorgetragene Bekenntnis eines Nihilisten, von denen er sagt, dass ihm die kreativen unter ihnen die Liebsten sind. Es würde mich nicht wundern, wenn der apokalyptisch angehauchte Songtext bald in den Religionslehrbüchern steht.

Herr, wir sind so hohl, wie wir voll sind (...)
Herr, die haben Angst, dass ihre Kinder verhungern
Und wir haben Angst, dass unser Deo versagt
Und dass man uns beim Telefonieren im Auto erwischt.
Herr, wie kriegen wir in ihren Drittweltschädel rein,
Dass Du Europäer bist?


Es sollte der letzte Beitrag des Abends bleiben, denn als Rether das Lied mit einem knappen "Frohe Weihnachten" abschloss, war in Anbetracht der "in Ewigkeit Armen" niemandem mehr nach Zugabe zumute. Lautete nicht auch der Untertitel seines Programms " Friede, Freude, Pustekuchen"? Eben. In Zeiten wie diesen wird dem Mann mit der schwarz-weiß-roten Arbeitsamt-Binde die Arbeit so schnell nicht ausgehen.

In Kürze erscheint Rethers Kabarettprogramm "Liebe" als Live-Mitschnitt auf CD. Dass der Wahl-Essener nicht nur ein brillanter Pianist, sondern auch ein experimentierfreudig-meditativer Komponist ist, der sich souverän zwischen Bach’scher Fugen-Kunst und Keith Jarrett, Scott Joplin und Dave Brubeck bewegt, kann seiner CD "Hauptsache, ich werde gehört" von 1999 entnommen werden. Vom 22.-25. Februar 2005 spielt Rether in Stuttgart, am 2. und 3. März in Köln, am 10. in Augsburg und am 14. und 23. März in München. Sämtliche Auftrittstermine unter www.hagen-rether.de.

Eben erreicht mich die Nachricht, dass Hagen Rether einer der Kabarettisten ist, die am politischen Aschermittwoch im Bundestag in Berlin (9. Februar) auftreten werden. Gegen die geplante "Politiker-Verunglimpfung" protestierte der CSU-Bundestagsabgeordnete Max Staudinger umgehend bei Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, der zugleich auch Schirmherr der Veranstaltung ist. Thierse, dem der Kabarettstandort Deutschland offenbar am Herzen liegt, klärte den bayerischen Abgeordneten ebenfalls schriftlich auf: "Das politische Kabarett ist eine wichtige anspruchsvolle Kunstform, die in einem immer oberflächlicheren Medienumfeld Unterstützung verdient." Na bitte.

Herr Rether, übernehmen Sie.

Konrad Klein


(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 2 vom 31. Januar 2005, Seite 6)

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