29. August 2005

Dringender Handlungsbedarf: Eigentumsrückgabe in Rumänien beantragen!

In Rumänien wurde das Gesetz Nr. 247/2005 über die Reform in den Bereichen Eigentum und Justiz verabschiedet. Die sehr knapp bemessenen Antragsfristen boten den ehemaligen Eigentümern und deren Erben eine allerletzte Chance, bis zum 22. September Ansprüche auf Boden- und Waldrückgabe bzw. Entschädigung geltend zu machen. Diese Frist wurde durch einen Dringlichkeitserlass der rumänischen Regierung bis zum 30. November 2005 verlängert. Wolfgang Wittstock, ehemaliger Parlamentarier und derzeitiger Verlagsleiter der Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien, erläutert im Folgenden das Gesetz und die Möglichkeiten, die es auch den ausgewanderten Siebenbürger Sachsen bietet.
Die Art und Weise, wie das Gesetz Nr. 247/2005 über die Reform in den Bereichen Eigentum und Justiz sowie einige dazugehörige Maßnahmen (kurz: Eigentums-/Justiz-Reformgesetz) zustande kam, hat vor etlichen Wochen für viele Schlagzeilen gesorgt. Es war nicht der Weg, auf dem üblicherweise, nach mehr oder weniger eifrigen Debatten, Gesetze vom Parlament verabschiedet werden. Angewandt wurde in diesem Fall eine seltener benützte Prozedur: Die Regierung stellte im Zusammenhang mit diesem Gesetz die Vertrauensfrage, die Opposition wehrte sich mit einem erfolglosen Misstrauensantrag und rief darauf das Verfassungsgericht an, das - kein Wunder: es war die erste Instanz, die zu dem geplanten Gesetz überhaupt was sagen durfte - tatsächlich in dem sehr umfangreichen Paragraphengewusel etliche verfassungswidrige Formulierungen entdeckte, für die dann auf dem üblichen parlamentarischen Weg Kompromisslösungen gefunden wurden. Worauf der Staatspräsident das Gesetz "promulgieren", d.h. gegenzeichnet konnte.

Das neue Eigentums-/Justiz-Reformgesetz ist möglicherweise der komplexeste und komplizierteste Gesetzestext, der je in Rumänien rechtskräftig wurde. Er umfasst 17 Abschnitte (rumänisch: titluri), von denen zwölf bereits bestehende Gesetze abändern und ergänzen - darunter nahezu alle in den letzten 15 Jahren in Kraft getretenen Restitutionsgesetze sowie drei fundamentale Gesetze für die Organisation und das Funktionieren des Justizwesens. Bei weiteren vier Abschnitten handelt es sich eigentlich um vier neue Gesetze, die entweder bisher in Kraft befindliche Gesetze ersetzen (etwa das Gesetz Nr. 54/1998 über den Erwerb bzw. die Veräußerung von Grundstücken) oder neue Reglementierungen darstellen (etwa über die landwirtschaftliche Leibrente). Ein weiterer Abschnitt enthält Übergangsbestimmungen.

Wesentliche Neuerungen

Im Folgenden wollen wir uns bloß mit einigen wichtigen Aspekten des neuen Gesetzes befassen, die die Restitutionsproblematik betreffen. Viele neue Formulierungen regeln technische Fragen im Zusammenhang mit der Erledigung der Restitutionsgesuche. Es gibt aber auch vom Inhaltlichen her wesentliche Neuerungen. Betont wird weiterhin - stärker als bisher -, dass die Rückgabe von Eigentum, das in der kommunistischen Zeit verstaatlicht wurde, in allen Fällen, wo das möglich ist, in natura zu erfolgen hat. Und wichtig ist desgleichen, dass die bereits vor Jahren abgegebenen Restitutionsgesuche bzw. Notifikationen weiterhin gültig sind und von den zuständigen Stellen bearbeitet werden müssen. Vollkommen neu geregelt wurde die Frage der Entschädigungen für jene Fälle, in denen verstaatlichtes Eigentum nicht in natura rückerstattet werden kann. Die bisher in Kraft befindliche Gesetzgebung sah Entschädigungen z.B. in Form von auf dem Kapitalmarkt notierten Aktien oder von im Privatisierungsprozess einzusetzenden Wertpapieren vor und nur in einigen bestimmten Situationen - bei landwirtschaftlichen Nutzflächen oder Wald oder im Falle von nationalisierten Wohnungen - auch geldliche Kompensationen. Nun soll aufgrund des neuen Gesetzes der Investmentfonds "Proprietatea" (Das Eigentum) geschaffen werden, der mit Anteilen an staatlichen Unternehmen und Unternehmungen bestückt und an der Börse geführt wird. Als Entschädigung sollen die ehemaligen Eigentümer oder deren Erben Anteilscheine (Aktien) dieses Invest-Fonds erhalten, die wann immer veräußert werden können. Diese Regelung hat nicht allgemeine Zustimmung gefunden, da es fraglich ist, ob der reale Wert dieser Aktien ihrem Nominalwert in etwa entsprechen wird oder unter Umständen wertloses Papier darstellt.

Wichtig ist sodann, dass das Eigentums-/Justiz-Reformgesetz mehrere Einschränkungen annulliert, die in der bisherigen Gesetzgebung bezüglich der Größe der rückzuerstattenden Grundstücke existierten. Zwar bleibt es bei der Verfügung des Bodenrückgabegesetzes Nr. 1/2000 (Lupu-Gesetz), dass pro enteigneter Eigentümer höchstens 50 Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche rückerstattet werden können. Bei zu restituierenden Wäldern wurden jedoch die bisherigen Höchstgrenzen - 10 ha bei natürlichen Personen, 30 ha bei kirchlichen Strukturen, etwa Kirchengemeinden - abgeschafft: Jeder erhält soviel Wald zurück, wie ihm bei der Nationalisierung von den kommunistischen Behörden weggenommen wurde. Das Gleiche gilt auch für ehemals kircheneigene landwirtschaftliche Nutzflächen: Kirchengemeinden können nun den gesamten Ackergrund sowie Weiden und Wiesen zurückfordern, die ihnen im Jahr 1945 gehört haben. Gefallen ist auch eine andere Barriere: Laut bisheriger Gesetzgebung über den Erwerb bzw. die Veräußerung von Grundstücken (Gesetz Nr. 54/1998) durfte eine Familie nicht mehr als 200 ha durch Kauf oder Schenkung erwerben. Auf diese Verfügung wurde verzichtet. Auf einem anderen Blatt (Abschnitt VIII) steht allerdings, dass ab 1. Januar 2006 höhere Eigentumssteuern für Grundstücke im außerörtlichen Bereich ("extravilan") fällig sind (z.B. für Ackergrund, je nach Qualitätsklasse, 20 bis 36 neue Lei).

Möglichkeit der Nichtigkeitsklage

Begrüßenswert ist sodann eine Ergänzung des gesetzlichen Rahmens für die Rückgabe von Kirchenvermögen und Vermögen der Gemeinschaften der nationalen Minderheiten: Aufgrund der einschlägigen Normativakte konnten bisher bloß Gebäude im innerörtlichen Bereich ("intravilan") mit dem dazugehörigen Grund rückerstattet werden. Den neuen Regelungen zufolge sind nun auch innerörtliche unbebaute Grundstücke restitutionsfähig, desgleichen Grundstücke und Gebäude im außerörtlichen Bereich. Restitutionsgesuche, die Immobilien der letztgenannten Kategorie betreffen, werden von der Sonderkommission für die Rückgabe des Kirchenvermögens und des Gemeinschaftsvermögens der nationalen Minderheiten an die auf kommunaler Ebene eingerichteten Kommissionen weitergeleitet, die für die Rückgabe von landwirtschaftlichen Flächen und Wäldern zuständig sind.

Das Eigentums-/Justiz-Reformgesetz Nr. 247/2005 wurde am 22. Juli d.J. im "Monitorul Oficial" veröffentlicht. Laut Verfassung (Paragraph 78) treten Gesetze drei Tage nach ihrer Veröffentlichung oder zu einem späteren Zeitpunkt, der im Gesetz angegeben ist, in Kraft. Letzteres ist hier nicht der Fall, das neue Gesetz ist am 25. Juli rechtskräftig geworden. Das Datum ist wichtig, weil es den Beginn von im Gesetz angegebenen Fristen markiert. Etliche davon sind sehr knapp bemessen. Beispielsweise wurde durch die Novellierung des Bodenrückgabegesetzes Nr. 1/2000 (Lupu-Gesetz) eine neue Antragsfrist eingeführt. Natürliche und juristische Personen, die es versäumt hatten, innerhalb der vom Gesetz Nr. 169/1997 und vom ursprünglichen Lupu-Gesetz (Nr. 1/2000) festgelegten Termine Gesuche für die Rückgabe von landwirtschaftlichen Nutzflächen und Wäldern sowie die dazugehörigen Beweisstücke abzugeben, können das nun innerhalb von 60 Tagen (bis 22. September) nachholen (Paragraph 33/1 des neuformulierten Lupu-Gesetzes). Die gleiche Frist gilt auch für die Fälle, in denen die Differenz an landwirtschaftlicher Nutzfläche und Wald beantragt wird, die auf Grund der neuen Regelungen rückerstattet werden kann (Paragraph III des gleichen Gesetzes). Wünschenswert wäre eine Verlängerung der Antragsfrist für die beiden angeführten Situationen zumindest bis zum Jahresende, damit alle potentiellen Interessenten, einschließlich der im Ausland lebenden rumänischen Staatsbürger, die Chance erhalten, von diesen Regelungen Gebrauch zu machen. Neue sechsmonatige Antragsfristen, die am 25. Januar 2006 auslaufen, wurden auch in die Normativakte aufgenommen, die die Rückgabe des enteigneten Kirchenvermögens (Dringlichkeitsverordnung Nr. 94/2000) und der Immobilien, die Gemeinschaften nationaler Minderheiten gehörten (Dringlichkeitsverordnung Nr. 83/1999), regeln.

Bei der bisherigen Anwendung der Restitutionsgesetzgebung kam es zu zahlreichen Missachtungen und Übertretungen der einschlägigen Verfügungen. Zahlreiche Immobilien wurden auf gesetzwidrige Weise veräußert, und die ehemaligen Eigentümer hatten das Nachsehen. Bereits das allgemeine Immobilienrückgabegesetz Nr. 10/2001 hatte allerdings den Geschädigten die Möglichkeit geboten, innerhalb einer bestimmten Frist bei den zuständigen Gerichtsinstanzen Nichtigkeitsklagen einzureichen. Auch das neue Eigentums-/Justiz-Reformgesetz enthält an mehreren Stellen derartige Verfügungen. Im novellierten Gesetz Nr. 10/2001 steht nun wieder ein Paragraph, der besagt, dass innerhalb von zwölf Monaten nach Inkrafttreten des Gesetzes oder fallweise nach Kenntnisnahme der Veräußerung beim Kreisgericht, in dessen Zuständigkeit die umstrittene Immobilie liegt, Nichtigkeitsklagen erhoben werden können. Im Falle der novellierten Fassungen der Dringlichkeitsverordnungen Nr. 94/2000 und Nr. 83/1999, die die Rückgabe von Immobiliarvermögen der Kirchen und der Gemeinschaften der nationalen Minderheiten behandeln, erlischt sechs Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes der Anspruch auf den Instanzenweg. Auch in die nun abgeänderten Gesetze über die Bodenrückgabe wurden Paragraphen aufgenommen, die die Annullierung der unrechtmäßigen Zuteilung bzw. Veräußerung von Grundstücken per Gerichtsurteil möglich machen. Es empfiehlt sich, in derartigen Fällen vertrauenswürdige Rechtsanwälte zu Rate zu ziehen.

Missverständliche Formulierung

Nicht alle Änderungen, die das neue Eigentums-/Justiz-Reformgesetz einführt, sind zu begrüßen. Ein Beispiel ist die neue Regelung des Lupu-Gesetzes für den Fall, dass ein Grundstück von zwei ehemaligen Eigentümern beansprucht wird. Derartige Situationen kommen bei unseren im Jahr 1945 totalenteigneten Landsleuten nicht selten vor, weil deren Grund und Boden im Zuge der Bodenreform zum Teil anderen berechtigten Personen (Kriegsveteranen, Kriegswitwen, Bauern mit wenig Grundeigentum etc.) ins Eigentum übergeben wurde, die ihn dann in die Kollektivwirtschaften eingebracht haben. Die bisher gültige Regelung sah vor, dass in derartigen Fällen beide Antragsteller Grund und Boden erhalten. Falls aber nicht genügend Boden vorhanden ist, sollte der ursprüngliche Eigentümer bei der Rückgabe in natura bedient und der zweite entschädigt werden. Diese Verfügung wurde annulliert. An ihre Stelle trat ein Paragraph, der Folgendes verfügt: Falls ein Grundstück von zwei Personen beansprucht wird, von denen die eine der ursprüngliche Eigentümer, dessen Boden in den Jahren 1945-1990 auf Grund willkürlicher Maßnahmen vom Staat übernommen wurde, und die zweite die Person ist, der dieser Boden übereignet wurde, so erhalten - wie auch bisher - beide Antragsteller, falls genügend Bodenreserven vorhanden sind, Grund und Boden in natura. Falls aber die Ressourcen nicht ausreichen, so erhält das Grundstück jene Person, die im Jahr 1990 die Eigentumsakten besaß, und jene Person, der das Grundstück später zugesprochen wurde, wird entschädigt. Diese Regelung kann zu Missverständnissen führen und kann für unsere siebenbürgisch-sächsischen und banatschwäbischen Landsleute nachteilig ausgelegt werden, denn diese galten im Jahr 1990 auf Grund des Bodenreformgesetzes Nr. 187/1945 als enteignet, während die im Jahr 1945 Begüterten, die mit diesem Boden in die Kollektivwirtschaften eintraten, vom juristischen Standpunkt 1990, vor Auflösung dieser Wirtschaften, die Eigentümer des Bodens waren. Wünschenswert wäre darum eine Rückkehr zum Status quo ante.

Das große Problem bei der Art und Weise, wie die Restitution des vom kommunistischen Staat konfiszierten Privateigentums bisher gehandhabt wurde, waren, zumindest seit Inkrafttreten des Bodenrückgabegesetzes Nr. 1/2000 und des allgemeinen Immobilienrückgabegesetzes Nr. 10/2001, weniger diese Gesetze und die darin enthaltenen Verfügungen, als vielmehr deren schleppende, sehr zögerliche Anwendung durch die zuständigen Ämter und Behörden. Bleibt zu hoffen, dass sich durch das Inkrafttreten des neuen Eigentums-/Justiz-Reformgesetzes die Situation zum Besseren wenden wird. Zahlreiche Paragraphen, die eine korrekte, beschleunigte Durchführung der Restitutionsprozeduren bezwecken, wurden in den Gesetzestext eingebaut. Dazu gehört auch ein Abschnitt, dessen Verfügungen darauf abzielen, dass die Gerichtsinstanzen die zahlreichen Prozesse in Sachen Bodenrückgabe schneller als bisher erledigen.

Die landwirtschaftliche Leibrente

Abschnitt XI des Eigentums-/Justiz-Reformgesetzes Nr. 247/2005 instituiert die landwirtschaftliche Leibrente (renta viagera agricola) und den Status des landwirtschaftlichen Leibrentners (rentier agricol). Jede natürliche Person, die das 62. Lebensjahr erfüllt hat und Eigentümer von bis zu 10 Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche ist, erhält den Ausweis eines landwirtschaftlichen Leibrentners, falls sie ihren Grund und Boden veräußert oder verpachtet. Infrage kommen bloß Grundstücke, die nach dem Jahr 1990 noch nie veräußert wurden. Eheleute können gleichfalls landwirtschaftliche Leibrentner werden, falls zumindest einer der Partner mindestens 62 Jahre alt und ihr Grund und Boden gemeinsames Eigentum ist.

Die landwirtschaftliche Leibrente beträgt den Gegenwert in Lei von 100 Euro/Jahr für jeden veräußerten Hektar Boden und von 50 Euro/Jahr für jeden verpachteten Hektar Boden. Diese Rente wird für ein ganzes Jahr in einer einzigen Rate im ersten Trimester des nächsten Jahres bezahlt. Die dafür nötigen Fonds werden aus dem Staatshaushalt bereitgestellt. Der landwirtschaftliche Leibrentner kann eine Fläche von 0,5 Hektar als Eigentum für den eignen Gebrauch behalten.

Der Zweck dieser Verfügungen ist, landwirtschaftliche Flächen in modernen, rentablen Landwirtschaftsbetrieben zusammenzuführen und auf diese Weise das Niveau der rumänischen Landwirtschaft jenem in den EU-Mitgliedsstaaten anzugleichen.

Wolfgang Wittstock

(Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien, 24. August 2005)

Weitere Artikel zu ähnlichen Themen:

Praktische Tipps für Eigentumsrückgabe in Rumänien, Siebenbürgische Zeitung Online, 31. August 2005

Eigentumsrückgabe in Rumänien bleibt problematisch, Siebenbürgische Zeitung Online, 30. April 2005

Entwicklung des Häuserrückgaberechts in Rumänien, Siebenbürgische Zeitung Online, 26. November 2001

Bewerten:

2 Bewertungen: ++

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.