25. März 2007

Bildhauerin Annemarie Suckow von Heydendorff zum 95. Geburtstag

Auf kulturellem Gebiet nahm bei den Siebenbürger Sachsen, deren Land nach dem Ersten Weltkrieg zu Rumänien kam, die Musik einen wichtigen Platz ein. Bauern sangen ihre Volkslieder im Dialekt, und in der Stadt waren es Gesangvereine und Sinfonieorchester von Laien, die den Ausübenden Freude bereiteten und das Publikum in Konzerten und Opernaufführungen begeisterten. Für Bürgerfamilien gehörte es zum guten Ton, dass Töchter und Söhne privaten Klavierunterricht erhielten oder Geige spielen lernten. In Höheren Schulen waren Chöre und Kapellen von Streich- und Blasinstrumenten beliebt. Moderne Schlager fanden bald Eingang in Siebenbürgen und wurden von Laien auf Bällen und Tanztees gespielt. Hingegen spielten die Bildenden Künste eine Nebenrolle.
Malerei, Zeichnung und Grafik führten ein Schattendasein und galten vor allem den Zeichenlehrern als Hobby. Freie Maler konnten vom Erlös ihrer Bilder nicht leben. Und die Skulptur? Anders als z. B. in der Gotik in Frankreich und Deutschland gab es an den Kirchen in Siebenbürgen keine Plastiken. Figurale Denkmäler auf Plätzen unter freiem Himmel waren eine Seltenheit. Und wer ließ sich schon in Bronze, Stein, Holz oder Ton porträtieren oder stellte sich Kleinplastiken in seine Wohnung? Der Beruf des Bildhauers war also in diesem südostdeutschen Land nicht gefragt.

Annemarie Suckow von Heydendorff: „Rechtsanwalt Dr. Hermann Suckow“ (geboren am 21.2.1904 in Lyck/Ostpreußen, gestorben am 20.4.1980 in Bonn), Bronze, 1975, Privatbesitz
Annemarie Suckow von Heydendorff: „Rechtsanwalt Dr. Hermann Suckow“ (geboren am 21.2.1904 in Lyck/Ostpreußen, gestorben am 20.4.1980 in Bonn), Bronze, 1975, Privatbesitz
Als bekannt wurde, dass 1932 eine 20-jährige Siebenbürger Sächsin an der Bukarester Kunstakademie die Aufnahmeprüfung bestanden hatte, um Bildhauerei zu studieren, bedeutete das für viele Landsleute geradezu eine Sensation. Diese junge Studentin, die Bildhauerin werden wollte, war Annemarie von Heydendorff aus Mediasch. 1935 erwarb sie das Diplom als Akademische Bildhauerin. Kurz danach heiratete sie den Rechtsanwalt Dr. Hermann Suckow und folgte ihm in dessen Heimatstadt Allenstein in Ostpreußen.

Neben ihren familiären Verpflichtungen nahm ihr künstlerisches Schaffen einen wichtigen Platz ein. Es entstanden zahlreiche Porträts und figurale Plastiken, u. a. eine Madonna für die Kapelle des katholischen Fürsorgevereins zu Königsberg. Für den Entwurf des Märchenbrunnens am Allensteiner Fischmarkt wurde sie mit dem ersten Preis ausgezeichnet.

1945 traf auch sie wie Hunderttausende Ostdeutsche das Schicksal: Mit ihren kleinen Kindern flüchtete sie vor dem herannahenden sowjetrussischen Militär, während sich ihr Mann im Kriegseinsatz befand und anschließend in Gefangenschaft geriet. Bis 1948, als Hermann Suckow aus der Gefangenschaft nach Bonn entlassen wurde, dort eine Rechtsanwaltpraxis gründete und die Familie zusammenführte, fristete Annemarie Suckow von Heydendorff mit ihren drei Töchtern ein entbehrungsreiches Leben, öfters zu Orts- und Wohnungswechsel gezwungen.

Annemarie Suckow von Heydendorff: „Die Ausgewiesenen“, Terracotta, 1965, Gabe zum Jahr der Menschenrechte.
Annemarie Suckow von Heydendorff: „Die Ausgewiesenen“, Terracotta, 1965, Gabe zum Jahr der Menschenrechte.

In Bonn konnte die Bildhauerin wieder mit ihrem künstlerischen Schaffen beginnen und sich zu hohen Leistungen aufschwingen. In der damaligen Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland boten sich Gelegenheiten, Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Kultur zu porträtieren. Von ihnen, deren Bildnisse die Künstlerin in Bronze, Ton und anderen Materialien schuf, seien genannt: Bundesministerin Dr. Elisabeth Schwarzhaupt, der Erste Sprecher der Landsmannschaft Ostpreußen, Staatssekretär Dr. Ottomar Schreiber, der Bonner Oberbürgermeister Dr. Wilhelm Daniels, Professoren und Künstlerkollegen. Figurale Plastiken entstanden als kleine Bronzen und groß angelegte Denkmäler unter freiem Himmel.

Als Modelle dienten der Künstlerin vorwiegend junge Menschen mit ihrer Frische und Lebendigkeit. Diese Eigenschaften gelten auch für die Künstlerin selbst und haben sich bis in ihr hohes Alter erhalten ebenso ihr Optimismus – trotz Schicksalsschlägen. Eine Augenoperation, bei der dem behandelnden Arzt ein schwerwiegender Fehler unterlief, führte zur Erblindung. Das Œuvre der Bildhauerin hatte gerade den Höhepunkt erreicht und war nun beendet. Bewunderer der Künstlerin rieten ihr, sie möge Abgüsse ihrer Bronzen machen lassen. Doch Annemarie Suckow von Heydendorff lehnte dies ab. Sie könne Abgüsse wegen ihrer Blindheit nicht überprüfen, bearbeiten und ihnen den letzten Schliff geben. Dadurch ergäben sich keine vollgültigen Werke mehr, die sie guten Gewissens anbieten könnte. Welch großartige, seltene Haltung im kapitalistischen Staat in unserer materialistischen Zeit! Ausgestellt waren ihre Arbeiten in ganz Deutschland und im Ausland (Frank- reich, Spanien, Österreich, Belgien), natürlich in Rumänien, Ostpreußen und im Rheinland. Ihre Werke befinden sich nicht nur in Privatbesitz, sondern auch in Museen und Kulturinstituten. 1973 wurde sie mit dem Kulturpreis der Landsmannschaft Ostpreußen ausgezeichnet, drei Jahre danach folgte der Siebenbürgisch-Sächsische Kulturpreis.

Die Bonner Bildhauerin aus Siebenbürgen und Ostpreußen gilt als Künstlerin der Jugend. Doch auch Krieg, Flucht, Entbehrung und Abschied haben ihr Schaffen inspiriert. Da gibt es neben jugendlichen Figuren in Bronze (dem „Kind mit Hut“, der „Zehnjährigen“, dem „Sich kämmenden Mädchen“, dem „Sitzenden Knaben“, den „Freundinnen“ und zahlreichen Kinderporträts) auch die „Flüchtlingsmutter“ (1950, Terracotta, Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg), „An der Mauer“ (1962, Bronze, Bundesministerium des Inneren, Bonn), „Die Ausgewiesenen“ (1965, Terracotta, Gabe zum Jahr der Menschenrechte), „Abschied“ (1975, Bronze, Privatbesitz), „Flüchtende“ (1959, Bronze, Stadt Delmenhorst) u. a. 1966 entstand des Ehrenmal für die Gefallenen der 16. Panzerdivision Vossenack/Hürtgenwald. Anders als „Kriegerdenkmale“, die die Frontsoldaten als Helden darstellen, verstand die Bonner Künstlerin ihr Denkmal als eines der Kameradschaft. Sie gestaltete Werke der Menschlichkeit, der Versöhnung, der Trauer, bar aggressiver und revanchistischer Gefühle.

Wenn die Künstlerin nun – am 21. März feiert sie ihren 95. Geburtstag – in Gedanken 75 Jahre zurückgeht, als sie ihr Bildhauerstudium in Bukarest entgegen der siebenbürgischen Tradition begann, wird ihr vielleicht zum Bewusstsein kommen, wie sie auf ihrem Weg durch Tiefen und über Höhen zur bedeutenden modernen deutschen Künstlerin geworden ist.

Günther Ott (KK)

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 5 vom 31. März 2007, Seite 7)

Schlagwörter: Künstler, Porträt

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