30. Juni 2000

Widerstand gegen kulturellen Kahlschlag

"Bei einer Podiumsdiskussion in Dinkelsbühl haben zahlreiche Siebenbürger Sachsen die Sparpläne der rot-grünen Bundesregierung aufs Heftigste kritisiert. Bund und Länder sind gemäß § 96 des Bundesvertriebenen- und Flüchtlingsgesetzes (BVFG) verpflichtet, das "Kulturgut der Vertreibungsgebiete" zu fördern. Dessen ungeachtet will Staatsminister Michael Naumann durch eine so genannte Neukonzeption gewachsene regionale Einrichtungen zentralisieren und die kulturelle Breitenarbeit fast gänzlich zusammenstreichen. Vor allem die Siebenbürger, die etwa zur Hälfte nach dem Umbruch von 1989 ausgesiedelt sind und ein außerordentliches reges Kulturleben in Deutschland entfalten, fühlen sich von den massiven Kürzungen existenziell bedroht. Auch die Jugend sieht sich mangels Finanzierung außer Stande, Traditionen und andere kulturelle Werte weiterzuführen, Seminare und Informationen anzubieten oder den Austausch zwischen Jugendgruppen zu organisieren."
Im Falle der Siebenbürger Sachsen sei durch die bundesweite Zerstreuung die Pflege des gemeinsamen Kulturgutes besonders notwendig, da sie eine Brückenfunktion in doppelter Hinsicht ausüben: sowohl bei der Integration in Deutschland als auch hin nach Siebenbürgen, was im Zuge des zusammenwachsenden Europas besonders wichtig sei. Dies stellte einführend die Moderatorin der Podiumsdiskussion, Karin Servatius-Speck, stellvertretende Bundesvorsitzende der Landsmannschaft, fest. Dass die Siebenbürger ein großer Gewinn für ihre neue Heimat seien, werde von Politikern aller Couleur anerkannt, ihre Integration sei im Laufe der letzten 50 Jahre vorbildlich verlaufen. Dafür bedankte sich die stellvertretende Bundesvorsitzende ausdrücklich bei Bund, Ländern und den aufnehmenden Kommunen, aber auch bei den eigenen Landsleuten.
Bund und Länder sind gemäß § 96 des Bundesvertriebenen- und Flüchtlingsgesetzes (BVFG) verpflichtet das "Kulturgut der Vertreibungsgebiete im Bewusstsein der Vertriebenen und Flüchtlinge, des gesamten deutschen Volkes und des Auslandes" zu erhalten, zu sichern, zu ergänzen und zu fördern. Daraus ergebe sich ein "klar definierter gesetzgeberischer Auftrag" für Bund und Länder, so Rechtsanwalt Klaus Fabritius, stellvertretender Bundesvorsitzender der Landsmannschaf. Das Gesetz enthalte zudem eine wertende Reihenfolge, wer Adressat der Leistung sein solle: die Vertriebenen, das deutsche Volk und das Ausland. Der Text beinhalte hingegen keine Ermächtigungsgrundlage für die Exekutive, deren Teil der Bundeskulturminister sei, den Inhalt des Gesetzes auszugestalten. Deren Ausführungsbestimmungen würden nun durch Naumanns Neukonzeption erheblich geändert - und diese Änderungen müssten sich, so Rechtsanwalt Fabritius, "an dem Wortlaut des Gesetzestextes messen lassen, wenn nötig, sogar in einer gerichtlich überprüfbaren Art und Weise."
Durch die so genannte Neukonzeption Naumanns, die zunächst 1999 und in einer zweiten Fassung am 15. Mai 2000 vorgelegt wurde, sollen die vielfältigen Institutionen der Vertriebenen und Aussiedler neu strukturiert und Doppelarbeit vermieden, das "Phänomen der Selbstreferentialität" abgebaut sowie die Museums- und Forschungsarbeit professionalisiert werden. "Die bislang üppig geförderte Breitenarbeit soll mit den musealen und wissenschaftlichen Aufgaben so weit wie möglich verzahnt werden." Als Leitlinien der zukünftigen Förderung nach § 96 BVFG legt das Naumann-Papier u.a. eine Neuorientierung nach dem Regionalprinzip fest. So soll das Siebenbürgische Museum nach Ulm "umgezogen werden", wo sich bereits das Donauschwäbisches Museum befindet. Die Donauschwaben waren zwar rein geographisch in der Nähe Siebenbürgens angesiedelt, aber die kulturgeschichtlichen Gemeinsamkeiten sind doch nicht so groß, als dass sie ein gemeinsames Museum rechtfertigen würden.
Die vier verbliebenen der ursprünglich 12 Kulturreferenten der Landsmannschaften sollen künftig alle Regionen betreuen. Die Siebenbürger Sachsen haben erst seit 1987 einen eigenen Kulturreferenten, ohne dessen koordinierende Arbeit auf Bundesebene die große Zahl der ehrenamtlich Kulturtätigen (übrigens die höchste unter den Landsmannschaften in Deutschland) ebenfalls bedroht ist, wie Frau Servatius-Speck betonte. Nach Bekanntgabe des Papiers hat die Landsmannschaft durch ihren Bundesvorsitzenden Dürr wichtige Stellen der Bundesländer angeschrieben und auf die Gefahr verwiesen, dass ihre Kulturarbeit zum Erliegen kommt.
Während die kulturelle Breitenarbeit der Siebenbürger Sachsen in "guten Zeiten" mit rund 200 000 DM gefördert wurde (110 000 für den Kulturreferenten und Sachkosten sowie 90 000 für Veranstaltungen, bei einer Eigenleistung der Landsmannschaft von ca. 30 000 DM), fiel dieser Betrag 1999 auf nur noch 130 000 DM (bei einer Eigenleistung von 100 000 DM). Die siebenbürgische Landsmannschaft ist dabei auch auf unvorhersehbaren Kosten sitzen geblieben. Der Bund sagte zwar für 1999 einige kulturelle Maßnahmen zu, bearbeitete jedoch die Anträge bis zum heutigen Tag nicht. Da es sich gleich um mehrere Fälle dieser Art handelt, liegt der Verdacht nahe, dass hier eine neue deutsche Verwaltungspraxis angewendet wird, die aber eher balkanischen Gepflogenheiten entspricht.
Ministerialrat Bruno Lischke vom bayerischen Sozialministerium erinnerte an den wenig professionellen Weg, den das Naumann-Papier zurückgelegt hat. Im September 1999 gelangte die "Neukonzeption" in den Kulturausschuss des Bundestages, nachdem sie weder mit den Ländern noch mit den Verbänden abgesprochen worden war. Massive Einwände machten ein umfangreiches Anhörungsverfahren nötig, am 15. Mai dieses Jahres wurde schließlich eine überarbeitete Fassung ("Naumann II") vorgelegt. Diese sei zwar weniger emotional, Fachwissen sei hinzugekommen, aber die Tendenz habe sich grundsätzlich nicht geändert. Der Paragraph 96 formuliere, so Lischke, eigentlich pure Selbstverständlichkeiten. "Wenn wir den Paragraphen nicht hätten, wüssten wir auch nicht anders zu agieren, als wir es getan haben. Es ist doch selbstverständlich für einen Kulturstaat, für eine Kulturnation, dass sie ihre Kultur pflegt - zu der nicht nur die in West- und Mitteldeutschland, sondern auch jene der Auslandsdeutschen gehört." Das Papier spreche zwar sehr viel von Museen, Dokumentation, internationalem Kulturaustausch, was sehr positiv sei, der Begriff Volkskultur oder kulturelle Breitenarbeit komme jedoch zu kurz. Gerade die Volkskultur sei "ein unendlicher Schatz des deutschen Volkes, den man pflegen und weiterführen muss", betonte Lischke. Durch die Streichung der Kulturreferentenstelle verzichte man auf eine aktive Förderung der kulturellen Breitenarbeit. Zudem habe Naumann ein elitäres Kulturverständnis und wolle ein gerüttelt Maß an Zentralismus schaffen. Sein Papier stelle Professionalität an oberste Stelle, Ehrenamtliche hätten keine Berechtigung. Aber statt zwei oder drei neue Kulturreferenten einzurichten, entziehe man den Landsmannschaften den "professionellen" Kulturreferenten. Dieser Widerspruch zeige, dass die kulturelle Breitenarbeit nicht "professionalisiert", sondern "unter einer ganz verwaschenen Prämisse der Europäisierung" zusammengestrichen werden soll. Im Papier werde kein lebendiges, sondern ein "museales" Kulturverständnis verfolgt: Kulturarbeit und Referenten sollten nachVorstellung Naumanns den Museen zugeordnet werden.
Prof. Berthold Köber vom Theologischen Institut in Hermannstadt brachte einen erfreulich umfassenden siebenbürgisch-sächsischen Kulturbegriff zur Sprache: "Unser Volk ist die Gemeinschaft aller Siebenbürger Sachsen, die sich zu ihrer Herkunft, ihrer Geschichte und Sprache bekennen, unabhängig, wo sie wohnen, in Siebenbürgen, Deutschland, Kanada oder sonstwo auf der Welt." Deshalb sei das "ganze Volk", also auch die evangelische Landeskirche in Rumänien, von den angekündigten Maßnahmen des BKM "existentiell betroffen". Die Kirche habe viele Kulturgüter zu verwalten, sei aber als kleine Gemeinschaft auf die tatkräftige Hilfe der Siebenbürger Sachsen in anderen Ländern angewiesen, um diese gemeinsame Aufgabe anzugehen. Dass sich die Kirche für lebendige Kultur eingesetzt, habe sie auch in den letzten 50 Jahren durch die Pflege von Traditionen, Brauchtum, Volksfesten bewiesen. Vieles wäre eingebrochen, wenn sich die Kirche nicht dafür eingesetzt hätte. Und: "Ein Volk braucht, um ein Volk sein zu können, Möglichkeiten der Identifikation, Selbstvergewisserung und Orientierung." Kulturarbeit sei in diesem Sinne identitätsstiftend. "Wenn uns diese Kultur genommen wird oder unsere Kulturarbeit unmöglich gemacht wird, bedeutet das, dass wir auf lange Sicht als Volk verschwinden werden", betonte Köber. Zudem entwickele sich Kultur und vor allem jene der Siebenbürger Sachsen durch Begegnung, durch Interferenz mit anderen Völkern. Ein Zurücknehmen der Kulturarbeit würde also deren Weiterentwicklung gefährden.
Den Standpunkt eines engagierten Denkmalpflegers brachte Dr. Christoph Machat, Vorsitzender des Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturrates, ein. Die gebaute Kultur der Siebenbürger Sachsen befinde sich in Rumänien. Machat rief die Siebenbürger auf, sich dieses Schatzes bewusst zu werden sowie die Reparatur von Kirchenbauten und die Herausgabe der Denkmaltopographie der ehemals siebenbürgisch-sächsischen Ortschaften zu unterstützen. Er kritisierte, dass das Naumann-Papier über gewachsene Strukturen in Gundelsheim einfach hinweggehe. Ein eventueller Umzug nach Ulm entziehe dem Siebenbürgischen Museum den Zugriff auf die Dokumentationsstelle, die eine wissenschaftliche Arbeit erst möglich mache. Die Einrichtungen in Gundelsheim könnten durchaus den "professionellen" Ansprüchen, die sich Naumann wünsche, standhalten. Seinen Landsleuten führte Machat vor Augen, dass sie in den "fetten Jahren" wenig getan hätten, um ihre Institutionen auszubauen, um so härter werden sie nun von den Sparmaßnahmen getroffen.
Argumente der Jugend führte Margot Wagner, Kulturreferentin der Siebenbürgisch-Sächsischen Jugend in Deutschland (SJD), an. Siebenbürgische Kultur müsse der Jugend nahe gebracht und schmackhaft gemacht werden, dazu fehlten aber die Mittel. Größtes Problem der SJD sei die mangelnde Finanzierung, um Brauchtum, Traditionen und andere kulturelle Werte weiterzuführen, Seminare und Informationen anzubieten oder den Austausch zwischen Jugendgruppen zu organisieren. Bis vor einigen Jahren habe es jährlich mehrere Jugendseminare gegeben, als einzige größere Veranstaltung werde jetzt nur noch der siebenbürgische Volkstanzwettbewerb abgehalten. Das sei viel zu wenig angesichts der rund aktiven 50 Kinder-, Jugend- und Erwachsenentanzgruppen, die es in Deutschland gebe. Fazit der Jugendvertreterin: "Wenn unsere Generation die siebenbürgisch-sächsische Kultur nicht erlernen und weitergeben kann, dann sterben die Siebenbürger Sachsen aus."
Ernstzunehmende Argumente aus dem Publikum verdeutlichten, dass die Siebenbürger Sachsen die derzeitige Lage mit viel Realismus sehen und gewillt sind, ein gewisses Maß an Sparmaßnahmen hinzunehmen und ihre Kulturarbeit durch aktive Selbsthilfe - die bei den Siebenbürgern längst selbstverständlich ist - voranzutreiben. Erwähnt wurden die Siebenbürgisch-Sächsische Stiftung, die - wie Dr. Günter von Hochmeister ausführte - diesbezügliche Anträge entgegennimmt, ferner die Heimatortsgemeinschaften und die Stiftung Siebenbürgische Bibliothek, die einen Fonds von 4 Millionen Mark aufbauen will, u.a. um langfristig die Anstellung von zwei festen Mitarbeitern in Gundelsheim zu ermöglichen.
Bundesvorsitzender Volker Dürr erinnerte in seinem Schlusswort daran, dass die siebenbürgische Landsmannschaft auf ihrem Verbandstag 1999 beschlossen habe, im Rahmen ihres Sozialwerks einen Kulturfonds einzurichten. Dies sei die "Bastion, auf die wir künftig unsere kulturelle Breitenarbeit stellen sollten". Ein Teil der Mitgliedsbeiträge fließe bereits in diesen Fonds ein.
Die Siebenbürger Sachsen wollen aber auch die staatlichen Stellen und vor allem die Bundesregierung in die Pflicht nehmen, sich an die Gesetze zu halten. Als gewissenhafte Bürger und Steuerzahler dieses Landes haben sie auch einen Anspruch darauf. Bundesgeschäftsführer Erhard Graeff wies beispielsweise auf die rund 100 000 Siebenbürger Sachsen hin, die in Bayern leben, und äußerte die Hoffnung, dass sich der Freistaat, der sich traditionell den Vertriebenen und Aussiedlern verpflichtet fühlt, die siebenbürgische Kulturarbeit angemessen fördern werde, so wie das Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen bereits tun. Ministerialrat Lischke ließ diesbezüglich Dialogbereitschaft erkennen und verwies zudem auf ein Jugendbegegnungszentrum, das derzeit mit bayerischer Hilfe in Hermannstadt gebaut wird. Dort könnten Jugendliche aus Deutschland mit siebenbürgisch-sächsischer Kultur in Verbindung kommen.
An ihre "alte Heimat", an die aufgezwungene Rolle als Minderheit in einem totalitären Staat, haben sich viele Siebenbürger durch die Vorstöße von Bundeskulturminister Michael Naumann erinnert gefühlt. Ein Dialog wird ihnen verwehrt. So ließ sich auch bei der Podiumsdiskussion am 12. Juli kein Beamter des BKM blicken. Es wird auch wenig differenziert. Ein ideologischer Feldzug, der den Vertriebenen gilt, soll auch die Siebenbürger Sachsen treffen. Dabei wird weder bedacht, dass fast die Hälfte der 250 000 Siebenbürger erst nach der Wende gekommen sind und sich in relativ kurzer Zeit gut integriert haben, noch dass sie jemals in Genuss von "üppigen Förderungen" gekommen sind, wie im Naumann-Papier pauschal behauptet wird. Der Zustand einer Republik ist bedenklich, wenn sich eine Minderheit, wie es die Siebenbürger Sachsen nun mal sind, ständig durch Gerichtsvefahren zur Wehr setzen muss. Die SPD hetzte gegen sie und andere Aussiedler 1996 im Wahlkampf des Landes Baden-Württemberg, die Ära Kohl brachte die Fremdrentenkürzungen, die am 16. Dezember 1999 durch das Bundessozialgericht in Kassel als verfassungswidrig bewertet wurden. Dass das Tor für Aussiedler aus Rumänien längst nicht mehr offen ist, wie es schwarze und rote Politiker noch vor wenigen Jahren zugesichert hatten, bedeutet einen weiteren eklatanten Wortbruch. Seit dem Antritt der rot-grünen Regierung kommt nun der Fall Naumann hinzu.
Walther Geert von Simmons betonte, dass die siebenbürgische Kultur- und insbesondes die Jugendarbeit Werte vermittelt, die zum Funktionieren der Gesellschaft äußerst wichtig seien. Es sei falsch gerade in diesem Bereich zu sparen, da in Zukunft weit größere Ausgaben für Polizei und Justiz zu erwarten seien. Auch Hannelore Scheiber, stellvertretende Vorsitzende der Landesgruppe Bayern, apellierte an Bund und Länder, "unsere Sorgen" bezüglich Jugendarbeit ernst zu nehmen. Johann Lauer betonte, dass die staatliche Förderung für die Siebenbürger Sachsen auch deshalb nötig sei, weil diese eine "gewachsene Kultur der Selbständigkeit" mitbringen.
Dass die Stimmung unter den Siebenbürgern infolge der verantwortungslosen Kulturpolitik der Bundesregierung derzeit äußerst gereizt ist, verdeutlichte Ernst Prediger aus dem Publikum. Er schloss eine Unterschriftensammelaktion und Kundgebungen in Berlin nicht aus. Ein gegen die Bundesregierung gerichteter Protest wäre neu für die Siebenbürger. Ihre letzte große Demonstration im Jahr 1982 vor dem Kölner Dom war gegen die Willkür von Diktator Ceausescu gerichtet.
Siegbert Bruss

Bewerten:

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.