30. Juni 2000

Vergangenheit und Zukunft staunend im Blick

In seinem Festvortrag auf dem diesjährigen Heimattag der Siebenbürgen in Dinkelsbühl geht Prof. Dr. Harald Zimmermann aus Anlass des Pfingsttreffens der Frage nach, was aus dem historischen Erbe der Siebenbürger Sachsen des Bewahrens wert sei. Der bekannte Mediävist fordert den „Abschied von Nostalgie“ bei der Bewertung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Auf den Heimattag in Dinkelsbühl hat der bekannte Historiker und Mediävist Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Harald Zimmermann einen denkwürdigen und bewegenden Vortrag zur Existenzbestimmung der Siebenbürger Sachsen gehalten. Er ging dabei von Jubiläen aus, die in diesem Jahr gefeiert wurden oder gefeiert werden. Der Text seines Vortrags wird hier vollinhaltich abgedruckt.

Dass es Nullen gibt in der Welt, viele Nullen, liebe Landsleute, das ist „wahnsinnig“ wichtig für die Weltgeschichte. Man kann daraus nämlich Jubiläen machen. Es kommt nur darauf an, was wir voranstellen, vor die Nullen nämlich. In meiner heutigen Tübinger Zeitung las ich, dass man in Ungern eine Goldmünze geprägt hat zu 3000 Forint für tausend Jahre Ungarn, so, als wolle man sagen, dass dieses Ereignis mindestens dreimal so viel oder dreitausend Mal so viel wert ist. Man kann in Ungarn tausend Jahre Ungarn feiern, auch wenn es, scharf gerechnet, heuer nur 999 Jahre sind. Und man kann gleichzeitig die Null feiern, denn der Erfinder der Null war genau jener römische Papst, der dem ersten Ungarnkönig seine Krone geschenkt haben soll, die Stephans- oder Silvesterkrone – heute schmückt sie wieder das ungarische Wappen und auch jene Goldmünze zu 3000 Forint.
Auch uns Siebenbürger Sachen geht das etwas an, denn unser ältestes Wappen – es ist fast 700 Jahre alt – zeigt ein Krone, von vier Männern in die Höhe gen Himmel gehoben, und rundherum liest man den Wahlspruch der Siebenbürger Sachsen: Ad retinendam coronam, zum Schutze der Krone, zu ihrer Bewahrung. Das ist nicht die ungarische Königskrone, die ganz anders ausgesehen hat, es ist eine Symbolkrone wie am Kreuz im Kirchenschatz von Heltau, wie am Kronleuchter in Tartlau, wie oben in der Krönung des Altargesprengs in Mühlbach - alles viel zu künstlerisch -, aber der Deckel am Taufstein von Dunnesdorf oder der in Trappold, die sehen fast genau so aus in ihrer schlichten Einfachheit wie unsere Wappenkrone. Was soll ich noch aufzählen von Kronen? Ja: Unsere Mädchen, die gekrönt sind, schöner als jede Königin, wenn sie unter dem Borten gehen. Und dafür gilt, dass es des Schutzes, des Bewahrens wert ist ad retinendam coronam, und für solche Worte, für solche Werte zahlt es sich wohl aus, auch Jubiläen zu feiern, für viel, viel mehr als 3000 Forint oder 300 Mark oder 300 000 Lei – ich kenne mich bei der Umwechslung nicht aus.
Fangen wir mit unseren ungarischen Landsleuten an: Die Legende erzählt, dass damals, vor tausend Jahren, die Polen ganz gerne ein Königreich sein wollten und ihre schon damals guten Beziehungen nach Rom nützten. Schon war eine Krone kunstvoll gefertigt, vermutlich oder sicher mit deutschem Geld und deutschem Gold, da erschien dem Papst ein Engel im Traum, um ihm zu sagen, die Polen seien einer solchen Krone nicht wert. In aller Hergottsfrühe werden Boten aus einem besseren Land und von einem besseren Fürsten kommen, die dieselbe Bitte tun werden wie die Polen. Und so war es auch, und so wurde die Silvesterkrone zur „Heiligen Stephanskrone“, und so feiert man jetzt in Ungarn ein Millennium, ein Jubiläum.
Ein späterer Ungarnkönig soll bekanntlich seine Krone bei Kronstadt verloren haben, die dann, glücklicherweise, auf einer Baumwurzel gefunden wurde von den Kronstädter Sachsen, und so kam sie ins Kronstädter Wappen aufs Katharinentor und auf die Kürschnerlaube, die man zum Rathaus umfunktionierte. Aber das war erst zu Honters Zeiten, in der Reformation, vor rund 500 Jahren. Gleichwohl, wir können die tausend Jahre getrost mit den Ungarn mitfeiern, denn hätte es nicht jenen König Stephan in Ungarn gegeben und hätte dieser nicht seinen Nachfolgern am Thron eingeschärft vor tausend Jahren, dass schwach und brüchig ein Reich ist, wo nur eine Sprache gesprochen wird und nur eine Sitte gilt - nam unius linguae uniusque moris regnum fragile et imbecille est -, wer weiß, ob König Geysa II. vor 850 Jahren Deutsche nach Siebenbürgen gerufen hätte, „vom Rhein und Sachsen“, wie Honter wusste. Das war, ganz sicher, eine Großtat. Ob Stephan der Heilige wirklich heilig war, das ist mir sehr fraglich angesichts vieler Gewalttaten unter seinem Regiment. Aber ein Großer der Weltgeschichte, das ist er zweifelsohne gewesen.
Auch die Rumänen haben einen Stephan den Großen in ihrer Geschichte und könnten ihn heuer feiern, nämlich den Sieg des Stefan cel Mare über die Türken im Rakovitz-Tal 1475, vor genau 525 Jahren. Aller Augen im Abendland blickten damals in die Moldau. Der Papst nannte den Wojewoden, obwohl er nicht katholisch war, einen propugnaculum fidei, einen Schild des Glaubens, einen athleta Christi, und Suceava wurde der Angelpunkt einer west-östlichen Allianz, die sich von Rom über Rumänien nach Russland und von Paris über Polen nach Persien, hinten in den Rücken der Türken erstreckte. Der Türkensultan aber war schneller und besiegte den von der „europäischen Gemeinschaft“ allein gelassenen Moldauer Fürsten schon im nächsten Jahr, und wenig später, 1479, standen die Türken in Siebenbürgen am Brodfeld bei Broos den Siebenbürgern und den Banatern gegenüber. Ein italienischer Chronist rühmt, dass sich die Sachsen ausgebeten hätten, in der ersten Schlachtlinie kämpfen zu dürfen, und sie taten es dann auch, angeführt von Georg Hecht, dem Hermannstädter Königsrichter.
In vorderster Front, so wie damals, waren die Sachsen auch später oft. Aber ob man das feiern und daraus ein Jubiläum machen kann? Mir wurde vor wenigen Jahren in Berlin verboten, in einem Geschichtsbuch von „Türkengefahr“ zu reden, das sei „unzeitgemäß“. Ob man in Rumänien Stefan cel Mare gefeiert hat und seinen Sieg über die Türken vor 525 Jahren - ich weiß es nicht. Was aber könnte für uns Siebenbürger Sachsen heuer ein Jubiläum sein, nach kurzen Siegen und nach schweren Niederlagen jüngst und längst, nach freiwilliger Flucht aus der Heimat und erzwungener Vertreibung, nach dem Verlassen der Heimat?
Ich habe bei Böhlau ein Buch im Druck über den Deutschen Ritterorden im Burzenland und seine Vertreibung 1225, vor 725 Jahren genau. Aber kann man das feiern und daraus ein Jubiläum machen? Man kann! Als man vor 200 Jahren, nach den gut gemeinten aber verheerenden Reformen Kaiser Josephs II. einen Neuanfang in Siebenbürgen setzten wollte und setzen musste, da hat man den damals berühmtesten Historiker Deutschlands als Helfer gewonnen – alle Achtung, dass das damals den Sachsen gelungen ist! August Ludwig Schlözer, Professor in Göttingen und Akademiemitglied, weltberühmt als der Vater der modernen Geschichtsschreibung, verfasste ein dickes Buch zur Geschichte der Deutschen in Siebenbürgen, 1795 und 1797 in zwei Bänden in Göttingen erschienen und vor 21 Jahren und bei Böhlau von unserem Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde nachgedruckt. Ein Kapitel handelt darin auch über den Deutschen Orden, über seine Episode im Burzenland 1211 bis 1225, ehe er nach Preußen ging. Schlözer schrieb voll Engagement für seine siebenbürgischen Leser und fragte sich nach langem Überlegen und langen Darlegungen, wie es denn dazu kommen konnte, dass die Ritter schon nach kaum 14 Jahren ihre Marienburg am Alt verlassen mussten, ihre anderen Burgen im Burzenland und ihre Kolonien „jenseits der Karpaten“ unter den Kumanen? Schlözer kam zu dem Schluss, es sei einerseits schade, dass der Orden sein Kolonisationswerk nicht vollenden konnte, andererseits sei es aber schön, dass nur die Ritter ausgewiesen wurden, die deutschen Kolonisten aber bleiben durften. Wären die Ritter geblieben, was wäre aus der langen Küste am Schwarzen Meer geworden, welch blühendes Land, wie dann später an der Ostsee in Preußen? Aber ob die Burzenländer Bauern unter den Rittern nicht unterjocht worden wären wie dann die in Preußen, statt zu werden, was sie geworden sind, nämlich wörtlich: „ein freies, glückliches Volk“?
Man kann also feiern, dass der Orden vertrieben wurde aus Siebenbürgen, und man hat es eigentlich stets auch gefeiert, etwa mit den Versen von Georg Friedrich Marienburg: „Da stiegen stolze Burgen auf / im Tal und auf den Höhen, / die haben in der Zeiten Lauf / manch harten Strauß gesehen. // Und fragst du nach dem Rittersmann, / der diese Festen baute? / Der Bürger war‘s, der Bauersmann, / der solches sich getraute.“ Gemeint sind hier nicht die fünf oder sieben Burgen des Ordens im Burzenland, obgleich Marienburg überzeugt war, dass ihretwegen Siebenbürgen „Siebenbürgen“ heißt, dass Siebenbürgen seinen Namen also aus dem Burzenland bekommen hat, gemeint sind hier die rund 300 Kirchenburgen, die es in Siebenbürgen früher gegeben hat fast in jedem Dorf – auch die Marienburg am Alt wurde von den Bauern umgebaut.
Die waren nicht nur in der Türkengefahr durchaus zeitgemäß und später auch. Seit der Reformation, seit rund 450 Jahren, erklingt in ihnen glaubensstark das Lutherlied von der „festen Burg“, die „unser Gott“ ist, eine „gute Wehr und Waffen“. Und als sich die Waffen änderten und man manchenorts meinte, die Mauern nicht mehr nötig zu haben, da hat man, wie zum Beispiel in Agnetheln, daraus eine deutsche Schule gebaut, damit die Kinder ihre Muttersprache nicht verlernen. Bischof Teutsch hat gesagt und uns ins Stammbuch geschrieben: „Wären wir nicht evangelisch geworden, wir wären nicht deutsch geblieben“ – und er hat sicher recht.
Und das datiert von 1550 und ist sicher ein Jubiläum wert – 450 Jahre Reformation in Siebenbürgen. Genau datiert es vom 20. April 1550, zweiter Sonntag nach Ostern, als die in Hermannstadt tagende Nationsuniversität, das höchste demokratische Gremium der Siebenbürger Sachsen, den folgenden Beschluss fasste: Ut in singulis civitatibus, oppidis et villis ecclesiae reformari debeant, dass in allen Städten, Märkten und Dörfern die Kirchen reformiert werden sollen.
Ob sie alle ganz bei Trost waren, die hochwürdigen geistlichen Herren und die würdigen Deputierten der Zwei und der Sieben Stühle aus dem Altland und aus den beiden Distrikten aus dem Nösnergau und dem Burzenland, ob sie ganz bei Trost war, die ganze sächsische Nationsuniversität, die sich da unter dem Vorsitz von Peter Haller, dem Hermannstädtern BrüHermannstädter Bürgermeister und späteren Sachsengrafen, am Großen Ring in Hermannstadt zusammengefunden hatte? Man befindet sich mitten in der Türkengefahr, beide rumänischen Fürstentümer sind den Türken tributpflichtig und Siebenbürgen auch, selber bedroht von Raubzügen aus Rumänien und aus Russland im Auftrag des Sultans; in Budapest residiert ein Pascha und regiert das besetzte Ungarn, und zwei Könige streiten sich um die ungarische Stephanskrone, der eine ein Kind und der andere weit weg in Wien, ein spanischer Habsburger; sein Bruder, der römische Kaiser, hat die lutherischen Fürsten in Deutschland besiegt und in Haft genommen. Konnte man von diesem Kaiser Hilfe erwarten? Oder würde gegen den türkischen Pascha der römische Papst die Christenheit aufbieten, den Ketzern in Siebenbürgen zu helfen, dass sie nicht auch Türken werden mussten? Würde er das tun, während ein katholisches Konzil in Tirol den Katholizismus auf streng konservativen Kurs brachte? Ob sie also ganz bei Trost waren, ob es heiße Debatten gegeben hat in Hermannstadt, im Hallerhaus, ehe man den Beschluss fasste, oder ob man so diszipliniert war und wusste, dass man nur gemeinsam handeln konnte oder besser gar nicht? Dass man also zusammenhalten musste? Kein Quellenbericht ist aus dem Sitzungssaal überliefert.
Aber man hatte ja lange genug Zeit gehabt nachzudenken, auch wenn davon nichts in den Quellen steht: 1542 hatte es in Kronstadt begonnen, zuerst mit einer neuen Schule im alten Kloster, dann mit einem neuen Gottesdienst in der alten Kirche; 1543 mussten die Kronstädter ihre Reformen am Landtag in Weißenburg verteidigen gegen den Statthalter Martinuzzi, den späteren Kardinal, sein Antrag drang aber nicht durch: Lutheranos imponere et cremare, die Lutheraner festnehmen und verbrennen. 1544, im November zu Kathrein, hatte die Nationsuniversität schon einmal die Reform gebilligt, 1545 tagt in Mediasch eine Kommission unter dem Vorsitz des Generaldechanten, 1547 erscheint in Kronstadt Honters Reformbüchlein lateinisch und deutsch, nachdem es vorher in Hermannstadt von einem eigens eingesetzten Ausschuss durchberaten und gebilligt worden war.
Fast in jedem Jahr also ereignet sich etwas Wichtiges. Wenn die Siebenbürger Sachsen etwas tun, dann machen sie es überlegt und gründlich – früher jedenfalls. Nach Wittenberg hatte man geschrieben, und nicht nur einmal, und volle Zustimmung war von den Reformatoren gekommen, und nach Zürich hatte man auch geschrieben, aber der Antwortbrief liegt heute noch dort. Vorsichtig und bedächtig hatte man agiert, und der Bildersturm in Kronstadt, von dem so viel die Rede ist und den ein Student in den Semesterferien ungeduldig angezettelt hatte, der hat, wie man heute weiß, vermutlich gar nicht stattgefunden. Schade eigentlich, werden manche sagen: es wäre so erfrischend, so aufregend, so dramatisch gewesen, fast eine Revolution statt nur eine Reformation. Aber die damalige Kronstädter Chronik verzeichnet nur: Item sein mit Willen der Obrigkeit die Bilder aus den Kirchen abgebrochen worden – wie brav, wie altmodisch, wie langweilig, „mit Willen der Obrigkeit“, ganz ohne Aufregung, man möchte sie unserer Kirche in ihrer Geschichte und heute ganz gerne wünschen.
Ob sie also ganz bei Trost gewesen waren, die würdigen und hochwürdigen Herren der Nationsuniversität, als sie sich gegen die ganze katholische Kirche erklärten, damals am 20. April 1550, am Sonntag misericordias domini, am Sonntag von der Barmherzigkeit Gottes? Alle Achtung, dass sie es trotzdem getan haben und ihrem Gewissen gefolgt sind: „Ein feste Burg ist unser Gott.“
„Wären wir nicht evangelisch geworden, wir wären nicht deutsch geblieben“, hat der Bischof gesagt. Und wir sind heute gefragt, nicht vielleicht ob er recht hatte, aber ob uns das wichtig war und ist, ob es wert ist, das zu feiern? Ob es bleibenden Wert hat wie eine Krone? Richtig ist, dass es die Kirche war, die Geborgenheit geschaffen hat, als die Privilegien auf dem Königsboden von Broos bis Draas und im Nösnergau und im Burzenland nicht mehr viel galten. Der große Freibrief, den König Andreas II. den Siebenbürger Sachsen verliehen hatte 1224, als er den deutsche Ritterorden vertrieb vor 775 Jahren, er zählte nicht mehr viel. Nicht mehr viel zählten die Privilegien, weil alle in gleicher Weise in Ungarn nur Untertanen sein sollten und die Nationsuniversität aufgelöst worden war - 1784 durch Kaiser Josef II. und 1876 durch den ungarischen Reichstag in Budapest und 1937 der letzte Rest liquidiert durch das Bukarester Parlament. Richtig ist, dass sich in unserem Jahrhundert für die in ihrer Heimat Rechtlosen eine neue Heimat in der alten deutschen Heimat bot mit allen Rechten.
Was aber bleibt und ist des Bewahrens wert? Welche Kronen? Wenn die romanische Kirche in Mönchsdorf nicht im Nösnerland stünde, sondern irgendwo hier im Westen, man würde ihre Fassade mit Scheinwerfern anstrahlen, und unter dem Kirchenberg würden die Busse parken, mit denen Touristen kamen, um ein solches Kunstwerk zu bestaunen. Aber es kommt nur hin und wieder ein heimwehkranker Sachs, und in der Kirche hat er kaputte Fenster gesehen, durch die die Vögel ein- und ausfliegen. Auch die 800 Jahre alte Kerzer Abtei könnte, selbst in ihren Ruinen, eine Touristenattraktion sein, besucht von Bewunderern und nicht bloß von Kirchendieben. Weit in den Westen reichten einst die Beziehungen der Kerzer Mönche, ehe der Humanistenkönig Matthias Corvinus das Kloster schließen ließ und den Hermannstädtern schenkte und ehe die Kronstädter aus ihrem Zisterzienserkloster eine „Honterusschule“ machten.
In der Marienburg im Burzenland, wo die deutschen Ritter ihr Schloss hatten und dann nach ihnen die Zisterzienser sich Zehnten zahlen ließen von den Bauern, haben rumänische Archäologen vor wenigen Jahren in den Ruinen der Burg die Grundmauern einer kleinen Kapelle entdeckt und ausgegraben. Sie waren längst bekannt, die Grundmauern, aber seit langem zugeschüttet, wie es eben so geht. Als ich 1998 zum Honterusfest nach Kronstadt fuhr und früh am Morgen aus dem Schlafwagenfenster nach den Ruinen der Marienburg Ausschau hielt, da standen auch zwei Lehrer aus unserem Patenland Nordrhein-Westfalen neben mir, die eine im benachbarten Liegewagen schon lärmende Schulklasse nach „Brasov“ führten, nach „Brasov“, natürlich nicht nach Krosntadt. Und sie hatten keine blasse Ahnung, die Lehrer, von der Marienburg am Alt, die ich ihnen zeigte, und vom Deutschen Orden im Burzenland, bevor er nach Preußen ging, dass es ihn überhaupt gegeben hat, den Orden. Und überhaupt von den Deutschen in Siebenbürgen, dass es sie gab und gibt, davon hatten sie nie gehört. Wer Honterus war? Nie gehört! Meine Einladung zum Honterusfest blieb jedenfalls ungehört.
Wo wird man also den Reformator feiern in den nächsten Jahrhunderten? Wo wird man sich darüber freuen oder es bedauern, dass der Ritterorden vor 775 Jahren aus dem Burzenland nach Preußen vertrieben wurde? Und wo wird man es den Archäologen und den Historikern dankbar überlassen, sich über ausgegrabene Grundmauern zu freuen? Dass so mancherlei in Siebenbürgen zum Weltkulturerbe erklärt wurde, kann meines Erachtens nicht beruhigen. Ob sich die weite Welt dafür interessieren wird im Fernen Osten oder im Wilden Westen, auf der südlichen oder auf der nördlichen Halbkugel, in Bayern oder in unserem Patenland, ob es wirklich ein „Weltkulturerbe“ in Siebenbürgen geben wird, wenn nicht vorher alles zu unserem Kulturerbe wird in Heimatortsgeschichten und Heimatortsgemeinschaften?
Vor mehr als 50 Jahren wurde unter den aus Siebenbürgen vertriebenen Deutschen die Losung ausgegeben: „Heimat im Herzen!“ Das gilt, so meine ich, noch heute und für die Zukunft unverändert. Aber nicht nur das! Auch Heimat im Hirn und in der Hand, und Heimat im Mund, nicht nur bei Holzfleisch und Hanklich, sondern beim Reden mit Kindern und Enkeln, mit all denen, die keine Ahnung haben, selbst wenn sie Lehrer sind. Kann solches Reden schwer sein, wenn man deutsch zu reden durch 850 Jahre nicht vergessen und in der Schule gelernt hat, dass das ein aller höchster Wert sei?
Lasst uns Abschied nehmen von Nostalgie und Elegie, lasst uns die „Siebenbürgische Elegie“ Adolf Meschendörfers in eine Goldmünze umprägen mit einer Krone drauf, eine Goldmünze, die die Sammler noch in Jahrhunderten begeistern wird! Es stimmt: Anders rauschen die Brunnen, anders rinnt hier die Zeit – wenn sie uns nur nicht verrinnt! Früh fasst den staunenden Knaben Schauder der Ewigkeit - und wenn es nicht nur ein Knabe ist, sondern auch ein Mädchen unter dem Borten, mit und ohne Bändern? Hauptsache ist, wir haben staunend im Blick, welche Vergangenheit uns Gott geschenkt hat und welche Zukunft auch.

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