24. Juni 2004

"Bis nachher dann, im Bierzelt! "

Der Versuch, das Treiben innerhalb der Stadtmauern Dinkelsbühls während des Heimattages mit dem Leben auf dem Zeltplatz und im Bierzelt vor den Toren der Stadt in Einklang zu bringen, wird scheitern. E i n K l a n g ist das nicht, wohl aber eine Symbiose zwischen Jung und Alt, die man nur mit viel Einfühlungsvermögen für das jeweils Andere verstehen kann. Eine Annäherung.
„Bis nachher dann, im Bierzelt.“ Ein Satz, der wie kein anderer auf dem Zeltplatz die Runde macht - mal auf Deutsch, sehr oft auf Sächsisch, gelegentlich auf Rumänisch. Selten hört man von Verabredungen in der Schranne oder gar vor der Kirche. Liegt es daran, dass der Weg vom Zeltplatz zum Bierzelt kürzer ist als jener in die Stadt? Wohl nicht. Eher schon hat es mit den Erwartungen zu tun, die die meisten Zelter an das jährliche Pfingsttreffen knüpfen. Trotz der Homogenität der Heimattagbesucher (schließlich sind alle, die einen mehr, andere weniger, mit dem Land Rumänien verbunden) unterscheidet sich die „Gruppe außerhalb der Stadtmauern“ in einigen Punkten deutlich von der Mehrzahl der Sonntagsbesucher vor der Schranne.



Ruhig und gemütlich: Der Zeltplatz am Sonntagmittag. Foto: Roland Zillmann
Ruhig und gemütlich: Der Zeltplatz am Sonntagmittag. Foto: Roland Zillmann


Zeltplatzbesucher sind deutlich jünger als der Durchschnitt, sie bleiben länger in Dinkelsbühl (Freitag bis Montag ist eher die Regel als die Ausnahme), sie nehmen weniger kulturelle Angebote wahr und sie feiern exzessiver. Müßig zu betonen, dass auch die Zelter nicht alle über einen Kamm geschoren werden können. Manch einer ist dabei, der auch nur die Gelegenheit nutzt, preisgünstig auf einem gut und sicher organisierten Zeltplatz zu nächtigen. Doch die überwältigende Mehrzahl der Zelter wählt bewusst diese Art des Aufenthalts, denn nirgendwo sonst findet man ein so dichtes Konglomerat an alten und neuen Bekannten, Stimmungen und spontanen Feieranlässen wie hier. Wenn die Sonne morgens das Zelt zum Sieden bringt, einige Knochen wehtun und allmählich die Schlafsäcke vor das Zelt gezogen werden, quält sich der eine oder andere zu den Waschräumen und versucht, die Spuren der Nacht wegzuwaschen. Auch wenn es nicht immer gelingen will – stören tut das hier keinen. Im Gegenteil, es kursiert das Gerücht, dass man den Tag sowieso auf die Art und Weise beginnen sollte, wie man den letzten beendet hat. Und schon sitzt man im Rund der benachbarten Zelte bei einem Bier zusammen...

Gehen wir mal einen Schritt zurück in die Vergangenheit. Die wenigsten jugendlichen Zelter blicken auf ein Leben in Siebenbürgen zurück. Viele waren kaum aus dem Grundschulalter raus, als die Auswanderungswelle sie wegspülte. Und doch – sie fühlen sich der Gemeinschaft der Siebenbürger Sachsen zugehörig, auch wenn sie mit dem aus ihrer Sicht schon leicht versnobten Kulturgehabe wenig anfangen können. Trotzdem kommen sie nach Dinkelsbühl.



Jung, aber stolz auf die Herkunft - selbst beim Feiern. Foto: Günther Melzer
Jung, aber stolz auf die Herkunft - selbst beim Feiern. Foto: Günther Melzer


Hier, auf dem Zeltplatz, mischen sich auf fast erstaunliche Weise junge Trachtenträger, die sonntags im Umzug mitgehen, mit jungen Ignoranten, denen das Geschehen im Stadtzentrum egal ist. Die Gründe dieser Ignoranz sind vielfältig – angefangen von reinem Unwissen um die siebenbürgische Kultur bis hin zur bewussten Ablehnung derselben. Doch die Gewissheit, immer unter seinesgleichen zu sein, schweißt zusammen und lässt den Alltag vergessen. Darum kommt man hierher. Denn mit den Jahren kennt man einander. Immer wieder Gesichter, die man schon einmal gesehen hat. Alte Bekannte werden mit der Zeit zu neuen Freunden, deretwegen es sich lohnt, sein Zelt Jahr für Jahr wieder aufzuschlagen. Der Heimattag ist ein willkommener Rahmen, den viele Jugendliche auf ihre eigene Weise nutzen. Auf die Frage, wie er seine Tage in Dinkelsbühl verbringe, antwortet Johannes aus Ingolstadt fast schon paradigmatisch: „Na ja, morgens nach dem ersten Bier lege ich mich in die Sonne und mache die Musik an, dann grillen wir zusammen mit den fünf Nachbarzelten ein paar Kilo Mici, danach gehe ich mal in die Stadt, Bekannte suchen. Die anderen haben keine Lust auf die Stadt, die bleiben hier. Gegen Abend treffen wir uns dann im Bierzelt, feiern, bis man uns rausschmeißt und singen und trinken dann auf dem Zeltplatz weiter, bis die Sonne aufgeht.“



Eine gute Band (Melody 4 You) und ein volles Bierzelt garantieren stimmungsvolle Höhepunkte. Foto: Günther Melzer
Eine gute Band (Melody 4 You) und ein volles Bierzelt garantieren stimmungsvolle Höhepunkte. Foto: Günther Melzer


Das Verhältnis Zeltplatz-Bierzelt lässt sich mit einer Faustformel erklären: Nicht jeder Bierzeltbesucher ist Zelter, jeder Zelter ist jedoch ein Bierzeltbesucher. Besagtes Bierzelt ist der unumstrittene Wärmepol Dinkelsbühls. Hier kocht die Stimmung (manchmal auch über), hier herrscht Geselligkeit ohne Steifheit und Dünkel. Die Bands, die aufspielen, stehen vor der großen Herausforderung, den Spagat zwischen Einheizen der Massen und Einhalten der Sperrstunde zu bewältigen. Die von Jahr zu Jahr straffere Organisation (infolge strengerer Auflagen seitens der Stadt) wirkt in den Augen vieler zu radikal, ist jedoch Garant für eine friedliche, wenn auch laute Feier bis Stunden nach Mitternacht. Das Bierzelt ist kein Experimentierfeld – ein einfaches, aber gutes Sicherheitskonzept, viel und schnell geliefertes Bier, bewährte Bands mit einem guten Gespür für die Stimmung in der Menge. Aus diesen Zutaten ergibt sich das Ereignis, das viele als Höhepunkt des Heimattages betrachten. Auf dem Zeltplatz jedenfalls bedarf es dafür keiner repräsentativen Umfrage.



Sie organisieren den Zeltplatz: Christian Amser, Ute Schuller, Adelheid Schuller, Hans-Martin Sonntag. Foto: Hans-Detlev Buchner
Sie organisieren den Zeltplatz: Christian Amser, Ute Schuller, Adelheid Schuller, Hans-Martin Sonntag. Foto: Hans-Detlev Buchner


Nicht, um das Gesamtbild des Bierzeltes abzurunden, sondern eher, um es zu differenzieren, soll eine Begebenheit doch noch erzählt werden. Weit nach Mitternacht, wenn die Band gegen ihren Willen („Mir weden noch bäs morenfroa spilen“) längst verstummt ist, bildet sich auf der leeren Tanzfläche ein kleiner Kreis junger Menschen, die erst leise, dann immer selbstsicherer sächsische Lieder anstimmen. Nach einer halben Stunde sind es gezählte 40 Jugendliche, die nach und nach in der Tradition sächsischer Bälle und Hochzeiten ein Repertoire an Liedern singen, das sich nicht zu verstecken braucht. Genauso wenig wie die Tränen des älteren Herrn, der abseits noch an einem Biertisch sitzt. Ein paar Strophen müssen noch geübt werden. „Bis nachher dann, auf dem Zeltplatz!“

Roland Zillmann


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