12. Juli 2004

Sensationeller Archivfund: Sowjets ließen Oberth ausspionieren

Ein Fund in den Archiven russischer Geheimdienste liefert Stoff für spannende Agentenromane: Die Sowjets ließen den "Vater der Raumfahrt", Hermann Oberth, während seinen Entwicklungsarbeiten in Berlin ausspionieren. So baute der Siebenbürger Sachse vor 75 Jahren einen kleinen Raketenmotor, der unter der Bezeichnung "Kegeldüse" in die Raumfahrtgeschichte eingehen sollte. Sein erster Assistent dabei war ein gewisser Alexander B. Scherschevski, der von November 1929 bis Juli 1931 insgesamt 32 Berichte an den militärischen Geheimdienst der Roten Armee bei der sowjetischen Botschaft in Berlin ablieferte. In Moskau war man damit über die Grundlagen der wissenschaftlichen Astronautik und der Raketentechnik, die Hermann Oberth setzte, bestens informiert.
Eine Reihe von Ereignissen aus dem Leben und Schaffen Hermann Oberths haben heuer Jubiläumscharakter: 2004 erfüllen sich 110 Jahre seit seiner Geburt am 25. Juni 1894, 75 Jahre seit der Premiere des weltersten Raumfahrtfilms "Frau im Mond", an dem Oberth als wissenschaftlicher Berater mitgewirkt hatte; 75 Jahre seit dem Bau seines funktionsfähigen Raketenmotor mit flüssigen Treibstoffen (Stichwort "Kegeldüse") in Berlin; 75 Jahre seit dem Erscheinen von "Wege zur Raumschiffahrt", Oberths Hauptwerk, das als die "Bibel der wissenschaftlichen Astronautik" in die Fachliteratur einging, und schließlich zehn Jahre seit der Eröffnung des Hermann-Oberth-Museums im siebenbürgischen Mediasch, wo der Raumfahrtpionier sein bahnbrechendes Werk geschrieben hatte.

Anekdoten-Buch in rumänischer Übersetzung




Die Mediascher gedachten dieser Ereignisse am 15. Juni mit einer Veranstaltung im dortigen Oberth-Museum; mit einem Wettbewerb zwischen dem "Stephan Ludwig Roth"-Gymnasium und der "Hermann Oberth"-Schule über die Leistung des siebenbürgisch-sächsischen Raumfahrtpioniers sowie mit der Vorstellung des soeben in rumänischer Übersetzung erschienenen Sammelbandes mit Oberth-Anekdoten. Letzteres fand unter der Schirmherrschaft des Deutschen Forums im Schuller-Haus statt, wobei der anwesende Autor rund 200 Exemplare zu signieren hatte. Ein Stadtrat bat ihn sogar um eine Widmung für Staatspräsident Ion Iliescu und Ministerpräsident Adrian Nastase, die er am nächsten Tag in Bukarest überbringen wollte. Die Übersetzungsrechte für das 1998 bei Edition Wort und Welt erschienene Buch "Hermann Oberth. Anekdotisches, Humorvolles, Besinnliches" waren der Mediascher Museumsstiftung durch den Verlag und den Autor Hans Barth lizenzfrei übertragen worden, mit der Auflage, dass die erzielten Einnahmen ausschließlich dem dortigen Oberth-Museum zugute kommen.

In Feucht bei Nürnberg, dem Wahlheimatort des Raumfahrtpioniers, begannen die Veranstaltungen am 25. Juni, dem Geburtstag Oberths, mit dem Festvortrag des Esa-Astronauten Thomas Reiter ("Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft im All"). Im Mittelpunkt einer raumfahrtgeschichtlichen Vortragsreihe standen tags darauf vor allem die 75-jährigen Jubiläen. Großen Anklang fand auch die abendliche Vorführung des legendären UFA-Stummfilms "Frau im Mond" von 1929. In der Mitgliederversammlung des Museumsvereins, mit der die Feuchter "Raumfahrtage" am 27. Juni beendet wurden, ging es dann vor allem um die Wahl eines neuen Vorsitzenden des Hermann-Oberth-Raumfahrt-Museum e. V. Anstelle des namhaften Raumfahrtwissenschaftlers Prof. Dr.-Ing. Harry O. Ruppe, der aus Altersgründen nicht mehr kandidierte, übernahm der deutsche Astronaut Prof. Dr. Ulrich Walter (TU München) dieses Ehrenamt.

Die Raketenversuche von 1929/30 in Berlin

In diesem Beitrag zu diesen Ereignissen möchte ich nichts von dem wiederholen, was in meinen und anderen Oberth-Biografien nachzulesen ist, sondern über etwas berichten, was darüber hinausgeht und in direktem Zusammenhang zu den drei Ereignissen vor 75 Jahren steht.

Als 1991 meine dritte und umfangreichste Oberth-Biografie erschienen war, waren sich fast alle Rezensenten darin einig: über Oberth ist damit alles gesagt worden. Ehrlich gesagt, ich selbst dachte genauso. Irrtum, wie man inzwischen weiß. Denn was danach in Erfahrung gebracht wurde, liefert sogar Stoff für spannende Agentenromane.

Hermann Oberth im Feuchter Raumfahrtmuseum mit dem nachgebauten Modell der "Kegeldüse", dem begehrten kleinen Raketenmotor von 1929.
Hermann Oberth im Feuchter Raumfahrtmuseum mit dem nachgebauten Modell der "Kegeldüse", dem begehrten kleinen Raketenmotor von 1929.

Um das zu verdeutlichen, muss ich ein wenig ausholen, und zwar genau bis in das ereignisträchtige Jubiläumsjahr 1929. Oberth war damals in Berlin tätig. Der berühmte Filmregisseur Fritz Lang hatte ihn als wissenschaftlichen Berater für seinen Film "Die Frau im Mond" verpflichtet. Dabei erhielt Oberth auch die Möglichkeit, eine wirkliche Kleinrakete zu bauen, die vor der Premiere starten sollte, um so die Werbung für den Raumfahrtfilm zu unterstützen. Oberth machte sich an die Arbeit, entwickelte und testete als Erstes einen kleinen Raketenmotor, der unter der Bezeichnung "Kegeldüse" in die Raumfahrtgeschichte eingehen sollte. Bei diesen Arbeiten halfen Oberth u. a. die TH-Studenten Wernher von Braun und Rolf Engel; sein erster Assistent dabei war ein gewisser Alexander B. Scherschevski. Dieser „russische Emigrant“ konnte sich bei Oberth als ausgezeichneter Kenner der Raumfahrtliteratur empfehlen; auch hatte er selbst kurz zuvor ein populär-wissenschaftliches Weltraumbuch in Deutschland veröffentlicht.

Die Rolle des Oberth-Assistenten A. B. Scherschevki

Ich muss gestehen, dass dieser Mann mir von Anfang an sehr verdächtig vorkam. Und zwar aus einem ganz bestimmten Grund: Das erste Schreiben Hermann Oberths an den russischen Raumfahrtpionier Konstantin E. Ziolkowski von Mediasch aus war in Deutsch verfasst, die beiden Briefe aus Berlin (1929) aber in Russisch und sogar auf einer Maschine mit kyrillischen Buchstaben geschrieben. Und auch vom Inhalt her waren die Briefe auffällig russischfreundlich gehalten. Wo gab es denn in Berlin eine solche Schreibmaschine? frug ich mich immer wieder. Doch nur bei der sowjetischen Botschaft! Etwas schien mir nicht ganz koscher zu sein, doch ich hatte keine Möglichkeit, diesem Verdacht nachzugehen.

Als man für das Hermann-Oberth-Museum in Feucht bei Nürnberg, dem Wohnort Oberths, eine maßstabsgenaue "Kegeldüse" nachbauen wollte, bat man Oberth, bat man von Braun, bat man Engel, die ursprünglichen Konstruktionsdaten des ersten Raketenmotors aus dem Gedächtnis nachzuzeichnen. Alle taten das, aber jeder brachte etwas anders zu Papier, da sich keiner mehr genau erinnern konnte. Doch Karlheinz Rohrwild, Leiter des Feuchter Oberth-Museums, der die "Kegeldüse" zu seinem Forschungsobjekt gemacht hatte, ließ nicht locker und forschte weiter und weiter – auch in Russland. Wobei ihn die öfters in Feucht mitwirkende russische Kollegin Dr. Tanja Jelnina tatkräftig unterstützte. Und siehe da, die „genaue Zeichnung“ tauchte irgendwann auf. Sie dürfen zehn Mal raten – wo?

In den Archiven russischer Geheimdienste, die mittlerweile bei der Russischen Akademie der Wissenschaften einzusehen sind. Und, in der Tat, es war „mein Freund“ A. B. Scherschevski gewesen, der von November 1929 bis Juli 1931 insgesamt 32 Berichte an den militärischen Geheimdienst der Roten Armee bei der sowjetischen Botschaft in Berlin abgeliefert hatte. In Moskau und Leningrad, wo es zu der Zeit bereits die ersten Forschungsinstitute für Raketentechnik gab, war man also „in Echtzeit“, wie man heute sagen würde, über Oberths Entwicklungsarbeiten in Berlin bestens informiert. Kein Wunder also, dass sich danach alle frühen russischen Raketentriebwerke an die Oberthsche Konstruktion anlehnten. Und es war nicht allein die „Kegeldüse“, Oberths Versuchsmotor mit flüssigen Treibstoffen, zu dem die Details geliefert wurden. Auch die zwei Meter große UFA-Rakete Oberths, die vor der Filmpremiere hochsteigen sollte, aus Zeit- und Geldgründen aber nicht mehr rechtzeitig fertig wurde, wurde mit allen konstruktionstechnischen Details für die „russischen Kollegen“ beschrieben. Noch mehr: Oberth hatte Scherschesvki auch mit dem Lesen der Korrekturfahnen zu seinem Hauptwerk "Wege zur Raumschiffahrt" beauftragt. Auf diese Weise waren die Inhalte des Oberthschen Hauptwerkes in Moskau schon bekannt, als das Buch im Münchner Oldenbourg Verlag erschien.

Wenn in meinen Gesprächen mit Hermann Oberth die Rede auf A. B. Scherschevski kam, erhielt ich jedesmal die folgende Antwort: "Der Mann war stinkfaul, jedesmal wenn ich in sein Büro trat, saß er vor einem leeren Blatt und duselte so vor sich hin. Zum Schluss musste ich ihn entlassen." Jetzt wissen wir es genauer: Der gute Mann war gar nicht faul, im Gegenteil, er arbeitete viel und ausgezeichnet - allein: nicht für Oberth, sondern für die anderen. Wie wertvoll diese „Berichte“ für die Empfänger waren, belegt die Tatsache, dass ab 1932 zweimal versucht wurde, Oberth für Russland anzuwerben ("wo Ihnen alles, was Sie sich wünschen, zur Verfügung steht").

Dr. Hans Barth

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeirtung, Folge 11 vom 15. Juli 2004, Leitartikel)

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