18. September 2005

Ostjüdisches Leben in den Karpaten dokumentiert

Als gemeinsame Veranstaltung des Freundeskreises Ehemalige Synagoge Affaltrach e.V. und der Kommission für Ostjüdische Volkskunde in der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde e.V., München, wurde vor kurzem in den Räumen der Synagoge – heute Museum und Begegnungsstätte – zum ersten Mal eine umfangreiche Ausstellung zur einstigen Lebenswelt der Landjuden in den Karpaten eröffnet: „Zeugen aus dem ostjüdischen Alltag. Eine Dokumentation in Objekten und Bildern“.
Prominente Gäste, darunter der Bürgermeister von Obersulm, Harry Murso, und ein zahlreiches Publikum fanden sich am „Tag des offenen Denkmals“ zur Vernissage in der Synagoge Affaltrach ein. Hier gab es in den letzten Jahren immer wieder außergewöhnliche Kulturveranstaltungen, so auch ein Konzert mit Klesmermusik des weltbekannten Klarinettisten Giora Feidman (USA).

In seiner Begrüßungsansprache würdigte Pfarrer Helmut Krause, Erster Vorsitzender des Freundeskreises, die Tätigkeit des siebenbürgischen Ethnologen, Schriftstellers und Sammlers Dr. Claus Stephani, der die Ausstellung konzipiert und die Exponate zur Verfügung gestellt hatte. Beim Einräumen der 58 Objekte in zwölf Vitrinen hatten Almuth Krause, Helmut Krause seitens des Vereins Judith Incze, die ebenfalls aus Siebenbürgen stammt und die Ausstellung angeregt hatte, sowie mehrere Helfer tatkräftig mitgewirkt.

Dr. Claus Stephani führte in die Ausstellung mit volkskundlichen Exponaten ein und sprach zum Thema „Die phantastische Welt der Maises. Ostjüdisches Erzählen am Rande der Karpaten“. Dazu las er exemplarische Volkserzählungen voll tiefsinnigem Humor, die er einst aufgezeichnet und inzwischen in mehreren Sammlungen in deutscher, italienischer und rumänischer Sprache veröffentlicht hat.

Zum ersten Mal werden hier seltene Stücke, meist Unikate, aus jüdischem bäuerlichem Hausrat gezeigt. In den historischen Landschaften im multikulturellen Karpatenraum, wie Siebenbürgen, Marmatien, Sathmarland, Moldau, Bukowina u.a., Gebiete, die zum Teil zu Ungarn und Österreich gehörten und nach 1918 an Rumänien bzw. an die Ukraine kamen, lebten bis 1940/44 zahlreiche Landjuden. Es waren meist Bauern, Handwerker, Fuhrleute, Schafhirten, Waldarbeiter, aber auch Händler und Schankwirte.

An ihre einfache Lebenswelt und ihren Alltag will diese ungewöhnliche Ausstellung erinnern. Die Schtetls und Dörfer der Juden lagen in einem farbigen, multiethnisch geprägten Kulturraum. Bis zum Zweiten Weltkrieg und der dadurch ausgelösten Verfolgung, Vertreibung und Vernichtung lebten hier in friedlicher Nachbarschaft Juden, Rumänen, Ungarn, Deutsche – Sachsen, Schwaben, Zipser –, Ruthenen, Lipowaner, Polen, Slowaken, Armenier, Griechen u.a. Ethnien.

Die beeindruckenden Objekte – Hausrat, Geräte und kultische Gegenstände – führen den Betrachter in jene verschwundene, beinahe schon vergessene Welt. Zu jedem Exponat gibt es einen kurzen informativen Text aus dem Umfeld der ehemaligen Besitzer – d.h. die jiddische und die deutsche Bezeichnung, Angaben zum Herkunftsort und die Erklärung von einer Gewährsperson. Als ergänzendes Dokumentarmaterial werden auf vier Stellwänden großformatige Bilder ostjüdischer Menschen sowie Zeittafeln, Landkarten der Siedlungsgebiete und Erinnerungstexte (Oral History) gezeigt. Ein Teil der ausgestellten Fotos stammen von Konrad Klein (Gauting/München), Vasile Moldovan (Bukarest) und vom Veranstalter Claus Stephani. So will diese Dokumentation vielfältige Aspekte einer alten Sachkultur – vom tönernen Chanukka-Leuchter aus Korond im Szeklerland bis hin zum kunstvoll gedrechselten Brotteller aus Mardschina in der Bukowina – vermitteln.

Die Ausstellung ist noch bis zum 9. November 2005, mittwochs und sonntags, 15.00-17.00 Uhr, geöffnet. Sonderführungen nach Vereinbarung unter Telefon: (0 71 30) 64 78. Eintritt frei. Affaltrach bei Willsbach-Obersulm, nahe Heilbronn, kann über die A 81, Ausfahrt Autobahnkreuz Weinsberg, erreicht werden.

Anna Conrad


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