21. April 2002

Otto Schily in Schlattners Kutschen

Der Festredner des diesjährigen Heimattages in Dinkelsbühl, Bundesinnenminister Otto Schily, besuchte am 11. und 12. April Rumänien. Ähnlich dem Bundespräsidenten Johannes Rau machte der hohe Gast zunächst der Landeshauptstadt und tags darauf der deutschen Minderheit in Hermannstadt, und was mit Sicherheit der eindrucksvollste Punkt der Visite war, in Rothberg seine Aufwartungen.
"Eine interessante Schau der Dinge" habe er erfahren, meinte Bundesinnenminister Otto Schily am 12. April nach Abschluss seines Besuchs in Rothberg bei Hermannstadt und mithin in Siebenbürgen. Schon förmlich war die "Show" in der Harbachgemeinde perfekt: Nach dem Besuch der Waldorfschule in Rothberg wurde Otto Schily vom Gastgeber Eginald Schlattner nicht in motorisierten Nobelkarossen, sondern in einer der zwei "hauseigenen", aber durchaus auch noblen, weil restaurierten Kutschen mit Pferden im Gespann zum Gotteshaus gefahren. Die aufwendige Polizeieskorte daneben hatte allerdings so ihre Probleme.
Spalier indes standen die Ortsbewohner von Rothberg entlang der "Kutschpartie", die der Seelsorger und Erfolgsautor nun einmal für fast jedermann gerne in seiner Pfarrei veranstaltet. Bundesminister Schily jedoch dürfte bislang der wohl ranghöchste Gast in Schlattners Kutschen neben dem rumänischen Innenminister Ioan Rus gewesen sein, die dann im Kirchhof von Bischof D. Dr. Christoph Klein empfangen wurden. Sogar zwei Reiter in sächsischer Tracht (vom Hermannstädter Forum ausgeliehen) waren hier zu sehen, wie übrigens auch am Neppendorfer Flughafen ein junges Paar in dieser Festkleidung zum Empfang von Otto Schily auf der Landepiste erschienen war.
Allein die "interessante Schau der Dinge" bezog sich vielmehr auf Schlattners Ansprache vor den Gästen im Mittelschiff. "Dass ich Sie in deutscher Sprache begrüßen kann, verdanke ich meinem rumänischen Vaterland", sagte der Autor des Romans "Der geköpfte Hahn" und wies gleichzeitig daraufhin, dass diese Kirche älter sei als Berlin. Als am Standort der heutigen Bundeshauptstadt noch die Frösche quakten, "wurde hier bereits lateinisch gesungen und deutsch gebetet, was immer man damals unter Deutsch verstand." Und seither, also seit rund 800 Jahren, habe es da ununterbrochen Gottesdienste. Einzige Ausnahme: Der 14. Januar 1945, als die Deportation der Sachsen in die Sowjetunion auch die Rothberger erfasste.
Doch damit begann nicht der Exitus dieser Volksgruppe, vielmehr hat der Zweite Weltkrieg den eigentlichen Anstoß zu deren Verabschiedung aus der Geschichte gegeben. Und trotz schwieriger Zeiten daraufhin, übrigens in Schlattners zweitem Roman "Rote Handschuhe" gleichfalls geschildert (der dem Gast überreicht wurde), werde heute in Rumänien die Fibel immer noch in zwölf unterschiedlichen Sprachen gedruckt. "Dies meine Botschaft von hier aus an das vereinte Europa demnächst", so Schlattner.
Bloß Rothberg assoziiert sich nicht nur vom Anlaut her mit den Roma. Da wurde nur jüngst vorrangig für diese Minderheit, die mittlerweile in zahlenmäßiger Mehrheit rund um den Harbach beheimatet ist, die erste ländliche Waldorfschule Rumäniens federführend unter Anette Wiecken, der Frau des BRD-Fachberaters für Siebenbürgen, Alfred Wiecken, eröffnet und nun vom einstigen Waldorfschüler Schily gleichfalls besucht. Die Einrichtung erhielt den Namen des vor zwei Jahren verstorbenen Schweizer Pädagogen Hans Spalinger, der sich nebst seiner Gattin um soziale Einrichtungen in Rumänien verdient gemacht hat.
Das Verdienst Bundesinnenministers Otto Schily bzw. sein "persönliches Engagement für die Aufhebung des Visazwangs" hatte zuvor in der Stadt am Zibin Bürgermeister Klaus Johannis honoriert und ihm im Barocksaal des Brukenthalmuseums den Titel eines Ehrenbürgers samt Urkunde sowie Schlüssel der Stadt überreicht. Und dies sei "auch die Stimme aller Rumänen, die heute frei reisen dürfen", sagte der neue DFDR-Vorsitzende. Schily betonte, dass der Wiederaufbau der Altstadt, der auch mit deutscher Hilfe saniert werde, „ein Zeichen für Völkerverständigung und Frieden“ setze. Viele kulturelle und schulische Einrichtungen in Hermannstadt, die von rumänischer und deutscher Seite gemeinsam betrieben werden, seien längst zu „Begegnungsstätten für Menschen rumänischer, ungarischer und deutscher Herkunft geworden“.
Tags zuvor, am 11. April, hatte Staatspräsident Ion Iliescu in Bukarest dem Bundesinnenminister den höchsten Orden seines Landes, den "Stern von Rumänien", verliehen. Schily bestätigte die "legitimen Ziele der rumänischen Politik", kurzfristig in die NATO und mittelfristig in die EU aufgenommen zu werden. Er lobte die „modernen ausländerrechtlichen und grenzpolizeilichen Standards“, die Rumänien eingeführt habe, aber auch die Bukarester Politik gegenüber der deutschen Minderheit. In diesem Sinne versprach Schily weitere Unterstützung seiner Regierung für die noch in Rumänien lebenden rund 80 000 Deutschen.
Das war auch der Tenor der Gespräche beim Forum mit dem deutschen Bürgermeister Klaus Johannis an der Spitze, "der weit über die Landesgrenzen hinaus einen hervorragenden Ruf genießt und der Lob schon durch den Bundespräsidenten erfahren hat". Bloß mahnte Schily, der zu Pfingsten als Festredner beim siebenbürgischen Heimattag in Dinkelsbühl auftreten wird, die deutsche Minderheit vor Ort, gerade in dieser Zeit, wo die Zeichen günstig für sie stünden, ihrem Land nicht den Rücken zuzukehren, sondern ihr Glück in Siebenbürgen zu suchen und aus ihrer Erfahrung heraus tatkräftig am Aufbau der Region mitzuhelfen. Fast zeitgleich wünschte Bundespräsident Rau in einem Schreiben an den DFDR-Abgeordneten Wittstock gleichfalls den Deutschen hierzulande "eine gute Zukunft in Ihrer Heimat".

Martin Ohnweiler

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