20. November 2000

Schüleraustausche als Brücken der Hoffnung

Ein hessisches Pädagogenseminar hat sich Ende Oktober mit der aktuellen Lage der deutschen Minderheit in Rumänien befasst und neue Impulse für die Zusammenarbeit mit dortigen deutschsprachigen Schulen vermittelt.
Ende Oktober hat der Pädagogische Arbeitskreis Mittel- und Osteuropa - LAG Hessen, der von Gerolf Fritsche geleitet wird, im hessischen Butzbach-Bodenrod eine Studientagung durchgeführt, die sich schwerpunktmäßig mit der Rolle der Deutschen in Rumänien nach dem Sturz der Diktatur beschäftigte. Konrektor G. Fritsche war es in Zusammenarbeit mit Hartmut Saenger, dem Geschäftsführer des Deutsch-Europäischen Bildungswerkes in Hessen, gelungen, die Tagung in dem Familienbildungsheim des Taunusörtchens zu veranstalten.
Eckhard Scheld, Studiendirektor in Dillenburg, hatte diese Tagung sorgfältig vorbereitet und wies in seinem Eingangsreferat darauf hin, dass es überhaupt nicht selbstverständlich, aber sehr zu begrüßen sei, dass daran nicht nur 30 Lehrer aus ganz Hessen, sondern auch 15 Lehrer und Schüler deutschsprachiger Gymnasien Siebenbürgens, des Haltrich-Lyzeums in Schäßburg, des Gustav-Gündisch-Lyzeums in Heltau, des Cosbuc-Lyzeum in Klausenburg und des Brukenthal-Lyzeum in Hermannstadt, teilnahmen. Er dankte in diesem Zusammenhang Dr. Konrad Gündisch vom Bundesinstitut für ostdeutsche Kultur und Landesgeschichte, der ihn in der Organisation der Tagung erheblich unterstützt habe.
Den einleitenden Vortrag hielt Prof. Dr. Rudolf Grulich, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Kirchengeschichte Böhmen-Mähren-Schlesien, der u.a. auch ein ausgewiesener Kenner der Minderheitensituation in Südosteuropa ist. In Zusammenarbeit mit Prof. Adolf Hampel gibt er u.a. die Reihe "Texte zum Ost-West-Dialog" heraus. Auf der Tagung sprach er über Minderheiten in Rumänien und erwähnte insbesondere das fortschrittliche Verhalten des rumänischen Staates gegenüber den Minderheitenschulen. Ausführlich ging er auf die Rolle und Situation der Ungarn in Rumänien ein, die mit über zwei Millionen Einwohnern die größte Minderheit bilden. Sein Fazit: "Wir wissen wenig über das, was sich gewaltig zum Positiven verändert hat."
Auf der letztjährigen UNESCO-Konferenz in Rabat hat das Welterbekomitee der UNESCO bekanntlich mehrere siebenbürgische Kirchenburgen sowie die Altstadt von Schäßburg in die Liste schützenswerter Denkmäler aufgenommen. Dr. Margarete Gross aus Gießen, hat sich bei mehreren Reisen nach Siebenbürgen schwerpunktmäßig mit dem Thema Kirchenburgen beschäftigt. Sie informierte in einem abwechslungsreichen Vortrag mit sorgfältig ausgewählten Dias über deren Geschichte sowie Funktion und warnte vor einer leichtfertigen Zerstörung dieser Kulturgüter, da sie nicht genügend gesichert seien.
Am zweiten Tag der Veranstaltung stand eine Erkundungsfahrt nach Herborn auf dem Programm. Dort empfing Stadtarchivar Rüdiger Störkel die Teilnehmer in der "Hohen Schule" der Fachwerkstadt, informierte sachkundig über diese Ausbildungsstätte und stellte zwei bedeutende Persönlichkeiten vor, die von hier aus in den osteuropäischen Raum hinein gewirkt haben: den tschechischen Pädagogen, Theologen und Philosophen Jan Amos Comenius, der an der Herborner "Hohen Schule" Student war, und vorrangig dessen bedeutenden Lehrer Johann Heinrich Alsted. Dieser folgte 1629 dem Ruf des Fürsten Gabriel Bethlen nach Siebenbürgen. In Weißenburg richtete er eine reformierte Lehranstalt nach dem Muster der "Hohen Schule" ein und wirkte dort bis zu seinem Tode im Jahre 1638. Störkel machte deutlich, dass die Beschäftigung mit dem Werk der Comenius und Alsted eine europäische Angelegenheit sei und eine Brücke zwischen Deutschen, Tschechen, Ungarn und Rumänen schlage. Besonders das Werk Alsteds sei noch nicht vollständig erschlossen, so der Historiker und Stadtarchivar, der zu einen Dialog mit rumänischer Partnern ermunterte, um mehr über das Wirken Alsteds im heutigen Alba Julia zu erfahren.
An der Wirkungsstätte bedeutender Professoren der "Hohen Schule" sprach sodann Dr. Konrad Gündisch, Verfasser des im Vorjahr erschienenen Buchs "Siebenbürgen und die Siebenbürger Sachsen". In der traditionsreichen Aula der Bildungsanstalt hielt er sein eindringliches Referat über die über 800-jährige Existenz der Deutschen in dem geographischen Raum des heutigen Rumäniens und trug erheblich zur Erhellung der vielfältigen Geschichte dieses Raumes bei, da er auch immer wieder rumänische und ungarische Sichtweisen berücksichtigte. Besonderen Schwerpunkt bildete dabei die Situation der dortigen Deutschen nach dem Fall des Eisernen Vorhangs in Europa. Obwohl ein "Finis Saxoniae" abzusehen sei, da die Jugend das Land weitgehend verlassen habe, rief er dennoch den Toleranzgedanken und die Kompromissbereitschaft dieser Volksgruppe in Erinnerung: "In diesem von Gegensätzen keineswegs freien Zusammenleben mit Menschen anderer Herkunft, anderen Glaubens und anderer Mentalität haben die Siebenbürger Sachsen aus der Lebenserfahrung einer Minderheit gelernt, die Interessen anderer ethnischer oder religiöser Gruppen realistisch einzuschätzen, die Fähigkeit entwickelt, sich mit Andersartigen einfühlsam auseinanderzusetzen." Noch auf der Rückfahrt nach Bodenrod musste Gündisch vielfältige Fragen zur Arbeit des Bundesinstitutes, zu seiner Kooperation mit rumänischen Universitäten und bezüglich der Zukunft der deutschen Mindeheit beantworten.
Am Abend des gleichen Tages fand eine Lesung des bekannten rumäniendeutschen Schriftstellers Dieter Schlesak statt. Er leitete sie mit einer "Lebensselbstbeschreibung" ein und erzählte von seiner Flucht als 34-Jähriger in den Westen, die er mit den Worten charakterisierte: "Wir kamen von einem anderen Planeten."
Bewegend war ein Ausschnitt aus seinem Buch "Wenn die Dinge aus dem Namen fallen", wo er von der Revolution am 22. Dezember 1989 in Kronstadt berichtete. Dort war es dem Pfarrer der Schwarzen Kirche gelungen, ein Blutvergießen zu vermeiden: "Diese friedliche Revolution ist das eigentliche Wunder; in jenen Augenblicken habe ich deutlich gespürt, wie diese geballte Kraft der wahnsinnigen Masse von etwas gezähmt wurde, das über unsere Vorstellung hinausgeht."
Anschließend las er noch Ausschnitte aus seinem Roman "Vaterlandstage" und seinem Journal "Stehendes Ich in laufender Zeit" über die Wiederbegegnung mit seiner Vaterstadt Schäßburg, die die Zuhörer tief berührten und eine rege Diskussion auslösten. Aus seinen Ausführungen ging hervor, dass er in Rumänien keine Heimat mehr sieht: "Dieses Land gehört nur noch erinnert mir, in der Wirklichkeit hat es sich viel weiter von mir entfernt, als ich von ihm."
Am letzten Tag der Seminarveranstaltung kamen die Gäste aus Rumänien zu Wort kommen, die über 1800 km zurückgelegt hatten, um die Situation deutschsprachiger Schulen in Rumänien darzustellen und über die vielfältigen Möglichkeiten für Schüleraustausche zu informieren. An dem Podiumsgespräch nahmen teil: Hermann Baier, ehemaliger Direktor der ehemaligen Bergschule in Schäßburg, Mirela Oros vom Gustav-Gündisch-Lyzeum in Heltau, Mirela Reetz, Abiturientin des Cosbuc-Lyzeums in Klausenburg, und Gerold Hermann, Direktor der Brukenthalschule in Hermannstadt.
Baier ging in seinem Referat "Die Bergschule in Schäßburg - eine europäische Schule der Zukunft" auf die traditionsreiche Geschichte dieser Lehranstalt ein und rühmte die Arbeit von Oberstudienart Hans Gerhard Pauer vom Freiherr-vom-Stein-Gymnasium in Leverkusen, der 1988 mit seinem Leistungskurs Geschichte eine Studienfahrt nach Siebenbürgen unternommen, in den Archiven geforscht und herausgefunden hatte, dass sich in dieser Schule mit ihren unterschiedlichen Schülern (Deutsche, Rumänen, Ungarn) eine eigene Identität herausgebildet habe, für die, trotz der Bindung an die alte Heimat Toleranz und Achtung den anderen Völkern gegenüber die wichtigste Grundlage bildete.
Direktor Gerold Hermann, der sich auch für die Koordination der Schülertheatergruppen in Rumänien einsetzt, stellte zunächst seine Schule näher vor, die bis 1990 eine Schule mit deutscher Unterrichtssprache für die deutsche Minderheit in Rumänien gewesen sei. Heute betrage der Anteil deutscher Schüler nur noch 10 Prozent, trotzdem werde weiter in deutscher Sprache unterrichtet, wobei ein Großteil der Schüler Rumänen seien. Er plädierte in seinem Vortrag "Entwicklung und Pflege von Schulpartnerschaften mit deutschsprachigen Schulen in Rumänien" für eine Intensivierung des Austauschs, auch wenn es immer wieder Hindernisse zu überwinden gelte. Als Praktiker konnte er eine Fülle von Anregungen geben, wie man diese Probleme überwindet. Am Schluss seines Vortrages berichteten drei seiner Schülerinnen begeistert von ihrem Austausch mit dem St. Michael Gymnasium in Ahlen, der gerade hinter ihnen lag.
Über das Lyzeum in Heltau sprach Mirela Oros, die dort als Deutschlehrerin tätig ist. Auch sie stellte die Geschichte ihrer Schule vor, die heute den Namen des siebenbürgisch-sächsischen Historikers Gustav Gündisch trägt, und äußerte den Wunsch nach einer Austauschschule. Noch während der Tagung konnte Direktorin Maria-Gabriela Dietrich erfreut berichten, dass im nächsten Jahr ein Austausch mit einer Schule in Miltenberg anvisiert werde.
Für das George-Cosbuc-Liceul sprach Mirela Reetz, die jetzt Jura in Berlin studiert. Sie hat 1994 und 1996 an zwei Austauschfahrten mit der Wilhelm-von-Oranien-Schule in Dillenburg teilgenommen und wesentlich zu deren Gelingen beigetragen. In einem bewegenden Appell sprach sie sich für mehr Kontakte aus: "Ich denke, dass diese Freundschaft zwischen einer deutschen und einer rumänischen Schule sehr nützlich für beide Seiten sein kann. Jeder kann etwas davon lernen. Die deutschen Schüler haben z. B. erfahren, was eigentlich Kommunismus heißt, welches die Folgen einer solchen Utopie sind, was für riesige Nachteile ein solches Regime mit sich bringt. Sie haben natürlich auch gesehen, was sich inzwischen verbessert hat. Sie haben, glaube ich, verstanden, dass Rumänien nicht die Hölle auf Erden ist, sondern ein schönes Land, welches versucht, langsam aber sicher nach vorn zu gehen und sich an anderen demokratischen Ländern orientiert." Auch Hortensia Oancea, Geschichtslehrerin am gleichen Klausenburger Lyzeum, betonte, wie wichtig Austausche seien, um Brücken der Hoffnung zwischen rumänischen und den deutschen Jugendlichen zu bauen, um zu zeigen, dass Rumänien auch zu Europa gehört.
In seinem Schlusswort dankte Eckhard Scheld den Teilnehmern und Referenten dieser eindrucksvollen Tagung. Für ihn sei unstrittig, sagte er unter anderem, dass Austausche mit deutschen Schulen in Rumänien ungemein wichtig seien. Größtes Hindernis auf deutscher Seite sei jedoch die fatale Konkurrenz mit Projekten in England, den USA oder Frankreich, für die es stets mehr Bewerber gebe, als dann tatsächlich Schüler teilnehmen könnten. Er forderte dazu auf, zunächst einmal Interesse bei Eltern und Schülern zu wecken. Wichtig seien klare verbindliche Absprachen, eine gemeinsame Gestaltung der Austauschprogramme und die notwendige Vorbereitung auf diesen Austausch. Er plädierte für eine Erweiterung des Adressatenkreises und schlug vor, eingebettet in die Aufgabe, den Schülern Leistung und Schicksal der deutschen Volksgruppe in diesem Raum aufzuzeigen, Kultur, Literatur und Geschichte Siebenbürgens zu vermitteln und sich für die Erhaltung der deutschen Kulturgüter in Rumänien einzusetzen, auch Gruppen und Kurse anzusprechen, die naturinteressiert seien, sich vorstellen könnten, eine Kanutour oder eine Trekkingtour in Siebenbürgen zu machen oder künstlerisch oder musisch an dem dortigen Kulturerbe interessiert seien. Die vorbereitende Beschäftigung z. B. mit Gedichten Mircea Dinescus, Erzählungen Mircea Eliades, einem Stück Eugen Ionescos ermöglichten ebenfalls den Zugang zum rumänischen Kulturkreis.
Austausche mit Partnerschulen in Rumänien werden finanziell vom Referat VF des Pädagogischen Austauschdienstes des Sekretariats der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland unterstützt (53 113 Bonn, Lennestraße 6). Weitere Infos auch im Internet unter http://www.kmk.org/pad/schp.htm. Antragsfristen sind zu beachten, zusätzlich muss der Austausch von den Staatlichen Schulämtern der jeweiligen Ländern genehmigt werden.

Eckhard Scheld

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