25. Oktober 2011

Eine sächsische Institution: Balduin Herter

Balduin Herter ist nicht mehr unter uns. Das heißt so viel wie: Eine sächsische Institution hat ihre Tätigkeit eingestellt. Er starb am 10. Oktober 2011 in seinem Wohnort Mosbach in Baden, wenige Wochen nach seinem 85. Geburtstag.
Für Balduin Herter war seine siebenbürgische Heimat über mehr als sechs Jahrzehnte ein Herzensanliegen, begeisternder Lebensinhalt. Wie wenige andere Sachsen des 20. Jahrhunderts hat er dabei gestaltend und aufbauend gewirkt. Wie könnte dieses erfüllte Leben in einem kurzen Nachruf gewürdigt werden? Es kann nur schlaglichtartig sein, denn eigentlich gebührte Herter ein Nachruf von der Art und Länge, wie ihn die Vorsitzenden des Landeskundevereins in dessen Jahreshauptversammlungen im 19. und frühen 20. Jahrhundert für verdiente Mitglieder hielten.

Herters Geburtsort Zeiden im Burzenland, wo er am 15. September 1926 das Licht der Welt erblickte, sollte ihn bis in seine letzten Lebenstage beständig beschäftigen. Auf diesen Aspekt seines Wirkens, sinnbildlich für Herters Treue, wird eigens eingegangen. Noch vor Abschluss der Honterusschule in Kronstadt wurde er im Januar 1945 zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion deportiert. Von dort nach über zwei Jahren ins zerstörte Nachkriegsdeutschland entlassen, war Balduin Herter bald einer jener Suchenden, die sich im Arbeitskreis junger Siebenbürger Sachsen zusammenfanden: Der Verlust der Heimat, brennende Neugier nach Wissen um die eigene Vergangenheit, die Sorge um das gefährdete kulturelle Erbe brachten eine versprengte Generation hier zusammen. Als es 1962 zur Gründung des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde kam, und zwar bewusst in der Rechtsnachfolge des alten Landeskundevereins, gehörte Herter zu seinen 14 Gründungsmitgliedern. Von Anfang an und über fast drei Jahrzehnte gehörte er dessen Vorstand an. Schon im Jahr danach war er an der Überführung der Siebenbürgischen Bibliothek auf Schloss Horneck nach Gundelsheim beteiligt – eine Zeit, in der er auch im Vorstand des Hilfskomitees der Siebenbürger Sachsen aktiv mitwirkte.

Balduin Herter (1926-2011) ...
Balduin Herter (1926-2011)
Als es 1970 glückte, im Schloss über dem Neckar mit Hilfe des Instituts für Auslandsbeziehungen eine hauptamtliche Stelle einzurichten, stand Herter bereit, diese mit ganzem Engagement und ansteckender Begeisterung auszufüllen: Seine Arbeitsstelle wurde zum Nucleus für all die siebenbürgischen kulturellen und wissenschaftlichen Einrichtungen, die die Marke „Schloss Horneck“ und „Gundelsheim“ bald über Deutschland hinaus bekannt machen sollten: Zum Arbeitskreis, der nun hier seine Geschäftsstelle erhielt, und zur Bibliothek kamen ein Archiv, ein Museum, eine Forschungsstelle eines Mundartwörterbuchs, bald eine Stiftung, die Heimatortsgemeinschaften, schließlich der umfassende ­Siebenbürgisch-Sächsische Kulturrat. Balduin Herter verkörperte die Zusammengehörigkeit und Einheit dieser Einrichtungen wie kein anderer. Auch im Ruhestand blieb Herter aktiv und war vor allem bestrebt, durch weitere Neugründungen die Arbeit zumal des Siebenbürgen-Instituts langfristig zu sichern – so 1992 mit dem Förderverein der Bibliothek und 1999 mit der Stiftung Siebenbürgische Bibliothek. Von den 15 Institutionen, die die Gundelsheimer Einrichtungen einschließlich des Altenheims heute tragen, können neun Herter zu ihren Gründern oder langjährigen Vorstandsmitgliedern zählen. Zwischendrin wickelte er noch jene Erbschaft ab, die es dem Landeskundeverein Mitte der neunziger Jahre erlaubte, die Dépendance in der Schlossstraße zu realisieren. Wie seine ganze Gründergeneration vertrat Herter konsequent die Unabhängigkeit der kulturellen und wissenschaftlichen Einrichtungen gegenüber anderen Instanzen. Erst auf diesem soliden Fundament sollte später die Anbindung des Siebenbürgen-Instituts an die Universität Heidelberg möglich werden.

Trotz dieser großen Auslastung fand Herter noch zeitlichen Spielraum für wissenschaftliche Arbeiten: Er stellte über Jahrzehnte hin vielfältige, oft grundlegende Bibliographien zusammen, so etwa zur siebenbürgischen Landeskunde, zu historischen Hilfswissenschaften, zu Zeiden oder auch zu seinem Wohnort Mosbach, in dessen historischem Verein er aktiv war. Er führte genealogische und heraldische Forschungen durch, gründete und leitete im Rahmen des Landeskundevereins die Sektion Genealogie und deren Zeitschrift „Siebenbürgische Familienforschung“, gab dazu auch einen Band heraus, er baute das siebenbürgische Wappen-Archiv auf und redigierte zeitweilig die „Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde“ mit. Was viele nicht wissen, ist, dass Herter 1958 für das Institut für Auslandsbeziehungen in Stuttgart ein Standardwerk über die Hymnen der Welt zusammengestellt hat („Die Nationalhymnen der Erde. Mit deutschen Übersetzungen und mit Klaviersatz. München 1958, 148 Seiten).

Balduin Herter nahm bis zum Schluss regen Anteil an allen Arbeitsbereichen, die ihn während seines Lebens beschäftigt hatten, kaum ein Thema oder eine Neuerscheinung, zu dem oder der er nicht auf dem Laufenden gewesen wäre. Ein letztes umfangreiches Manuskript schloss er kurz vor seinem Tod ab. Die siebenbürgischen Kultureinrichtungen und zumal der Landeskundeverein verlieren nicht nur einen ihrer Gründerväter, sie verlieren ein Identifikationssymbol. Baldi Herter wird uns fehlen. Wenn wir für den Erhalt unserer Kultureinrichtungen streiten, so tun wir das auch in seinem Namen, der hier nicht verblassen wird.

H. R.

Gestalter der gewachsenen Zeidner Gemeinschaft

Am 14. Oktober nahm die Zeidner Nachbarschaft Abschied von ihrem Altnachbarvater Balduin Herter, einem Mann, der sich sowohl im Verband der Siebenbürger Sachsen als auch bei allen Zeidnern größter Hochachtung und Wertschätzung erfreut hat. Viel wurde über unseren Baldi geschrieben, ob wir jedoch wirklich erfassen können, wie unermesslich seine Leistungen für unsere Gemeinschaft waren? Wir wissen wohl, dass er seine Kraft bis in die letzten Tage stets für seinen Heimatort Zeiden, für die Zeidner Nachbarschaft eingesetzt hat wie auch für die Menschen, denen er sich verbunden fühlte.

Balduin Herter hat vor kurzem seinen 85. Geburtstag und auch seine Goldene Hochzeit gefeiert. Ehefrau Friedel geb. Dück hielt ihm all die Jahre den Rücken frei für seine zahlreichen Aktivitäten und Ämter und kümmerte sich um die Erziehung ihrer drei Kinder. Zur Erinnerung hier ein paar wichtige Daten aus seinem Leben: 1926 in Zeiden geboren, 1945 aus dem Honterus-Gymnasium nach Russland deportiert, 1947 nach Deutschland entlassen, absolvierte Baldi eine Gärtnerlehre, musste diesen Beruf aus gesundheitlichen Gründen jedoch bald aufgeben und hatte „Glück“: Von 1951 bis 1958 war er Mitarbeiter am Institut für Auslandsbeziehungen. Danach arbeitete er als Lektor in einem Verlag in Heidelberg, anschließend noch zwei Jahre in Wiesbaden. Es sollte sich herausstellen, dass Baldi ein Glücksfall für die siebenbürgischen Institutionen in Gundelsheim wurde (siehe obenstehenden Nachruf).

Schon früh pflegte er enge Beziehungen zu seinen Zeidner Leidensgenossen. Er und ein einige andere Zeidner Freunde organisierten 1953 das erste Zeidner Treffen in Stuttgart. Aus der Notwendigkeit heraus und immer vorausschauend wurde damals auch die Zeidner Nachbarschaft ins Leben gerufen, zu deren Gründern neben Alfred Schneider und Anni Plajer auch Baldi zählte. Die Zeidner Nachbarschaft war der erste organisierte Heimatortszusammenschluss unter den Siebenbürgern in Deutschland. Viele andere Gemeinden folgten. Ein weiteres Novum war der „Zeidner Gruß“, das erste Mitteilungsblatt einer siebenbürgisch-sächsischen Ortsgemeinde, den Baldi schon ein Jahr nach dem ersten Treffen herausgab. Sowohl unsere Treffen wie auch unsere „Zeitung“ haben ein halbes Jahrhundert überdauert und sind uns nach wie vor ein wichtiges Anliegen.

Zwischen 1954 und 1980 war er unser Nachbarvater. Er erkannte die Bedeutung des persönlichen Kontaktes und des Meinungsaustausches und initiierte 1980 das erste Treffen der Vorsitzenden der Burzenländer Heimatortsgemeinschaften. Auch war ihm die Zeidner Geschichte ein besonderes Anliegen und demzufolge gründete er 1998 den „Zeidner Ortsgeschichtlichen Gesprächskreis“, dem er bis 2011 vorstand; danach übernahm Helmuth Mieskes die Leitung.

Baldi war Sammler spezifischer Zeidner Mundartbegriffe, war Gründungsmitglied der „Stiftung Zeiden“ und Mitherausgeber fast aller Publikationen, die in der Schriftenreihe „Zeidner Denkwürdigkeiten“ herausgegeben wurden. Ferner hat er Daten von Zeidner Persönlichkeiten gesammelt, die innerhalb dieser Reihe veröffentlicht werden.

1991 trat Baldi in den wohlverdienten Ruhestand; nicht jedoch bei den vielen Aktivitäten für die Zeidner Nachbarschaft. Obwohl er einige schwere Krankheiten überstehen musste, war er als Altnachbarvater weiter tätig. Seine vorausschauenden Vorschläge, sein Rat waren uns immer eine echte Bereicherung. Wir schätzten an ihm, einem Autodidakten par excellence, sein enormes Wissen, seine freundliche und ausgeglichene Art, seine Bescheidenheit und Hilfsbereitschaft, seine absolute Verlässlichkeit und seinen außerordentlichen Fleiß. Er setzte sich ein für die Belange der Zeidner Nachbarschaft bis an seine körperlichen Grenzen. Die „Zeidner Annalen“ beendete er kurz vor seinem Tod.

Auf die Frage unseres Redakteurs Hans Königes nach seiner Vision antwortete Baldi: „Wenn unsere Gemeinschaft ihr bisher recht gut entwickeltes Selbstbewusstsein beibehält, wird sie Wege finden, diese gewachsene Gemeinschaft weiter zu pflegen (...). Eine Profilierung wird ihr in Zukunft dann gelingen, wenn sie sich Aufgaben stellt, an denen sie wachsen kann, (...) als eigenständige Gemeinschaft - nicht als Mitläufer, sondern als Gestalter.“ - In seiner Abschiedsrede sagte unser Nachbarvater Udo Buhn: „Gewiss, das Leben in unserer Nachbarschaft wird weiter gehen, aber die Lücke, die Baldi hinterlässt, wird sich nur schwer schließen lassen. Zurück bleibt die Erinnerung an einen wertvollen Menschen, dem wir als Nachbarschaft und Gemeinschaft mehr verdanken, als Worte hier ausdrücken können. Zurück bleibt aber auch seine unbestreitbare Leistung für uns alle. Dafür danken wir ihm. Nun ist es an uns, an seine großartigen Leistungen anzuknüpfen. So wird sein Wirken noch lange in uns lebendig bleiben“.

Im Namen der Zeidner Nachbarschaft: Renate Kaiser

Schlagwörter: Nachruf, Museum, AKSL, Gundelsheim, Zeiden

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