18. April 2012

Neue Reihe in der Siebenbürgischen Zeitung: „Lebensbilder“

Vor mehr als 20 Jahren kam die große Wende im gesamten Ostblock. Für die Siebenbürger Sachsen blieb das nicht ohne Folgen. Die meisten von ihnen verließen innerhalb kürzester Zeit das Land. In loser Folge stellen wir unter dem Motto „Lebensbilder“ Episoden aus dem Leben verschiedener Menschen vor. Sie erzählen über die Beweggründe, Gefühle, Ansichten der Aussiedler. Es geht um das, was in Rumänien war, Erlebnisse rund um die Ausreise sowie den Neubeginn in einem bis dahin fremden Land. Falls Sie Ihre Geschichte erzählen wollen, können Sie über die Siebenbürgische Zeitung mit Karin Maiterth Kontakt aufnehmen.
Michael Gärtner (74) war etwa zwölf Jahre alt, als er das erste Mal ernsthaft über eine Ausreise nachdachte. Er wollte zu seinem Vater, der nach Kriegsende eine neue Heimat in Deutschland gefunden hatte.

Es muss Anfang der 50er Jahre gewesen sein, erinnert sich Michael Gärtner heute, als die ersten Verwandten auf Besuch in das kleine Dorf Nimesch kamen. Die entfachten nicht nur die Sehnsucht nach dem Vater in dem Jungen aufs Neue, sondern lösten einen Wunsch in ihm aus, der ihn über Jahrzehnte begleiten sollte: Er wollte von Rumänien nach Deutschland ausreisen. Ein Wunsch, der nicht einfach zu realisieren war.

Michael Gärtner ist das jüngste von drei Kindern. Nach dem Krieg wurde seine Familie – genauso wie alle sächsischen Familien im Ort – aus dem Haus vertrieben. Sie waren arm, vom Ausreisen konnten sie nur träumen.

Konkreter wurde dieser Traum 1960. Da heiratete der junge Mann seine Elsi. 1961 stellten sie gemeinsam den ersten Ausreiseantrag. Den Rat des fernen Vaters in Deutschland, erst einmal keine Kinder zu bekommen, das Leben sei so leichter, befolgten sie nicht. Tochter Ilse erblickte das Licht der Welt, die Behörden aus Hermannstadt allerdings ließen nichts von sich hören.

Michael Gärtner ...
Michael Gärtner
Das Leben ging weiter. Sie bauten sich ein Zuhause auf, die Familie wuchs auf fünf Personen an. „Wir hatten eigentlich keinen triftigen Grund auszureisen“, so Michael Gärtner im Rückblick. Er hatte Arbeit und genug zu essen. Trotzdem wollte er weg. „Ich war nie mit Leib und Seele dabei“, erzählt seine Frau Elsi. Sie habe nie gewusst, was in Deutschland auf sie zukommt, und an das blühende Leben, das die Besucher in den höchsten Tönen lobten, habe sie sowieso nicht geglaubt. Aber eines war beiden sehr wichtig: Ihre Kinder sollten deutschsprachig aufwachsen. Und genau darin sahen sie das Problem. Erdkunde und Geschichte wurde bereits ab der fünften Klasse in rumänischer Sprache unterrichtet. Bei der jüngsten Tochter war es noch extremer, nach der vierten Klasse gab es für sie in der Schule keinen Unterricht mehr in der Muttersprache.

Im Laufe der Jahre kamen immer wieder Ausreiseanträge dazu, doch das Ergebnis war nur eine Absage nach der anderen. Nachbarn und Verwandte verließen das Dorf in Richtung Westen, Familie Gärtner musste bleiben. Es sollte 28 Jahre dauern, bis sie die begehrten Papiere in den Händen hielten und das Land verlassen durften. Warum das so lange dauerte, weiß der 74-Jährige nicht. Entweder es habe sie einer so sehr geliebt, oder es sei reine Schikane gewesen. Mit über 40 Jahren gehörte er auch zu den wenigen Männern in der Mediascher Gegend, die als Reservisten nach Bukarest abkommandiert wurden. Hier musste er bei dem großen Umbau der Stadt mithelfen. Ob und wer ihn bespitzelt hat, will er nicht wissen. Mit dem, was er hat, ist er zufrieden.

Aber zurück in das Jahr 1988. Die begehrten Pässe hatten sie in den Händen, die Angst, dass sie ihnen im letzten Moment doch noch abgenommen werden könnten, saß ihnen im Nacken. Es gab viel zu viele Gerüchte, die von solchen Vorkommnissen erzählten. Trotzdem, die Freude war da, wenn auch getrübt. Tochter Ilse – inzwischen verheiratet und Mutter – durfte nicht mit.

Die Integration in einer Großstadt in Nordhessen gelang problemlos. Ein bisschen Heimweh war immer da, gerade dann, wenn über Siebenbürgen gesprochen wurde, aber neue Aufgaben warteten bereits. Das Ehepaar fand gleich Arbeit, es engagierte sich in der Kirche der Landsmannschaft.

Ein Zurück gibt es für Michael Gärtner nicht mehr. Auch nach der Revolution nicht. Er ist sogar davon überzeugt, wären die Sachsen in Rumänien geblieben, hätte es nach dem Zusammenbruch des Kommunismus Streitigkeiten um Grund und Boden gegeben. Mit dem Exodus der deutschen Bevölkerung blieb das aus.

Karin Maiterth

Schlagwörter: Lebensbilder, Porträt, Aussiedlung

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