5. August 2013

„Ohne Literatur ist mein Leben unvorstellbar“

Vielseitig, ironisch und der Literatur verschrieben – etwa so ist Dr. Carmen Elisabeth Puchianu ihrem Publikum bekannt. Sie unterrichtet deutsche Literatur an der Transilvania-Universität Kronstadt, betreut das Studententheaterensemble „Die Gruppe“, tritt selber als Mitglied des „Duo Bastet“ sowie des „Kabarett Kaktus“ auf die Bühne und engagiert sich als Presbyterin für die Evangelische Kirchengemeinde A.B. Bartholomä. Vor allem aber schreibt sie über ihre Heimatstadt, in der sie dreisprachig (deutsch, ungarisch, rumänisch) aufgewachsen ist. 1980 debütierte sie als Lyrikerin, 2012 erschien ihr erster Roman, „Patula lacht“. Zurzeit stehen ein Nachfolgeroman, ein Gedichtband und eine theaterwissenschaftliche Arbeit auf ihrer Agenda. Mit Dr. Carmen Elisabeth Puchianu sprach SbZ-Korrespondentin Christine Chiriac.
Wie steht es heutzutage bei den Studierenden um das Interesse für deutsche Literatur?
Die Begeisterung ist relativ mäßig, egal um welche Literatur es sich handelt, weil das Lesen an sich nicht mehr „interessant“ ist. Die Fremdsprachenkenntnisse vieler Philologie-Studenten reichen nicht so weit, als dass sie sich mit einem anspruchsvollen Roman von Thomas Mann, Joyce oder Flaubert auseinandersetzen könnten. Viele entscheiden sich daher eher für die Studienrichtung „Angewandte Fremdsprachen“ und meiden den Leseaufwand. Immer wieder stelle ich bei Prüfungen fest, dass im besten Fall zwei oder drei Romane gelesen werden und alles andere vielleicht in Form von Rezensionen, Vorworten, Verfilmungen oder Internet-Infos zur Kenntnis genommen wird. Außerdem sind viele Studierenden berufstätig und betrachten ihr Studium leider als Nebenbeschäftigung. Das beunruhigt mich, denn ich muss mir die Frage stellen, inwiefern die Zukunft unserer Studienrichtung noch garantiert ist.

Carmen Elisabeth Puchianu bei einer Lesung. ...
Carmen Elisabeth Puchianu bei einer Lesung.
Was spricht Ihrer Meinung nach trotzdem für ein Literaturstudium? Das kann ich nur sehr subjektiv einschätzen. Meiner Meinung nach bietet Literatur einen wichtigen Ausgleich zum Alltag – nicht unbedingt eine „Zuflucht“, aber immerhin eine Möglichkeit, sich anders mit der Realität auseinanderzusetzen. Als Leser findet man im Buch eine parallele Wirklichkeit, die besser oder schlechter ist als die eigene und an der man sich orientieren kann. Als Schreibender hat man dank der Literatur die Chance, sich von Zwängen, Ängsten oder Problemen schreibend zu befreien und selber eine andere Wirklichkeit zu schaffen. Insofern ist Literatur auch eine Form von Therapie. Ich selbst war zwar nicht mehr so jung, als ich konsequent zu lesen begann, aber seither kann ich mir mein Leben ohne die Literatur überhaupt nicht vorstellen.

An der Uni koordinieren Sie das Masterprogramm „Interkulturelle Studien zur deutschen Sprache und Literatur“, das sich u.a. mit rumäniendeutschen Autoren befasst. Welches sind die Schwerpunkte des Studiengangs?
Unser Masterstudiengang hat „Interkulturalität“ zum allgemeinen Schwerpunkt. Der Begriff ist mittlerweile auch in der Forschung eine Art Modeerscheinung geworden und hat als solcher nicht nur für mögliche Tagungssponsoren Anziehungskraft. Als wir diesen Studiengang im Jahr 2008 ins Leben gerufen haben, sind wir davon ausgegangen, dass wir hier in Kronstadt in einer interkulturellen Umgebung leben und dass es sich lohnt, dieses Potenzial auszuschöpfen. Daran orientieren wir unsere sprach- und literaturwissenschaftlichen Veranstaltungen – und so war es selbstverständlich, auch über die rumäniendeutsche Literatur zu sprechen, denn sie ist größtenteils ein interkulturelles Produkt.
In den Vorlesungen skizziere ich zunächst einmal einen geballten literaturhistorischen Überblick der deutschsprachigen Literatur vor allem in Siebenbürgen, aber auch im Banat und in der Bukowina. Ich betrachte es als notwendig, denn die meisten Studierenden kommen aus einem nichtdeutschen Umfeld und kennen sich mit diesem Teil der Kulturgeschichte eher wenig aus. Im zweiten Semester beschäftigen wir uns mit der Literatur von 1918 bis heute, einschließlich der großen Zäsuren von 1945 und 1989. Autorenschwerpunkte lege ich auf die „klassische Moderne der siebenbürgischen Literatur“, wie ich sie gern nenne – also auf Adolf Meschendörfer und Erwin Wittstock – und natürlich auf die Literatur der Nachkriegszeit mit Berücksichtigung der „Aktionsgruppe Banat“ und der in Rumänien verbliebenen Autoren. Es ist mir zudem sehr wichtig, über das zu sprechen, was eine rumäniendeutsche Literaturszene überhaupt ermöglicht hat, und zwar über Verlagswesen und Zeitschriften. Gerade dieser editorische und logistische Aspekt sieht heute ganz anders aus als vor einigen Jahrzehnten.

Ist es nicht eine recht „schwierige“ Sparte, heute deutsche Autorin in Rumänien zu sein?
Ich kann mir vorstellen, dass es für Autoren und Künstler überall auf der Welt gleich leicht oder schwer ist. Was uns aber hier in Rumänien gerade seit der Wende große Schwierigkeiten bereitet, ist das starke Schwinden des deutschsprachigen Lesepublikums und das Einstellen einiger ernsthafter Publikationen. Ich habe es als großen Verlust empfunden, dass die „Neue Literatur“ aus Rumänien ausgesiedelt wurde. Leider hat man hierzulande keine deutschsprachige Literaturzeitschrift mehr, die auch jungen Autoren zur Veröffentlichung von Gedichten oder Kurzprosatexten zur Verfügung steht. Außerdem sind die Literaturkreise weggebrochen – und somit der regelmäßige Austausch mit dem Publikum. Als problematisch betrachte ich zudem die Veröffentlichungsmöglichkeiten: Es gibt inzwischen genügend Verlage in Rumänien, die deutschsprachige Bücher herausbringen, aber das Lektorierungsverfahren und der Vertrieb lassen zu wünschen übrig. Dabei haben rumäniendeutsche Autoren gerade jetzt keine schlechte Konjunktur – vor allem nach der Verleihung des Literaturnobelpreises an Herta Müller hat das Interesse der rumänischen Literaturszene für die rumäniendeutsche zugenommen.
Das „Kabarett Kaktus“ bei einem Auftritt im ...
Das „Kabarett Kaktus“ bei einem Auftritt im Sommer 2012: Carmen Elisabeth Puchianu, Elena Cristian (Violine) und Paul Cristian (Klavier). Foto: Christine Chiriac
Sie haben über das Schreiben als Form von Therapie gesprochen. Sind Ihre Bücher in diesem Sinne autobiografisch? Was inspiriert Sie?
Inspirationsquelle ist für mich alles. Ich bin keine systematische Schreiberin und meine Recherche verläuft nicht besonders strukturiert. Ich greife meine Themen aus meinem unmittelbaren Erfahrungsbereich auf. Das kann vielleicht autobiografisch sein, es kann aber auch eine Beobachtung sein, die ich auf der Straße mache, oder ein halber Satz, der mir auffällt. Ich habe gemerkt, dass mir ein Text dann gelingt, wenn ich den „ersten Impuls“ sofort sprachlich erfasse und gestalte – dementsprechend finde ich, dass meine kurzen Texte wesentlich abgerundeter ausfallen. Aus diesem Grund habe ich auch keinen Roman mit streng systematischer Struktur schreiben können. Offensichtlich fehlt mir diese Form der Disziplin.

Welchen Stellenwert nehmen Theater, Regie und Kabarett in Ihrem Leben ein?
Das Theater hat mich immer schon fasziniert. Als Schülerin habe ich zwar an wenigen Schultheaterprojekten mitgemacht, später habe ich allerdings als Lehrerin mit meinen Schülern Theaterstücke inszeniert. Am Anfang war es klassisches, literarisches Theater mit konventionellen Kostümen und Kulissen. Am Honterus-Gymnasium habe ich mir zum Beispiel den „Zerbrochnen Krug“ von Kleist ausgesucht – ein hirnrissiges Unterfangen, das aber letztlich ganz gut gelungen ist. Damit waren wir auf Tournee in Schäßburg, Hermannstadt, Zeiden und auch in Wien. Nach der Wende habe ich am Leopoldinum-Gymnasium in Passau den dortigen Theater-Guru Sepp Meißner kennengelernt, und habe verstanden, dass man Theater auch ganz anders als brav und klassisch machen kann. Vor einigen Jahren sind dann das Studentenensemble „Die Gruppe“ und das „Duo Bastet“ entstanden. Mit Letzterem habe ich eine „Nische“ gefunden, wo ich gemeinsam mit meinem Kollegen Robert Elekes absurdes Theater betreibe und die Möglichkeit habe, Elemente aus dem Improvisations-, dem Tanz-, dem Körper- und dem Sprechtheater zu kombinieren. Dabei ist man auf der Bühne paradoxerweise am meisten sein eigen Selbst und wiederum ein anderer. Das fasziniert mich nach wie vor. Das 2011 entstandene „Kabarett Kaktus“ ist für mich reine Unterhaltung, mit einem parodistischen Unterton. Was mir dort besonders gut gefällt, ist die Zusammenarbeit mit den Musikern.

Seit vier Jahren sind Sie auch Presbyterin der Bartholomäer Kirchengemeinde. Wofür setzen Sie sich hier am meisten ein?
Meines Erachtens ist es wichtig, dass eine stark geschrumpfte Gemeinde mit relativ hohem Durchschnittsalter, wie es unsere ist, möglichst aktiv bleibt. Insofern betreue ich das Kinder-, Jugend- und Erwachsenenensemble „Interludium“ – eine Gruppe mit variabler Zusammensetzung, mit der ich Weihnachts- und Passionsspiele inszeniere. Das Ensemble ist ebenso interkulturell, interkonfessionell wie intergenerativ, und gerade das macht die Arbeit mit den Spielern für mich besonders interessant. Zudem haben wir – das heißt, unser Organist Paul Cristian und das Presbyterium – vor vier Jahren den „Bartholomäer Konzertsommer“ ins Leben gerufen, denn wir wollen unsere Kirche mehr in das Kulturgeschehen der Stadt implizieren und als historisches Bauwerk verstärkt ins Bewusstsein der Kronstädter und der Touristen rücken. Hoffentlich gelingt es uns bald, auch regelmäßige Führungen in der Kirche anzubieten. Das älteste Gotteshaus der Stadt hat diese Aufmerksamkeit auf jeden Fall verdient.

Schlagwörter: Interview, Schriftstellerin, Kronstadt, Theater

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