25. Februar 2015

Leuchtende Schatten: Interview mit der Autorin Iris Wolff

Als Romanautorin debütierte Iris Wolff 2012. Ihr Erstling „Halber Stein“ erschien bald in zweiter Auflage und wurde in Dinkelsbühl beim Heimattag 2014 mit dem Ernst-Habermann-Preis ausgezeichnet. Ihr zweiter Roman „Leuchtende Schatten“ erscheint im März zur Buchmesse. Der Otto Müller Verlag hat ihn bereits in seinem Frühjahrsheft für das laufende Jahr vorgestellt: „Poetisch und mit beeindruckender Leichtigkeit erzählt Iris Wolff in ihrem zweiten Roman von der Unantastbarkeit der Freiheit, von Freundschaft und Liebe in der Zeit zwischen Kindheit und Erwachsensein.“ Mit der Autorin sprach Siegfried Habicher.
Ella und Harriet heißen die Protagonistinnen deines neuen Romans. Was sollten wir als Leser von den beiden wissen?
Ella lebt mit ihrer Großfamilie in der Hermannstädter Unterstadt, Harriet stammt aus Kronstadt und zieht im Frühling 1943 mit ihrer Familie auf die Hallerwiese. Ella ist eine Träumerin, die in ihrem Familienumfeld und in ihrer Stadt ganz aufgeht. Harriet ist eine kluge, umsichtige Realistin mit einer starken, doch beherrschten Lebenskraft. Die beiden sind sich, trotz ihrer Unterschiedlichkeit, auf unmittelbare, sinnliche Weise vertraut. Als Ellas Leben beginnt, durch die Kriegswirrnisse auseinanderzubrechen, ist sie versucht, sich in Tagträume zu flüchten. Durch Harriet lernt sie, wie wichtig es ist, im Augenblick zu leben. Die Geschichte ihrer Freundschaft ist so etwas wie eine Elegie über das Glück.

Gibt es neben den beiden Mädchen weitere Figuren, die dir besonders am Herzen liegen?
Ja, ich liebe Ursula-Oma, das Oberhaupt aus Ellas Familie. Sie ist meine heimliche Hauptfigur. Sie zeichnet sich durch ihren unbestechlichen Willen und unerschütterlichen Pragmatismus aus. Ihre herrlichen Kapriolen und ihre Stärke machen sie zu einem Archetyp der siebenbürgischen Großmutter.
Dann gibt es noch Daggi, Ellas selbstbewusste und eigenwillige Cousine oder Herrn Weissenberg, Harriets Vater. Viele Figuren sind mir nah. Wie ein gutes Gedicht immer etwas offen lässt und sich nicht erschöpft, so erklären sich die Figuren nie völlig. Das, was einen anderen Menschen zu seinen Worten und Taten antreibt, ist immer größer als unsere Versuche, seine Handlungen zu deuten. Literatur erlaubt es, in fremde Leben hineinzusehen, und kann Mut machen, diese Differenz auszuhalten.
Iris Wolff. Foto: Stine Wiemann ...
Iris Wolff. Foto: Stine Wiemann
Die Geschichte ist im Hermannstadt der Jahre 1943 bis 1944 angesiedelt, also vor deiner Zeitrechnung. Was hat dein Interesse an dieser Zeit geweckt?
In meinem ersten Roman ging es um die Auswanderung der Siebenbürger Sachsen aus der Perspektive meiner Generation. Diese Thematik ist natürlich näher an meiner eigenen Biographie. Doch was die beiden Bücher miteinander verbindet, ist das Interesse an den Bruchstellen der siebenbürgischen Geschichte, in denen sich der Exodus abzeichnet. Jede Generation hat ihre Fragen an die Vergangenheit und die Freiheit, sich damit auseinanderzusetzen, ob auf autobiographischem oder künstlerischem Weg.
Manchmal habe ich mich gefragt, warum ich mir so ein schweres Thema ausgesucht habe. Doch es ist eigentlich keine Frage des Suchens, eher des Findens. Schreiben ist für mich so, als würde ich ein verschwommenes Bild betrachten. Ich entscheide mich genauer hinzusehen und beginne mit dem Festhalten dessen, was sichtbar wird. Vielleicht klingt es seltsam, doch Ella und Harriet waren eines Tages einfach da. Und ich habe ihre Geschichte aufgeschrieben.

Inwiefern spiegelt die Familiengeschichte mit ihren lebendig gezeichneten Figuren die beginnende Auflösung einer jahrhundertealten Kultur?
Die Romanhandlung umfasst zwei historische Ereignisse: die Rekrutierung von Siebenbürgern für die deutsche Wehrmacht im Sommer 1943 und der Frontwechsel Rumäniens vom 23. August 1944. Der Roman will keinen Geschichtsunterricht geben, die Fakten sind bekannt, diese Jahre sind bereits von anderen wunderbaren Autorinnen und Autoren verarbeitet worden. Mir ging es darum, den Blick auf das alte Hermannstadt zu richten. Ich war neugierig, wie der Zusammenhalt innerhalb der Familien aussah, wie sich Menschlichkeit in dunklen Zeiten zeigt und wie viel Verlust sich ertragen lässt. Der Dienst in der Wehrmacht, die Deportation, die Enteignungen und Repressionen während des Kommunismus haben dazu geführt, dass vielen Siebenbürgern ein Urvertrauen abhanden gekommen ist. Sie haben nicht mehr an eine Zukunft in Rumänien geglaubt.

Setzt du als Erzählerin diesem sich abzeichnenden Ende einer Epoche etwas entgegen?
Wenn wir uns an etwas nicht mehr erinnern, ist es, als wäre es nie geschehen. In der Erinnerung kann das Erlebte einen anderen Stellenwert, eine andere Intensität und Bedeutung erhalten. Auch in Zeiten voller Leid und Verlust lässt sich – und das zeigt oft erst die Rückschau – etwas finden, das einen getragen hat. Zumeist die Liebe. Die Dinge sind nie ganz hell oder ganz dunkel. Darauf spielt auch der Titel „Leuchtende Schatten“ an.

Wirst du wieder auf Lesereise sein?
Ja, nach drei Jahren des Schreibens freue ich mich sehr darauf, wieder unterwegs zu sein. Meine Lesereise führt mich am 27. März erneut nach Stuttgart ins Haus der Heimat, nach Leipzig, Salzburg, Linz, Heilbronn, Ludwigsburg, München und andere Städte. Wer Interesse an einer Lesung hat, kann sich gerne an meinen Verlag oder an mich persönlich wenden.

Iris Wolff: „Leuchtende Schatten“, Otto Müller Verlag, Salzburg, 2015, 324 Seiten, 21 Euro, E-Book 16,99 Euro, ISBN 978-3-7013-1228-3, Erscheinungstermin: März 2015. Weitere Informationen im Internet: www.iris-wolff.de
Leuchtende Schatten
Iris Wolff
Leuchtende Schatten

Müller, Otto
Gebundene Ausgabe
EUR 23,00
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Schlagwörter: Interview, Autorin, Roman

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