11. September 2015

Neue Heimat Siebenbürgen: Ein Gespräch mit dem Wahlhermannstädter Stefan Bichler

„Viele Menschen kritisieren uns PR-Leute, weil wir angeblich unsere Kreativarbeit bloß demjenigen zur Verfügung stellen, der mehr bezahlt“, sagt Stefan Bichler, „doch man ist eben keineswegs verpflichtet, jeden Auftraggeber zu akzeptieren – und ich würde sicher nicht kritiklos jede Art von Öffentlichkeitsarbeit übernehmen.“ Der Referent für die Öffentlichkeitsarbeit der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien (EKR) und Chefredakteur der Kirchlichen Blätter ist froh, seit 2013 wieder journalistisch tätig zu sein. Auf Deutsch und Rumänisch gleichermaßen wortgewandt und souverän, könnte man ihn für einen gebürtigen Siebenbürger halten – dabei ist Stefan Bichler (38) im südlichen Wienerwald in Niederösterreich aufgewachsen. Erst nach einigen Studiensemestern an der Uni Wien (Politikwissenschaft und Geschichte) und dem journalistischen Berufsstart entdeckte er Hermannstadt. Vor zwölf Jahren wurde die Stadt zu seiner Wahlheimat. Mit Stefan Bichler sprach die Korrespondentin der Siebenbürgischen Zeitung, Christine Chiriac.
Herr Bichler, wie kamen Sie dazu, sich in Hermannstadt niederzulassen?
Die Geschichte ist verworren und hat mit vielen Zufällen zu tun: 1997 habe ich in der Schulerau an einem Seminar für Jugendliche teilgenommen, und weil ich das Land interessant fand, bin ich im selben Jahr und noch einmal 1998 privat hierher gereist und habe mich intensiv über Rumänien dokumentiert. So habe ich die Hermannstädter Zeitung (HZ) entdeckt, und 1999 sommersüber ein Praktikum bei der HZ absolviert. In der Redaktion habe ich erfahren, dass man auch als österreichischer Staatsbürger den Zivildienst in Rumänien leisten kann – also habe ich 2000-2001 als Hilfslehrer in Großpold gearbeitet. Damit wäre vorgesehen gewesen, dass die Episode Siebenbürgen vorüber ist. Ich habe zwei Jahre in Österreich gelebt und gearbeitet – jedoch war es eine Zeit, in der es unüblich war, aus West-Mitteleuropa nach Rumänien zu kommen, sei es nur für ein paar Monate, und daher haben mich viele Personen kontaktiert, die von Hilfslieferungen über Tourismus bis hin zu Investitionsideen an Rumänien interessiert waren, um sich über das Land zu informieren. Als es drohte auszuufern, habe ich beschlossen, aus meinem Berater-Hobby einen Beruf zu machen. Meines Erachtens ist es ein Vorteil, wenn nicht sogar Voraussetzung, vor Ort zu leben, wenn man solche Ratschläge auf professionellem Niveau geben möchte. Meine Tätigkeit als Berater bestand hauptsächlich darin, Menschen aus Deutschland und Österreich zu helfen, in ­Rumänien geschäftlich aktiv zu sein oder zu werden. Präziser ausgedrückt ging es um ein Durchhelfen durch die Bürokratie oder eine Einschätzung über die wirtschaftliche Situation und die politische Stabilität. Nach rund zehn Jahren habe ich dann beschlossen, zu meinen journalistischen Wurzeln zurückzukehren.

Wie gestaltet sich die Öffentlichkeitarbeit der EKR?
Die Landeskirche betreibt Öffentlichkeitsarbeit spätestens seit 1897, als die Kirchlichen Blätter ins Leben gerufen wurden, das älteste heute in Rumänien existierende Periodikum in deutscher Sprache. Daher macht es mir besondere Freude, die Redaktionsleitung innezuhaben. Zur Öffentlichkeitsarbeit gehören außerdem die Pflege der Kontakte zu den Journalisten, das Organisieren von Pressekonferenzen, das Verfassen von Presseaussendungen, das Pflegen der Homepage und die Präsenz in den sozialen Netzwerken. Da ich über keinen Mitarbeiterstab verfüge, setze ich Prioritäten. Das heißt zum Beispiel, dass wir prioritär bei der deutschen Sprache bleiben, weil sie eben – neben dem Sächsischen – seit jeher die Sprache unserer Kirche ist. Zurzeit übersetzen wir unsere Homepage www.evang.ro aber ins Rumänische, außerdem werden unsere Pressekonferenzen auf Rumänisch gehalten, weil die meisten Journalisten der deutschen Sprache nicht mächtig sind. Siebenbürgen ist ohnehin gemischtsprachig, aber wenn ich mir etwas wünschen dürfte, dann wäre es eine intensivere Kommunikation auf Rumänisch: Als Kirche wollen wir nicht nur die ­Gemeindeglieder erreichen, sondern haben genauso den Anspruch, uns ­ge­samt­gesellschaft­lich zu Wort zu melden, und die Gesamtgesellschaft ist in Rumänien nicht deutschsprachig.

Stefan Bichler im Innenhof des Hermannstädter ...
Stefan Bichler im Innenhof des Hermannstädter Bischofspalais. Foto: Christine Chiriac
Wie fühlt sich ein Österreicher unter Rumänen, Sachsen, Ungarn in Hermannstadt?
In erster Linie nicht exotisch – ich finde, ein Ostösterreicher und ein Siebenbürger haben erheblich mehr gemeinsam, als man glauben könnte, beginnend vom Kulinarischen über verschiedene profane oder kirchliche Feste und Traditionen bis hin zu Redewendungen und Alltagskultur. Schließlich liegt Siebenbürgen geografisch näher an Ostösterreich als die meisten Teile Deutschlands. Natürlich gibt es viele Unterschiede, aber so einfach wie ich hierhergekommen bin, hätte ich nach Tokio, Madrid oder Bukarest nicht gehen können. Abgesehen davon sind die Menschen in Siebenbürgen sehr gastfreundlich, und man wird schrittweise ein Teil der Gesellschaft.

Wenn Sie von kulturellen Gemeinsamkeiten zwischen Ostösterreich und Siebenbürgen sprechen, meinen Sie damit primär die siebenbürgisch-sächsische Kultur oder die siebenbürgische insgesamt?
Letzteres. Der Alltag war schon nicht mehr siebenbürgisch-sächsisch geprägt, als ich Ende der neunziger Jahre hierher kam. Ich hatte von Anfang an viele Siebenbürger Sachsen in meinem Freundeskreis, aber schon damals war das Leben hier eine rumänisch geprägte Angelegenheit. Der Unterschied zwischen Ungarn, Rumänen und Sachsen fällt für mich nicht so sehr ins Gewicht wie die Gemeinsamkeit, Mitteleuropäer zu sein.

Wie meistern Sie Kulturunterschiede in Ihrer Familie?
Ich bin wie fast alle Österreicher katholisch getauft und aufgewachsen. Als ich hierher kam, stand ich vor der Herausforderung, entweder in den orthodoxen Gottesdienst zu gehen, bei dem mich die altertümliche, sehr poetische rumänische Sprache bis heute überfordert, oder in den katholischen Gottesdienst, der auf Ungarisch gehalten wird, und von dem ich noch weniger verstehe. Also habe ich mich für den deutschsprachigen Gottesdienst entschieden, der eben lutherisch ist, und betrachte mich seither als „Geheimprotestant“. Meine Töchter sind evangelisch getauft, mit einer orthodoxen Mutter und einem katholischen Vater.

Inwiefern beeinflussen Kulturunterschiede ­Ihre Arbeit?
Probleme tauchen immer auf, wenn Menschen, die einen bestimmten Arbeits- und Lebensrhythmus gewohnt sind, mit anderen Gepflogenheiten konfrontiert werden. Mein Job als Berater ausländischer Unternehmen bestand – und das ist keine Übertreibung – zu 70 Prozent aus Kulturvermittlung: Ich musste meinen rumänischen Partnern eine sehr strenge, überpünktliche Karikatur des Deutschen oder des Österreichers zeichnen, um sie damit anzutreiben, umgekehrt musste ich den westlichen Auftraggebern eine gelassene bis träge Karikatur der Rumänen auftischen, um ein bisschen auf die Bremse zu treten, zum Beispiel wenn es um die Einhaltung von Fristen ging. Dem einen sagt man, die Arbeit muss am liebsten schon vorgestern fertig werden, dem anderen sagt man, er solle Geduld aufbringen, denn es könnte bis übermorgen dauern – so gibt es eine Chance, dass man sich in der Mitte trifft. Der Umgang mit solchen Herausforderungen hängt von der eignen Erwartungshaltung ab. Wenn man realistisch ist – und das bin ich gerne – ist man meistens positiv überrascht.

Hat sich das Land stark gewandelt, seit Sie zum ersten Mal hier waren?
Absolut – es sind immerhin schon 18 Jahre vergangen. Das Tempo könnte manchmal höher sein, aber egal welche Regierung in Bukarest am Ruder war, ist der Integrationskurs in Richtung Westen beibehalten worden. Bei der Korruptionsbekämpfung ging es manches Mal mit sehr wenig Leidenschaft voran, aber zurzeit scheint sich erfreulicherweise mehr zu tun.

Sprechen wir abschließend über Ihr Hobby und die damit verbundene Stammtischgründung.
Vor mittlerweile fünf Jahren habe ich mit ein paar Freunden den Hermannstädter Pfeifen- und Zigarrenraucherclub ins Leben gerufen. Wir treffen uns einmal im Monat in einem beliebten Café und rauchen: Unser Anspruch ist es, zur Qualitätssteigerung des Tabak-Genusses hierzulande beizutragen. Rauchen ist nie gesund, aber der Unterschied zwischen dem Verzehr von Zigaretten und dem Genuss von Pfeifen und Zigarren ist unseres Erachtens riesig. Wir haben sogar ein paar Mitglieder, die Nichtraucher sind, und die aus Sympathie vorbeikommen. Weil wir vorhin von Unterschieden sprachen: Es gibt im Rumänischen kein Wort für „Stammtisch“, und auch keine vergleichbare Tradition eines Vereinswesens wie in Süddeutschland und Österreich – aber unsere Idee ist in Hermannstadt erfolgreich.

Schlagwörter: Medien, Kirche und Heimat, Hermannstadt

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Neueste Kommentare

  • 11.09.2015, 10:17 Uhr von gloria: "Meine Töchter sind evangelisch getauft, mit einer orthodoxen Mutter und einem katholischen Vater!" ... [weiter]

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