30. November 2004

Hans Weiss

Aus gesundheitlichen Gründen stellte sich Hans Weiss, nach 19-jähriger Tätigkeit im Vorstand der Kreisgruppe Böblingen, nicht mehr zur Wahl. Anlass für Jürgen Schiel, den scheidenden Vorsitzenden nach seiner persönlichen Bilanz zu befragen sowie einen Ausblick auf die vordringlich zu bewältigenden Aufgaben des neuen Kreisgruppenvorstands zu versuchen.
Sie sind mit der Kreisgruppe Böblingen durch Dick und Dünn gegangen. Was war für Sie das schönste Erlebnis in all den Jahren?

Es gibt nicht ein schönstes Erlebnis, sondern viele schöne Erlebnisse in dem Sinne, dass jede Veranstaltung, die gut besucht war und von unseren Mitgliedern angenommen wurde, für uns einen Erfolg darstellte. Dies war Motivation für die Arbeit im Vorstand.

Gibt es kein spezielles Ereignis, an das Sie sich ganz besonders gerne erinnern?

Da fallen mir die Silvesterveranstaltungen Anfang der 90er Jahre ein, als wir ca. 2000 Landsleute im großen Saal der Sporthalle Böblingen begrüßen durften. Und vielleicht die letzte Veranstaltung im Sommer, als wir das Waldfest zum Kronenfest umfunktionierten. Da haben wir festgestellt, dass wir Leute erreicht haben, die bisher unsere Veranstaltungen nicht besucht hatten. Das hat uns gefreut und wir hoffen, dass in Zukunft auch andere Leute, im Sinne einer anderen Altersstruktur, die Veranstaltungen der Kreisgruppe besuchen.

Beim zehnjährigen Jubiläum der Siebenbürger Blaskapelle wurde von den Rednern das Verb „angekommen“ im Kontext der Migration der Siebenbürger Sachsen verwendet. Wann ist aus Ihrer Sicht ein Siebenbürger Sachse in Deutschland „angekommen“?

Das ist eine Frage, die man schwer in einem Satz beantworten kann. „Ankommen“ heißt in der ersten Zeit eine materielle und berufliche Existenz aufbauen. In der weiteren Zeit bedeutet „ankommen“ soziale und gesellschaftliche Integration. Um sich an einem Ort zuhause zu fühlen, muss man sich als Teil dieses Ortes verstehen, mit seinem gesamten sozialen Gefüge.

Heißt „ankommen“ nicht auch Stillstand?

Ankommen heißt nicht Stillstand, sondern heißt erstens, dass wir das aus der Heimat Mitgebrachte in diese Gesellschaft, in die neue Heimat integrieren, und zweitens, dass wir dieses „kulturelle Gepäck“ in der neuen Heimat weiterentwickeln.

Muss man um „anzukommen“ mit der Vergangenheit abschließen?

Meiner Meinung nach sollte man, kann man überhaupt nicht abschließen.. Die Vergangenheit ist die Wurzel und die Basis, auf der wir die Zukunft gestalten. Also kann ich mit der Vergangenheit nicht abschließen. Ich kann nur die Gegenwart ändern, aber die Vergangenheit bleibt ein wesentlicher Teil meiner Persönlichkeit

Also, ist aus ihrer Sicht die Vergangenheit ein Teil der Zukunft.

Sehr gut und treffend formuliert.

In der Siebenbürgischen Zeitung wurde wiederholt das Fehlen der Jugend im Vereinsleben beklagt. Wie sehen Sie rückblickend diese Entwicklung?

Mit Sicherheit hat es Versäumnisse gegeben, die aber durchaus begründbar sind. Wir sind im Vorstand eine relativ geringe Personenzahl. Für die Jugendarbeit blieb zu wenig Zeit. Die Art der Veranstaltungen, die wir für die Mitglieder der Kreisgruppe organisiert haben, bot zu wenig Anreize für die jüngere Generation. Die Veranstaltungen waren immer auf die mittlere und ältere Generation ausgerichtet. Wir haben allerdings auch versucht, reine Jugendangebote in das Programm aufzunehmen. Aber die Resonanz war eher gering und aus finanziellen Gründen konnten wir dieses Angebot nicht aufrecht erhalten. Meine Hoffnung für die Zukunft liegt in der Zusammenstellung des neuen Vorstandes. Im neuen Vorstand ist als Beisitzer ein ehemaliger Lehrer, der es mit seinem Engagement vielleicht schafft, die Jugend wieder ins Boot zu holen. Seine Vorstellungen von Jugendarbeit schließen Trekking, Fahrradtouren und Sportangebote im weitesten Sinne mit ein.
Die Motivation der heutigen Jugend, der „Nichterlebnisgeneration“, für die Arbeit im Rahmen der Landsmannschaft ist natürlich nicht so groß wie bei den Leuten, die Auswanderung persönlich erlebt haben, die einen wesentlichen Teil ihres Lebens in Siebenbürgen gelebt haben. Die „Erlebnisgeneration“ kennt Siebenbürgen besser und hat eher eine emotionale Beziehung dazu. Die Beziehung und die Emotionen der hier Geborenen sind ganz anders geartet. Vielleicht können wir uns auch in diese Jugend nicht so gut hineinfühlen, da sie ein ganz anderes Erleben hat. Im Gegenzug kann die Jugend unsere Emotionen auch nicht 100-prozentig nachvollziehen.

Sehen sie Unterschiede in der Sozialisation der Siebenbürger Sachsen die vor der Wende kamen, und jenen, die nach der Wende kamen? Die Frage richtet sich auf Unterschiede hinsichtlich des Interesses an den Veranstaltungen, am Vereinsleben, Engagement etc. Kann man in diesem Kontext auch von einem wie auch immer gearteten Wendepunkt sprechen?

Das ist eine wunderbare Frage. Ich habe beide Seiten erlebt. Ich nenne diejenigen, die vor der Wende in die Bundesrepublik kamen, die „erste Generation“. Sie war vor allem in den ersten Jahren gezwungen, auch außerhalb unserer siebenbürgischen Gemeinschaft Freunde zu suchen und sich einen Freundeskreis aufzubauen.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass nach 1990 so viele Siebenbürger Sachsen da waren, dass die Notwendigkeit, seinen Freundeskreis zu erweitern, gar nicht gegeben war. Die negative Konsequenz aus diesem Umstand war, dass zumindest im persönlichen Umfeld eine Konzentration der Aufmerksamkeit auf die eigenen Landsleute stattfand. Dies ging zu Lasten der Beziehung zu der Gesellschaft im Allgemeinen. Oft lag sogar der Fokus so sehr auf dem eigenen Umfeld, auf die eigene Heimatortgemeinschaft, dass sogar die Beziehung zu der Gesamtheit der Siebenbürger Sachsen, zur Landsmannschaft, darunter litt. Um konkret auf Ihre Frage zu antworten: Ja, es gibt eindeutig einen Unterschied zwischen diesen „zwei Generationen“ und man kann sehr wohl von einem Wendepunkt sprechen.

Als neuer Vorstandsvorsitzender wurde Dieter Tartler gewählt. Was möchten Sie ihm mit auf den Weg geben?

Ich wünsche ihm, dass er die von uns begonnene Arbeit mit seinem Team erfolgreich weiterführt. Ich bin zuversichtlich, dass er auch die im Rechenschaftsbericht genannten defizitären Bereiche, wie z.B. die fehlende Einbindung der Jugend und die mangelhafte Präsenz in der lokalen Medienlandschaft, erfolgreich angehen wird. Ich wünsche ihm und dem gesamten Vorstand alles erdenklich Gute.

Herr Weiss, vielen Dank für dieses Interview.

Link: www.tanzgruppe-boeblingen.de

Schlagwörter: Interview, Verbandsleben

Bewerten:

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.