12. März 2002

Stefan Cosoroaba

Dissertation über konfessionsverschiedene Ehen mit besonderer Berücksichtigung der evangelisch-orthodoxen Ehen in Siebenbürgen. Interview mit dem Autor Stefan Cosoroaba, Stadtpfarrer in Heltau und Dozent für praktische Theologie des Protestantisch-Theologischen Instituts in Hermannstadt.
"Zwischen Kirchen und Kulturen" bewegt sich die Dissertation, für die der Heltauer Stadtpfarrer, Stefan Cosoroaba, Mitte Februar den Doktortitel des Protestantisch-Theologischen Instituts von Klausenburg erhielt. Doch schon im Untertitel seiner Arbeit - unter Beratung von Bischof D. Dr. Christoph Klein und Prof. D. Dr. Paul Philippi - präzisiert der Dozent für praktische Theologie und seit kurzem auch Prodekan des Hermannstädter Instituts das Thema: Die konfessionsverschiedene Ehe mit besonderer Berücksichtigung der evangelisch-orthodoxen Ehen rückt so in den Mittelpunkt, wird aber dann noch vom Autor drittens in den Kontext der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien versetzt. "Mischehen" nennt man landläufig diese Partnerschaften und als solche sind sie nicht nur bekannt, sondern seit etwa 1980 auch dominant unter den Trauungen der evangelischen Kirche. Darüber unterhielt sich unser Hermannstädter Mitarbeiter, Martin Ohnweiler, mit Pfarrer Stefan Cosoroaba, der von Broos bis Heltau bereits ab 1986 zahlreiche Gemeinden Siebenbürgens seelsorgerisch betreute.

Herr Cosoroaba, gibt es eigentlich in der wissenschaftlichen Literatur noch Abhandlungen zum Thema Ihrer Dissertation?

Zu dem Oberthema meiner Dissertation gibt es sie mit Sicherheit, denn heute wird ganz viel über das Verhältnis zwischen Kultur und Kirche diskutiert. Und durch die fortschreitende Vermischung von Kulturen in einer Zeit der Individualisierung kommt das immer wieder auf den Tisch, wobei dann Unterschiede zwischen östlicher und westlicher Kultur, also mithin zwischen Orthodoxie und Protestantismus diese Diskussionen fallweise bestimmen. Zu dem ersten Unterthema ("Konfessionsverschiedene Ehen") ist desgleichen eine ganze Summe von Literatur vorhanden, allerdings meist zu der evangelisch-katholischen Spielart. Diese war ja, besonders in Deutschland, ehedem ein großes Problem, das sich gestaut hatte und erst durch das zweite Vatikanum irgendwie gelöst wurde. In den letzten zehn Jahren ist es um dies Thema recht still geworden, andere Eheformen rückten in den Vordergrund der Debatten: Ehen zwischen Christen und Mohammedanern oder die gleichgeschlechtlichen Ehen. Zu dem zweiten Untertitel, also zu den Ehen zwischen Orthodoxen und Evangelischen, ist eigentlich kaum etwas erschienen. Lediglich in der Neuauflage von Walter Schöpsdaus Handbuch "Konfessionsverschiedene Ehen" oder in einer recht speziellen Literatur aus dem finnischen oder nordamerikanischen Kontext, gibt es Stellungsnahmen dazu. Erst jetzt beginnen übrigens in Deutschland und der Schweiz, kleine Handreichungen für Pfarrer und betroffene Paare zu erscheinen.

Sind Sie also ein Vorreiter auf diesem Gebiet?

Als evangelischer Pfarrer in Siebenbürgen bin ich das mit Sicherheit, weil ja die protestantischen Theologen dort, wo sie zu Hause sind, namentlich in Deutschland, mit diesem Problem bisher noch nicht so akut konfrontiert wurden. Siebenbürgen als Schnittstelle zwischen Kulturen bot und bietet sich für so eine Arbeit geradezu an, auch wenn man dann bei der Behandlung dieses Fragenkreises eben mehr auf Primärliteratur, Archivfunde oder Erfahrungsberichte angewiesen ist.

Worauf waren nun Sie mehrheitlich angewiesen, welches war Ihre ursprünglichen Motivation dabei?

Erstens habe auch ich, als Privatperson, zwischen zwei Kulturen gelebt und diese Spannung in meiner Biographie erlebt. Mein Vater ist rumänisch-orthodox, meine Mutter evangelisch-sächsisch. So kam ich beispielsweise noch als Kind in den Ferien auf das Land zu meinen rumänische Großeltern, wo wir am offenen Feuer kochten, barfuß herumliefen und die rumänischen Bräuche mitmachten, während wir bei den anderen Großeltern im Biedermeier-Zimmer saßen und gelegentlich mit silbernen Leuchtern am Tisch speisten. Es ist dies eine Spannung, die irgendwie aufgelöst werden musste. Andererseits aber kam zu dem privaten dann auch der kirchliche Aspekt hinzu, zumal sich die kirchliche Situation von Trauungen in den letzten Jahren bei uns ganz dramatisch veränderte. Im gesamten Bereich der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien werden heute eigentlich nur noch konfessionsverschiedene Ehen geschlossen. Fußnote dazu: Es gibt auch Ausnahmen, aber das sind dann die so genannten Exportehen. Solche Ehen sind also nicht nur an sich interessant, sondern auch ein Indikator für eine Entwicklung. Und meine Frage war nun: Was bedeutet das für die gesamte evangelische Kirche?

Ja, was denn?

Zunächst: Konfessionsverschiedene Ehen sind eine Schnittstelle, die verschiedene Ebenen tangiert. Mischehen, wie wir sie landläufig nennen, sind nun einmal kulturverschiedene, sprachverschiedene, ja sogar nationalverschiedene Bindungen. Und wenn man seinerzeit bei uns, in Siebenbürgen, den einen noch anhielt, den anderen nicht zu heiraten, weil er nicht evangelisch sei, so steckte dahinter eben nicht nur das theologische Unbehagen, sondern das Ethnisch-Soziale mit all seinen Facetten. In der Soziologie werden Mischehen als ,Grenzüberschreitung', präziser als "Exogamie" bezeichnet. In unserem Kontext sind aber die orthodox-evangelischen Ehen Überschreitung von gleich mehreren Grenzen. Das belastet die ganze Problematik und führt dahin, dass man dabei oft aneinander vorbei sprach und noch spricht.

Nur daran vorbei gehen kann man nicht. Wie weit verbreitet ist dies Phänomen derzeit bei uns?

Das Phänomen ist sehr verbreitet. Ungefähr 1970, um in einem großen Raum zu sprechen, begannen sich bei uns die konfessionsverschiedenen Ehen zu häufen. Es gab sie allerdings auch schon viel früher, nur bestand damals noch das soziale Bedürfnis, dass man mit der Heirat gleichzeitig auch zur Konfession des einen oder anderen Partners übertreten muss, so dass jede Ehe an der Oberfläche eine endogame Ehe wurde. Das bestätigen alte Kirchenaufzeichnungen, auch weiß man, dass solche Übertritte oft schon vor der Eheschließung vollzogen wurden, so dass es schwierig ist, einen Nachweis darüber zu führen. Bloß nach 1970, als der ,Heiratsmarkt' der evangelischen Sachsen durch Auswanderung stark eingeschränkt wurde, haben sich die jungen Leute eben weniger nach Ethnie oder Religion des Partners gerichtet, sondern mehr, sagen wir es mal überspitzt, nach dem äußerem Erscheinungsbild. Übrigens: In einem historisch gemischten Ort wie Broos gab es schon 1965 mehr konfessionsverschiedene Ehen als endogame, im deutsch-evangelisch dominierten Heltau wurde diese Schwelle erstmalig 1983 überschritten. Es gab in Heltau eben länger einen ausreichend großen endogamen Heiratsmarkt.

Wurde jedoch damit auch der Schwellenwert der Akzeptanz gegenüber solcher Ehen gesenkt?

Durchaus. Die Akzeptanz ist sowohl vor den Eheschließungen wie auch durch diese gestiegen, aber schrittweise. Bereits in den 60er Jahren wurde eine Mischehe zwischen evangelischen und katholischen Partnern nicht mehr als exogam empfunden, mit der Bedingung allerdings, dass beide Brautleute deutscher Herkunft waren. Das heißt also, dass man die eine Grenze leichter überschreiten konnte, wenn das andere Element übereinstimmte. Bei orthodox-evangelischen Ehen indes war das damals noch nicht der Fall, aber mit der voranschreitenden Mentalitätsangleichung, verstärkt nach 1989, ist das nun eigentlich auch kein Hindernis mehr. Hier muss die Frage der Sozialisation mitbedacht werden, denn unsere Jugendlichen heute wachsen ja nur unter Anderssprachigen und Anderskonfessionellen auf. (Selbst wenn sie in eine deutsche Schule gehen!) Insofern ist für sie die Hemmschwelle ganz verschwunden und die konfessionsverschiedene Ehe keine Grenzüberschreitung mehr, also dadurch auch keine Mischehen im eigentlichen Sinne, denn: Es gibt Partner, die nicht nur eine konfessionsverschiedenen Ehe eingehen, sondern bereits selber aus einer ökumenischen Familie stammen, manchmal schon in zweiter Generation.

Dann sind ja auch in diesem Kontext die angesprochenen Ehen wohl kaum noch ein kirchlich/konfessionelles Problem.

Herausfordernd für mich war in diesem Kontext die These des französischen Soziologen Francoise Lautman, der gesagt hat, dass die Häufigkeit der Mischehen eben den Grad der Auflösung einer Gemeinschaft anzeigen.

Also: Ist der Bestand unserer Gemeinschaft mithin in Gefahr? Oder umgekehrt: Wie wichtig sind die Mischehen für die evangelische Kirche?

Aufs Erste betrachtet, kann man sagen: sehr wichtig. Heute wird inzwischen oft von den konfessionsverschiedenen Ehe als eine Chance für unsere Kirche gesprochen. Diese Leute waren stabiler, haben das Land kaum in größerer Anzahl verlassen und könnten von daher irgendwann einmal Träger unserer Gemeinden werden. Numerisch ist das auch anzunehmen.

Selbst entgegen der Annahme von Lautman?

Ja, zumal es in der Kulturanthropologie die spannende These von der adaptiven Kapazität einer Minderheit gibt, wonach Minderheiten sich an neue Umstände mitunter rascher anpassen und somit attraktiv selbst für eine Mehrheit werden. Anders gesagt: In Situationen von sozialen Umwandlungen entwickeln Minderheiten immer wieder gewisse anziehende Eigenarten und können damit dann sogar die Mehrheit dominieren. Wir merken das z.B. an unseren deutschen Schulen, dass sich diese These bestätigt. Also numerisch sehe ich den Bestand unserer Kirche nicht in Gefahr, vor allem in den Städten gibt es das Problem nicht.

Dann, wo liegt es?

Ich sehe das Problem eher in der Identitätsfindung der Gemeindeglieder. Es ist ja so, dass Konfession nicht nur das Wahrhaben einiger dogmatischer Sätze beinhaltet, sondern dass Konfession sehr viel mit Spiritualität zu tun hat. Wenn nun unsere Deutsch sprechenden jungen Leute mehrheitlich in einem rein rumänischem Umfeld sozialisiert werden und von daher nur sehr wenig von unseren traditionellen Werten mitbekommen, stellt sich, erstens, die Frage, ob sie in ihrem Inneren und ihren Lebensäußerungen in einer greifbaren Kontinuität mit der Vergangenheit stehen. Und wenn sie dann zusätzlich in einer konfessionsverschiedenen Ehe leben, sind sie vielleicht nicht nur noch dem Namen nach evangelisch A.B.?

Was bedeutet das aber für unsere Kirche: Weiterhin noch mehr Öffnung?

Unsere Kirche muss sich öffnen, es bleibt ihr ja auch nichts anders übrig. Aber Öffnung ist kein Wert an sich. Wenn man sich die Gemeindelisten der letzten Jahre ansieht, so leben unsere Kirchenglieder zu gut 70 Prozent in solchen konfessionsverschiedenen Ehen, und wir müssen lernen, mit Interferenzerscheinungen umzugehen. Denn was tun wir mit der doppelten Feier des Osterfestes, wie ist das mit dem Besuch des orthodoxen Pfarrers in ökumenischen Familien anlässlich der "boboteaza", wie ist das mit vorwiegend rumänisch-orthodoxen Paten bei einer evangelischen Taufe etc.?

Kommen sich somit Sachsen und Rumänen immer näher?

Man kann das auch aus dem umgekehrten Winkel betrachten, aber im Prinzip ist es das Gleiche: Manche Familie ist ja nach Deutschland ausgewandert, damit sie "deutsch" bleibt. Und nun kommen relativ viele ausgewanderte junge Sachsen nach Rumänien zurück, um hier rumänische Frauen zu heiraten! Das will etwas bedeuten. Sachsen und Rumänen sind sich viel näher, als man das früher gedacht hat, während sich Binnendeutsche und Sachsen offenbar somit in ihrer Identität massiver unterscheiden, als man es sich in den eigenen Vorstellungen zur Zeit des Eisernen Vorhangs ausmalte. Von daher kann - aus Identitätsgründen - sogar eine sächsisch-deutsche Ehe (unabhängig der Kirchenzugehörigkeit) eine Mischehe sein. Die Ablehnung von Mischehen kommt ja nicht nur aus theologischen, sondern eben aus Identitätsgründen und aus Gründen der sozialen Ausgestaltung des Miteinanders. Ein sprechendes Beispiel fand ich in einem Brief des 18. Jahrhunderts, wo der Bruder aus Kronstadt seinem Bruder nach Prag schrieb, um ihm dringend von der Eheschließung mit einer dortigen Deutschen abzuraten. Er wünschte seinem Land eher zehn Jahre Krieg, als dass diese Mesalliance zustande käme. Die Argumentation lief zwar darauf hinaus, die Braut sei katholisch, aber im Grunde genommen ging es um das unartikulierte Gefühl einer Grenzüberschreitung, einer Exogamie. In Anlehnung an die sogenannte Kollusionstheorie des Münsteraners Peter Lengsfeld lässt sich nun dieser Konflikt präzise formulieren. Fragen der theologischen Wahrheit, der Identität und der Sozialität kombinieren sich zu einem Ganzen zusammen, wollen zusammen bedacht werden ("Coludere" - aus dem lateinischen "Zusammenspielen"). Nachdem sich nun, wie schon erwähnt, die Identität der evangelischen Gemeindeglieder aus Siebenbürgen an das Umfeld angepasst, die Sozialgestalt von Familie sich auch angeglichen hat, kann die Frage der theologischen Wahrheit nachhaltiger Gewicht bekommen.

Inwiefern, und um welche Wahrheit geht es dabei?

Nun könnte die Kirche zu ihrer eigentlichen Botschaft kommen und bei konfessionsverschiedenen Ehen darüber sprechen, was aus christlichem Glauben heraus die Ehe im Kern ist. Es bleibt jedoch wahrscheinlich ein Konjunktiv, denn die christliche Botschaft verbindet sich immer mit einem kulturellen Kleid; es gibt sie nicht als Destillat. Kirchen oder Christen sind nicht "besser", sondern "anders" geworden. Die Exogamie als Grenzüberschreitung ist nicht in ökumenischer Liebe aufgelöst. Nur verlagern sich die Grenzen zu andern Bereichen, mitunter vom Konfessionellen und Ethnischen weg und vielleicht zunehmend hin zum Sozialen und Milieuspezifischen. Denken sie sich nur, wenn ein "Standard - Evangelischer" ein Roma-Fräulein heiraten wollte. Da wären sicherlich weiterhin viele dagegen.

Die Konsequenz?

Die Ablehnung von Mischehen - ich sage bewusst nicht "konfessionsverschiedene Ehen" - war und bleibt ein vielschichtiger Komplex mit der praktischen Konsequenz: Sorge für die Identität der Betroffen und die Sensibilität für das entstehende anfällige soziale Gefüge. Das gilt aber übrigens unvermindert für jede Form der Ehe.

Herr Cosoroaba, wir danken für das Gespräch.

Schlagwörter: Interview, Wissenschaft

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