23. Oktober 2012

"Tag der Heimat" in Freiburg

Zum bundesweiten Motto „Erbe erhalten – Zukunft gestalten“ ging auch der „Tag der Heimat“ am 23. September mit einer Feierstunde im Fritz-Hüttinger-Haus in Freiburg buchstäblich „über die Bühne“. Die Schirmherrschaft hatte die parteilose Regierungspräsidentin Bärbel Schäfer inne. Der „Tag der Heimat“ wird im Turnus von den Verbänden des Bundes der Vertriebenen organisiert, in diesem Jahr eben von der Kreisgruppe Freiburg der Siebenbürger Sachsen. Organisator war der leicht verjüngte, neugewählte Vorstand mit der kommissarischen Vorsitzenden Sigrun Kelp, nachdem die bisherige 1. Vorsitzende Gitte Brenner aus beruflichen Gründen vom Vorsitz zurückgetreten war. Mit ihren Gemälden „Kunst im Foyer“ empfing die Malerin Inge Wagner die etwa 140 Besucher schon beim Eingang. Sigrun Kelp begrüßte die mehrheitlich betagten Gäste (Alterdurchschnitt etwa 60 bis 65 Jahre), darunter auch den Landesgruppenvorsitzenden Alfred Mrass mit Gattin.
Kelp führte kurz und knapp durch das Programm. Es traten auf die Musikgruppe „Lidertrun“ – Hans Seiwerth, Karl-Heinz und Eva-Maria Piringer, Michael Gewölb – mit tiefsinnigen siebenbürgisch-sächsischen Balladen. Eva Pringer, eine 28-jährige Großpolderin, stieg kurzerhand bei zwei sächsischen Balladen der „Lidertrun“ als Begleitsängerin ein. Den künstlerischen Rahmen sprengten fast das Schauspielerpaar Lisbeth Felder und Karl-Heinz Maurer mit ihrer Rezitation „Heimat, deine Heimat“, eine (provokante) Annäherung 2012 an die Heimat in Reimen und Prosa bekannter Schriftsteller.

Grußworte sprachen Regierungsdirektor Jürgen Hirnschal vom Regierungspräsidium Freiburg in Vertretung der Regierungspräsidentin, und der Freiburger Stadtrat Nikolaus von Gayling-Westphal (FDP). Er äußerte eigene Erfahrungen über Begegnungen mit Siebenbürger Sachsen und verglich sie mit seinen Erfahrungen als Elsass-Grenzgänger.

Das Filetstück des Heimattages aber war die Festrede „Heimat – Kultur“ von Karin Servatius-Speck. Heimat könne schon der simple freudvoll-emphatische Ausdruck „Joi!“ beinhalten. Dieser sehr gerne von Sachsen verwendete Ausdruck stammt aus dem Ungarischen und ist Teil der Anrufung Gottes. Oder „Bitte sorg auf dich!“, wie wir Siebenbürger es sagen. Solche Sprüche haben wir in unserem Aussiedlergepäck aus der Heimat mitgebracht. Hans Bergel sei der Ansicht, dass Heimat überall da sei, „wo die Freiheit ist“, so Servatius-Speck. Wenn aber Heimatverlust drohe, oder Heimweh aufkomme, erhalte der Begriff eine andere Selbst-Verständlichkeit. Franz Kafka habe gemeint: „Man muß in die Ferne gehen, um die Heimat, die man verlassen hat, zu finden.“ Es mache folglich für jeden Menschen Sinn, dem Begriff Heimat nachzusinnen.
„Tag der Heimat“ in Freiburg, von links: Jürgen ...
„Tag der Heimat“ in Freiburg, von links: Jürgen Hirnschal/Regierungspräsidium Freiburg, Festrednerin Karin Servatius-Speck, Stadtrat Nikolaus von Gayling-Westphal/FDP, Schauspielerpaar Lisbeth Felder und Karl-Heinz Maurer, Friedel Demuth/Kassierin Kreisgruppe und kommissarische Vorsitzende Sigrun Kelp. Foto: Horst David
Die Festrednerin bemühte den subtilen Prozess der „inneren Vertreibung“ gemäß Hans Bergel. Professor Paul Philippi habe in einer Predigt 2011 gesagt: „Als nach 1989 die Nachbarn wegblieben, wurde unser ganzes sächsisches Leben krank.“ Wie Servatius-Speck erklärte, meinte der Theologe das Kranken der Gemeinschaft am physischen Verlust der „Seelen“ und damit verbunden den Verlust kultureller Werte. Diese wären, so Servatius-Speck, der „fruchtbare westliche Einfluss (…) auf die orientalisch geprägte rumänische Kultur“ und nach dem berühmten Prediger der Toleranz der Siebenbürger Sachsen, Stephan Ludwig Roth, die „Aufgabe (...), in hiesigen Landen die Rolle eines Vermittlers zu spielen“. Die Geschichte der Sachsen sei bis in die 1. Hälfte des vorigen Jahrhunderts „eine Geschichte des Bleibens“ gewesen. Im Zeichen der Humanität hätten auch die sächsischen sozialen Organisationen der Nachbarschaften, die Bruder- und Schwesternschaften bis in unsere Tage gestanden, „wie eine Großfamilie, in deren Mitte das Pfarrhaus mit Härr Vueter und Frä Motter neben der Kirchenburg steht“, sagte die Festrednerin.

Die erfolgreiche sächsische Schulpolitik werde – zum Glück – von der Schulpolitik des rumänischen Staates weitergeführt. Bis heute werde in den nach 1945 der Kirche enteigneten deutschen Schulen Rumäniens weiterhin in deutscher Sprache unterrichtet und deutsche Kulturwerte vermittelt, den heute 90 Prozent Schülern anderer Nationalität, so Servatius-Speck. Lavinia Achim vom deutschsprachigen Stephan-Ludwig-Roth-Gymnasium meinte kürzlich in der Zeitung: „Für mich wird diese die beste Schule der Welt bleiben.“ Eine andere Schülerin schrieb: „Ich sehe diese Schule als eine Möglichkeit, sich Türen für die Zukunft weit zu öffnen.“ In Siebenbürgen sei die Koexistenz mit anderen Nationen und ihren Religionen gelebt worden, und sie habe Siebenbürgen zum allerersten Land Europas gemacht, in dem der Kulturwert Toleranz seit 1557 aktenkundig gesetzmäßig geregelt worden sei. Die Nachbarschaften zu den Rumänen, Juden und Ungarn sei gelebt worden. Doch sollten die Geschichte des Eisernen Vorhangs und das Umbruchjahr 1989 fast eine endgültige Zäsur schaffen.

Heute lebe die große Mehrzahl der Siebenbürger Sachsen in Deutschland, zuerst als Flüchtlinge und Vertriebene des Zweiten Weltkriegs, dann als Aussiedler. Jeder Mensch sei tief existenziell verwoben mit seinem Herkunftsort. Davon zeuge der Begriff „Heim-Weh“. Für die Heimat-Suchenden sei im Paragraph 96 des Grundgesetzes die Förderung der Kultur der Aussiedler festgeschrieben. Das geschehe bis heute, wenn auch mit deutlich eingeschränkten Mitteln. Der einzelne Siebenbürger Sachse habe sich „naht- besser narbenlos in den deutschen Kulturraum eingegliedert“, stellte Servatius-Speck fest, auch wenn er mit nostalgischer Freude und Stolz zur Kenntnis genommen habe, dass Hermannstadt 2007 Europäische Kulturstadt wurde, wo er sich als „Sommersachse“ die romantische Rückkehr ins Land seiner ungelebten Sehnsüchte leiste. Karin Servatius-Speck beschloss ihre Festrede mit dem Appell: „Sorgen Sie gut auf sich und passen Sie gut auf, auf den Schatz Kultur!“

Mit der Bildpräsentation „Hermannstadt von der Provinz- zur europäischen Kulturhauptstadt 2007“ stellte Manfred Huber den Wandel der Stadt zur touristischen Attraktion vor. Er berichtete mit heiteren Anekdoten quer durch die Bevölkerungsgruppen auch vom Niederlassungsboom unter dem erfolgreichen Bürgermeister Klaus Werner Johannis. Die Pflege der deutschen Vergangenheit der Stadt sei angenommen, die Präsentation des sächsischen Beitrags im neuen Museum für Geschichte in der „Casa Altemberger“ allerdings nicht. Der europäische Weg der Rumänen zusammen mit Deutschen und Ungarn sei nicht zu erkennen, beide Gruppen blieben ausgeblendet. „Sächsisch“ werde als Begriff im Museum nur zweimal am Rande erwähnt. Positiv sei die Entwicklung des Schulwesens: 20000 Studenten belebten die Stadt, und am deutschsprachigen „Colegiul National Brukenthal“ hätten 2011 sogar 98 Prozent der Absolventen das Abitur erfolgreich abgelegt (Landesvergleich: 45 Prozent). Das Schlusswort hatte der stellvertretende Vorsitzender des BdV-Kreisverbandes, Günther Henhappl. Er mahnte die Politik der „Globalisierung und Vertreibung bedrohter Volksgruppenrechte“ an. Millionen Vertriebene und ihrer Nachkommen seien „kein Auslaufmodell, sondern Wegbereiter einer zukünftigen Welt“, so seine These.

Zu einer bunten Mischung siebenbürgischer Spezialitäten und einem Glas Wein, schon Tradition bei Freiburger Festen, lud der Vorstand ein. Mit Gesprächen klang das Fest aus.

Horst David/Manfred Huber

Schlagwörter: Freiburg, BdV, Tag der Heimat

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