26. Oktober 2014

Erntedank in der Stuttgarter Sängerhalle

Zehn Kaffeelöffel Salz kommen auf sieben Kilo Mehl. Sie werden laut heruntergezählt, wie die Checkliste beim Flugzeugstart. Es ist der Start zum Baumstriezelbacken. Eier werden zu Dutzenden aufgeschlagen, Butter auf Gasflammen zerlassen, Hefe mit Zucker verrührt und in einem Topf mit einem mächtigen Turban aus Geschirrtüchern warm gestellt. Ein pfiffig umgebauter Mörtelmischer knetet den Teig.
Fleißige Hände formen Portionskugeln, andere walken sie aus, andere wickeln sie um die heißen Stämme, andere bestreichen sie mit Butter und rollen sie in Kristallzucker, andere stechen den Teig ein. Und dann kommt das Ganze in den „Vierfach-Baumstriezel-Backautomaten mit gekammertem Frontal-Kettentrieb“ Marke Eigenbau. Es duftet herrlich! Goldbraune Röhren stehen dampfend in Reih und Glied. Sechzehn Frauen und Männer arbeiten hocheffizient Hand in Hand, aber nicht in einer modernen Großküche, sondern im Foyer der Sängerhalle von Untertürkheim. Dort kennt man die Siebenbürger Sachsen schon seit 1959, denn seither fand ohne Unterbrechung jedes Jahr deren Erntedankfeier hier statt. Vertrauensvoll überlässt man ihnen den Schlüssel schon am Vortag, damit sie frühmorgens loslegen können. Auf die Sachsen ist Verlass! Wenn dann die Belegschaft samt Chefin eintrifft, auffällig die Nase hebt und wohlig schnuppert, darf sie schon mal die ersten Schnitten probieren.

Inzwischen haben Damen der Kreisgruppe den Saal geschmückt. Weinlaub und rote Beeren zieren die langen Tische. Eine hat aus der Pfalz Maronen mitgebracht, weil die noch schmucker sind als Kastanien. Auf der Bühne stehen große Körbe mit Obst, Gemüse und lustig bemalten Kürbissen. Ein schwäbischer „Wengerter“ aus der Nachbarschaft hatte schon letztes Jahr eine ganze Kiste prächtiger Äpfel gespendet. Zum Dank bekam er damals einen Baumstriezel. Der war so gut, dass er diesmal noch eine Kiste roter Williams-Christ-Birnen dazugibt. Dafür wird er heuer eben zwei Baumstriezel bekommen.
Fast alle Aktiven des Erntedankfestes der ...
Fast alle Aktiven des Erntedankfestes der Kreisgruppe Stuttgart. Foto: Jürgen Kotsch
Die „Bäckerei“ wird zügig abgebaut. Wer eben noch eine weiße Schürze umhatte und eine weiße Zuckerbäckermütze auf dem Kopf, trägt plötzlich ein besticktes Hemd samt bunter Krawatte. Wallende Trachten, eine prächtiger als die andere, versammeln sich im Nebenzimmer. Der Chor singt sich ein. Die Tanzgruppe findet auch einen Probenraum. Männer sind wieder Mangelware, aber heutzutage übernehmen ja immer mehr Frauen führende Rollen. Warum also nicht auch beim Tanzen! Immerhin, die Jungs der Kindergruppe gucken beim „Recklich Med“ ihren Mädeln so nett in die Augen, dass man hoffen kann, dass sie mit Freude dabei bleiben. Die Stuttgarter Blasmusik sitzt schon seit einer Stunde im Saal, bringt ihre Instrumente auf Betriebstemperatur und spricht mit dem Pfarrer die Reihenfolge der Lieder zur Andacht ab.

Um 14.00 Uhr öffnen sich die Türen und schon stehen die Gäste Schlange um Baumstriezel. Das Personal bedient mit Getränken, und mit dem üblichen akademischen (oder siebenbürgischen) Viertel Verspätung tritt der Kreisgruppenvorsitzende ans Rednerpult und eröffnet das 55. Erntedankfest der Siebenbürger Sachsen in der Sängerhalle von Untertürkheim.

Darüber zu schreiben hatte ich den Auftrag, aber da hier kein Platz mehr ist, kann ich nur so viel sagen: Es war sehr schön!

Berndt Schütz

Schlagwörter: Stuttgart, Erntedank, Baumstriezel

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