5. Oktober 2010

Oskar Pastior und die Securitate

Gleich bei ihrem Erscheinen geriet die neueste Ausgabe der Zeitschrift Spiegelungen (Heft 3/2010), die vom Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der Ludwig-Maximilians-Universität München (IKGS) herausgegeben wird, in den Blickpunkt der medialen Öffentlichkeit. Der Grund: In dem über 30-seitigen Beitrag „Ich habe Angst vor unerfundenen Geschichten“ weist der Germanist und IKGS-Direktor Stefan Sienerth nach, dass der aus Siebenbürgen stammende deutsche Dichter und Büchner-Preisträger Oskar Pastior (1927–2006) ein Opfer, über mehrere Jahre hinweg aber auch Informeller Mitarbeiter (IM) des rumänischen Geheimdienstes „Securitate“ gewesen ist.
Dokumentationsgrundlage ist die Akte, die die Securitate über Oskar Pastior angelegt hatte und die der Forscher im Bukarester Archiv zum Studium der Unterlagen des ehemaligen rumänischen Geheimdienstes (CNSAS) einsehen konnte. Ins Visier der Staatssicherheitsbehörde war Pastior aufgrund von Berichten geraten, die insbesondere einer seiner Hochschullehrer, der Spitzel „Silviu“, beginnend mit dem Jahr 1957 über den Bukarester Germanistikstudenten und Literaturkreisleiter ablieferte. Dass er eine vom stalinistischen Dogma abweichende Literatur ästhetischer Freiräume vertrat und mit Gleichgesinnten verkehrte, war Grund genug, ihn weiterhin beobachten zu lassen. Davor, 1955, hatte Pastior, was der Securitate zunächst nicht bekannt war, in privatem Kreis Gedichte gelesen, die die Zeit seiner Deportation in ein sowjetisches Arbeitslager thematisierten, und diese danach einer Hermannstädter Bekannten, Grete Löw, zur Aufbewahrung übergeben. Diese als „antisowjetisch“ eingestuften Texte gerieten der Securitate in die Hände, die sie 1959 in einem Prozess gegen Grete Löw verwenden sollte. Löw, die sich standhaft gegen eine IM-Mitarbeit gewehrt hatte, wurde im gleichen Jahr vom Militärgericht Kronstadt zu sieben Jahren Haft verurteilt. Obwohl gegen Pastior in dieser Zeit nichts unternommen wurde, stand er weiterhin unter Beobachtung. 1959 war auch das Jahr der Prozesse gegen die fünf siebenbürgisch-deutschen Schriftsteller, denen das Kronstädter Militärgericht insgesamt 95 Jahre Haft auferlegte. Zu einigen von ihnen hatte Pastior Kontakt gehabt. Aus einem IM-Bericht (von „Dorina Gustav“) geht hervor, dass er befürchtete, auch selber verhaftet zu werden. Das geschah zwar nicht, doch kam es am 8. Juni 1961 zu einem Verhör Pastiors, in dem er u. a. zugab, Lager-Gedichte geschrieben zu haben, in denen ein negatives Bild der „sowjetischen Organe“ vermittelt werde. Für die Securitate war es die Handhabe, ihm die Bereitschaft zur Mitarbeit als IM abzunötigen. Diese handschriftliche Verpflichtungserklärung wie auch eines der (ins Rumänische übersetzten) inkriminierten Gedichte sind in der Zeitschrift abgedruckt. Pastior verpflichtet sich in dem Dokument, dem Geheimdienst unter dem Decknamen „Stein Otto“ Berichte zu liefern. In welchem Umfang er das getan hat, ist beim derzeitigen Forschungsstand noch nicht erwiesen. Aufgeführt wird einzig ein im September 1961 verfasster Bericht des IM „Stein Otto“, der die Bukarester Germanistin Ruth Kisch in ein schlechtes Licht rückt. Als Pastior nach einer Auslandsreise in den Westen 1968 nicht mehr nach Rumänien zurückkehrte, wurde er am 10. April 1969 aus dem Agentennetz entlassen, in das er etwa sieben Jahre eingebunden war. Über seine IM-Tätigkeit hat sich Pastior auch Freunden gegenüber nie geäußert. Doch kann Stefan Sienerth einen Beleg aus dem Nachlass des Dichters zitieren, der diese Problematik aufgreift, 1992 entstandene Notizen unter dem Titel „Versuchte Rekonstruktion“, die in diesem Sommer in der Herta-Müller-Ausstellung in München (zurzeit in Berlin) auslagen. Sienerth interpretiert eingehend dieses Selbstzeugnis, das er mit den Aktenbefund in Bukarest in Zusammenhang bringt. Die Gesamtdarstellung des Falles durch den Literaturwissenschaftler, der sich auch als Zeithistoriker bereits öfter (auch in dieser Zeitschrift) ausgewiesen hat, besticht durch sorgfältige Recherche und Sachlichkeit in der Beurteilung der Fakten.

Deutliche zeitgeschichtliche Färbung weist auch der Beitrag auf, in dem sich der Germanist Horst Schuller, aus Siebenbürgen stammend, heute in Heidelberg lebend, der Geschichte der deutschen Übersetzungsliteratur in Rumänien, einem Schwerpunkt seines Forschungsbereichs, zuwendet. In seinem Aufsatz „Namen verschweigen“ dokumentiert er eingehend nicht nur das Übersetzungswerk von Hermine Pilder-Klein (1901–1998), sondern belegt auch, warum deren Übersetzungen insbesondere in den ominösen fünfziger Jahren, als sie als politischer Häftling im Gefängnis saß, oft „anonym und pseudonym“ erschienen sind.

In die Zeit der düsteren 1950er Jahre in Rumänien, als Menschen in ihrer Existenz, mit ihrem Hab und Gut schutzlos der Willkür der Behörden und ihrer Handlanger ausgeliefert waren, führt auch die Erzählung „Goldenes Schweigen“ der Siebenbürgerin Dagmar Dusil, Jahrgang 1948, die in der Rubrik „Literarische Texte“ vorgestellt wird. Gerlinde Roth übersetzte englische Gedichte der Bukowinerin Rose Ausländer (1901–1988), die, während ihres Exils in den USA zwischen 1948 und 1956 entstanden, in der Zeitschrift erstmals auf Deutsch erscheinen.

Zur 100. Wiederkehr des Geburtstages von Rudolf Hollinger (1910–1997) schreibt Hans Dama über den Banater Hochschullehrer und Dichter, von dem in der Rubrik „Aus Archiven und Nachlässen“ als literarhistorisches Dokument ein Aufsatz über das Sonett in der deutschen Dichtung Rumäniens aus dem Jahr 1957 gebracht wird. Es folgen Tagungsberichte über die Tradition des Deutschen in Ungarn und das 25-jährige Jubiläum des Lenau-Vereins in Fünfkirchen/Pécs, der reichhaltige Rezensionsteil sowie Nachrichten und Berichte über die Kultur und Geschichte der Deutschen im südöstlichen Europa. Beiträge erinnern an den Banater Künstler Julius Stürmer, der 95 wurde, sowie an den 85. Geburtstag des Schriftstellers Hans Bergel. Zum 70. Geburtstag von Prof. Dr. Horst Schuller umreißt der Literaturwissenschaftler Peter Motzan das Wirken des langjährigen Journalisten, Literaturhistorikers und Hochschullehrers.

Auslieferung, Vertrieb und Abonnementbetreuung erfolgt über: Intime Services GmbH, Postfach 13 63, 82034 Deisenhofen, Telefon: (0 89) 85 85 38 22. Preis: Einzelheft 6,15 Euro (zuzüglich Porto und Versand, Abonnement 22,50 Euro (einschließlich Porto und Versand).

Schlagwörter: Rezension, Securitate, Oskar Pastior, Germanistik, IKGS

Bewerten:

10 Bewertungen: +

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.