10. Oktober 2010

Der Orgel gedient: Zum 100. Geburtstag von Otto Einschenk

Am 3. Oktober d.J. wäre der Orgelbauer Otto Einschenk 100 Jahre alt geworden. Der gebürtige Kronstädter starb im Alter von 91 Jahren am 13. Dezember 2001 in Gundelsheim am Neckar. Hier, im Alten- und Pflegeheim der Siebenbürger Sachsen auf Schloss Horneck, hatte er, pflegebedürftig, seine letzten sieben Monate verbracht.
Otto Einschenk und andere Glieder der Familie gehören einer langen Reihe namhafter Orgelbauer an, die im Lauf der Jahrhunderte als gebürtige Siebenbürger oder Zugezogene im Siedlungsgebiet der Siebenbürger Sachsen, im Szeklergebiet, dem Banat, Ungarn und im rumänischen Altreich tätig waren.

Es ist anzunehmen, dass die Kirchenorgel in Siebenbürgen etwa gleichzeitig mit einer um 1300 in Mitteleuropa aus einfacheren Formen weiterentwickelten, „modernen“ Orgel erscheint, denn die erste Nachricht über das Vorhandensein einer Orgel erreicht uns aus der Zeit um 1350 aus Hermannstadt. Etwa um die gleiche Zeit sind auch schon Orgelbauer dokumentiert. Die ersten Orgelbauer waren vermutlich Mönche, was uns aus anderen Bereichen des sakralen Kunsthandwerks bestätigt wird. Organisten und Orgelbauer werden dann bald auch namentlich in amtlichen Dokumenten anderer Städte erwähnt, wobei es sehr früh auch um Orgeln in Dorfkirchen geht. So lässt sich Siebenbürgen seit dem Mittelalter den europäischen Orgellandschaften zurechnen. Zu den bedeutendsten Orgelbauern einer vergangenen Zeit in Siebenbürgen gehören Johannes Vest (1630-1694), Martin Hammer (1685-1742), Johannes Hahn (1712-1783), Samuel Joseph Maetz (1760-1826), Johannes Prause (geboren um 1760). In neuerer Zeit sind auch von großen ausländischen Firmen Orgeln in Siebenbürgen ­gebaut worden, so von den Firmen Buchholz (Berlin), Sauer (Frankfurt a.d.O.), Walcker (Ludwigsburg), Rieger (Jägerndorf/Budapest), Hesse (Wien), Angster (Fünfkirchen/Pécs) oder auch von der Temeschburger (banater) Firma Wegenstein & Söhne. Unter den heutigen Orgelbauern darf Hermann Binder (Hermannstadt), der sich vor allem durch seine Restaurierungen siebenbürgischer historischer Orgeln verdient gemacht hat, nicht unerwähnt bleiben. Sanierungen nimmt auch Walter Halmen vor.

Otto Einschenk im September 1989 in seiner ...
Otto Einschenk im September 1989 in seiner Wohnung in Schönaich.
Otto Einschenk setzte in zweiter Generation den Familienberuf des Orgelbaus fort. So wie es die siebenbürgischen Orgelbauerfamilien Hahn, Maetz, Wachsmann, Müller oder Binder gegeben hat, so gab und gibt es eine weitverzweigte Familie Einschenk, deren Glieder seit dem Firmengründer, dem Kronstädter Karl Einschenk (*28.10.1867, †28.6.1951), der sein Handwerk zunächst in Kronstadt, dann mehrere Jahre lang in Wien, Deutschland, der Schweiz und der Steiermark erlernte und 1896 in Kronstadt seine Werkstatt eröffnete, so gut wie alle Orgel- bzw. Musikinstrumentenbauer waren und sind: Schon von den acht Kindern Karls gingen die Söhne Otto (*3.10.1910), Helmut (*28.3.1913), Karl (*28.5.1918) und die Zwillingsbrüder Günter und Erwin (*13.10.1925) in diese Richtung. Helmut spezialisierte sich später auf Klavierbau, Sanierungen, Klavier- und Akkordeonreparaturen. Er hatte den Prototyp eines eigenen, neuartigen Klaviers (Pianinos) konzipiert und gebaut, Krieg und Kommunismus verhinderten jedoch die weitere Produktion und Auswertung. Karl, selbst vortrefflicher Geiger, wollte Geigenbauer werden. Doch er wurde ein Opfer des Kriegs: Er fiel in Juchnov bei Moskau am 29. Januar 1942. Erwin und Günter gingen bereits 1942 zur Ausbildung nach Markneukirchen in Sachsen, der eine als Holzblasinstrumenten-, der andere als Blechblasinstrumentenbauer. Sie flüchteten 1945 westwärts nach Bayern und lernten dann Orgelbau bei Steinmayer in Oettingen. Erwin wurde 1950 Orgelbauer in Zürich und arbeitete dort bei Metzler & Söhne. Er starb in Meilen in der Schweiz am 20. März 2000. Günter übte als Einziger den erlernten Beruf nicht weiter aus und ging als Prokurist einer großen Holzverarbeitungsfirma nach Bad Reichenhall. Ottos Sohn Karl (*4. Juni 1949) ist Klavier- und Cembalobauer. Er wurde zuerst von seinem Vater, nach seiner Aussiedlung 1978 in die Bundesrepublik in Ludwigsburg und Stuttgart ausgebildet. 1983 erhielt er sein Meisterbuch und wurde von der Klavierbaufirma Matthaes & Co (Pianocentrum Matthaes) nach Stuttgart berufen, wo er auch heute noch tätig ist. Helmuts Sohn Arnulf (*5. Oktober 1940) blieb als „letzter Einschenk in Kronstadt“. Er arbeitet als Instrumentenreparateur in der ehemaligen, nach dem Krieg verstaatlichten, heute wieder in seinem Besitz befindlichen Einschenk-Werkstätte in der Schwarzgasse.

Otto Einschenk war der älteste Sohn des Firmengründers. Nach dreijähriger Lehrzeit im Betrieb des Vaters lernte er noch drei Jahre weiter in Dresden bei Gebrüder Jehmlich (Emil und Bruno), einem traditionsreichen renommierten Orgelbaubetrieb. Danach ließ er sich in seiner Heimatstadt als Orgelbauer und Klavierreparateur nieder. Von 1930 an arbeitete er ständig mit seinem Vater zusammen. Dieser hatte seit 1897 (seinem ersten Orgelbau im siebenbürgischen Straßburg am Mieresch/Nagyenyed/Aiud) über dreißig Orgelneubauten unter anderem in Schäßburg, Karlsburg, Kronstadt, Sächsisch-Regen, mehreren siebenbürgisch-sächsischen Dörfern (Tekendorf, Botsch, Felsendorf, Girlsau, Neustadt, Neppendorf, Kleinschelken, Draas, Meeburg u.a.) und einigen Ortschaften im Szeklerland (Südostsiebenbürgen) geschaffen. In Zusammenarbeit mit Otto entstanden weitere Orgeln, darunter im Bukarester Königsschloss (1935), in Kronstadt und einigen Ortschaften bei den Szeklern. Außerdem nahmen sie Umbauten, Verlegungen und Instandsetzungen sowie Pflegearbeiten an den großen Orgeln Siebenbürgens vor und waren auch als Klavierreparateure und Klavierstimmer tätig. Die größte Einschenk-Orgel steht in der evangelischen Kirche in Sächsisch-Regen (Reghin), gebaut 1924.

Im Januar 1945 ereilte Otto mit tausenden anderer Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben – und mit seiner Schwester Alida – das Schicksal der Deportation zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion. Bereits 1946 aber wurde er – auf ein Körpergewicht von 48 Kg abgemagert – nach Ostdeutschland entlassen und in das Auffanglager in Hoyerswerda gebracht. Aus dem Lager konnte er im Januar 1947 freikommen, weil ihn Jehmlich einstellte. Im Juni machte er sich über Oettingen, Wien, Raab (Ungarn) und Großwardein auf den damals beschwerlichen, langwierigen und hindernisreichen Weg nach Kronstadt auf, wo er im November ankam. Die Stadt war von russischen Soldaten und feindlich gesinnten Eindringlingen heimgesucht worden. In einem Brief schrieb er über seine Ankunft: „Ich fand die Orgel des Honterus-Gymnasiums, in ihre Bestandteile zerlegt, im Schulhof, Windladen und Blasebalg im Regen, die Pfeifen in einem Keller wie Scheitholz übereinandergeschmissen.“ (Übrigens wurden auch sämtliche Bücher, Inkunabeln, Musikalien, Raritäten und Unikate der Gymnasialbibliothek – die eine öffentliche Bibliothek war – auf den Schulhof geworfen, mit der Absicht, sie zu verbrennen.)

Die Einschenk-Werkstatt wurde – wie alle größeren Betriebe, Firmen und Häuser zwischen 1948 und 1950 – enteignet und verstaatlicht (wie üblich entschädigungslos), die neuen roten rumänischen Machthaber nannten das „Nationalisierung“. Die Familie Einschenk wurde nicht nur aus ihrem Besitz vertrieben, sondern 1952 auch aus Kronstadt zwangsevakuiert. In der Gemeinde Tartlau kamen sie unter. Die Werkstatt war lange vor dem Krieg erheblich ausgebaut worden und die Firma verfügte auch über eine Musikalienhandlung, einen „Klaviersalon“ und einen Ausstellungsraum für Orgeln, was die Begehrlichkeit der neuen Landesherren nun um so mehr reizte. Otto und Helmut hatten die Firma übernommen. Jetzt durften sie als Genossenschaftsmitglieder seit 1961 in der „Cooperativa tehnică“, einem Teil der alten Werkstatt, weiterarbeiten. Orgel- und Klavierneubauten zu tätigen, war in der kommunistischen Zeit allerdings nicht mehr möglich. Sie mussten sich auf das Betreuen, Reparieren und Stimmen von Instrumenten bei den staatlichen musikalischen Einrichtungen der Stadt beschränken. Ottos Tochter Elke starb 1965 bei einem Autounfall. Helmut starb am 10. Juli 1969 an einer unheilbaren Krankheit. Otto siedelte Ende Oktober 1976 in die Bundesrepublik Deutschland aus. Als Rentner verdiente er sich hier ein Zubrot als Klavierstimmer, hauptsächlich in Frankfurt. 1979 zog er nach Schönaich um, wo sein Sohn Karl heute noch wohnt.

Arnulf Einschenk blieb, wie erwähnt, als Letzter und Einziger in Kronstadt zurück. Mit ihm in Kronstadt und Karl Einschenk in Stuttgart endet diese höchst bemerkenswerte Familientradition: Beider Kinder und auch die Nachkommen von Helmut Einschenk haben sich anderen Berufen zugewandt.

Karl Teutsch

Schlagwörter: Porträt, Orgeln, Musik, Handwerk, Kronstadt

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