18. Oktober 2010

Im Tankwaggon ums Leben gekommen

Band zwei des Buches „Die Gräber schweigen. Berichte von der blutigsten Grenze Europas“ ist erschienen.
Wenn sich die Sonne in den 1970er und 1980er Jahren im Westen neigte, haben viele rumänische Staatsbürger, aber auch manch ein Deutscher aus der DDR die Flucht über die Westgrenze Rumäniens gewagt. Stacheldraht und Wasser, die Donau, Schießbefehl und Folter haben sie nicht abgeschreckt. Der Drang nach Freiheit war so groß, dass sie ihr Leben riskierten. Die knapp 1000 Kilometer lange Westgrenze Rumäniens ist in den 1980er Jahren zur blutigsten in Europa geworden. Vermutlich sind an dieser Grenze mehr Menschen ums Leben gekommen als an der innerdeutschen. Vor zwei Jahren hat der aus dem Banat stammende Journalist Johann Steiner zusammen mit seiner Temeswarer Kollegin Doina Magheți ein Buch unter dem Titel „Die Gräber schweigen. Berichte von der blutigsten Grenze Europas“ herausgegeben. Vor knapp einem Jahr ist das Buch in rumänischer Übersetzung im Polirom-Verlag in Jassy erschienen. Jetzt legen Steiner und Magheți einen zweiten Band unter demselben Titel vor.

Die Autoren warten mit neuen Erkenntnissen auf. Auch in dem neuen Band kommen Flüchtlinge zu Wort. Geschichten reichen bis in die Zeit des Zweiten Weltkrieges hinein. Sie handeln von der Flucht aus den Tito-Lagern im serbischen Teil des Banats, über die Hilfe, die die Grenzgänger von ihren Landsleuten im rumänischen Teil des Banats erfahren haben, aber auch über ihren weiteren Weg in den Westen. Sie beschreiben die weitgehend unbekannten Greueltaten der kommunistischen Partisanen, denen die Flüchtlinge entkommen wollten. Andere Berichte handeln von den ersten gelungenen Fluchten von Rumänien nach Jugoslawien und dem Zwangsaufenthalt der Flüchtlinge in serbischen Arbeitslagern.

Über das Fluchtgeschehen Mitte der 1950er Jahre und die dramatischen Zustände in den rumänischen Gefängnissen berichtet Peter Schuster aus Mediasch. Wie man als Taucher durch den Bega-Kanal nach Serbien gelangen konnte, schildert der aus dem bekanntesten Banater Musikhaus stammende Anton Braun.

Im zweiten Band kommen, anders als im ersten, auch die Schwimmer zu Wort. Wie viel Glück notwendig war, um an die Donau zu gelangen und diese auch noch schwimmend zu überwinden, teilt Alfred Waldenmayer aus Guttenbrunn im Banat mit. Peter Eisgeth aus dem siebenbürgischen Zeiden wähnte sich schon auf dem Weg in den Westen, kam aber allem Anschein nach ganz jämmerlich ums Leben. Ob er erstickt oder aber bei lebendigem Leibe gekocht wurde, das weiß keiner und ist wohl auch nicht mehr zu klären, berichtet sein Bruder Volker. Vor 36 Jahren stieg er in seinem Heimatort in einen mit Knochenfett gefüllten Tankwaggon – ein Bekannter versiegelte die Luke hinter ihm. Satt in Mailand kam er in Craiova an: tot.

Steiner berichtet in dem 304 Seiten starken zweiten Band auch über die Flucht der vielfachen Turn-Olympiasiegerin und Weltmeisterin Nadia Comăneci nach Ungarn und anschließend in die USA, ferner über den Fluchtweg der Temeswarer Pop-Gruppe Phönix über Jugoslawien nach Deutschland. Eine ausführliche Besprechung der Neuerscheinung folgt in einer der nächsten Ausgabe dieser Zeitung.

Der zweite Band des Buches „Die Gräber schweigen“ kann bestellt werden beim Verlag Gilde & Köster, Am Wassergraben 2, 53842 Troisdorf, Telefon: (01 75) 6 09 44 31 oder (0 22 46) 21 66, E-Mail verlaggilde[ät]web.de; Preis 22 Euro, einschließlich Versandkosten, ISBN: 978-3-00-031829-0.
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Schlagwörter: Neuerscheinung, Flucht und Vertreibung, Rumänien

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