26. August 2012

Der Roman „Tod auf der Donau“ von Michal Hvorecky

120 Senioren, 22 Tage, ein Schiff: Aus diesen Zutaten mixt der slowakische Autor Michal Hvorecky einen so absurden wie amüsanten Roman-Cocktail zusammen, der wie die titelgebende Donau mal reißend und mal träge dahinfließt und am Ende ein wenig bitter schmeckt.
Der aus Bratislava stammende Übersetzer Martin Roy heuert mangels Aufträgen beim US-amerikanischen Reiseveranstalter American Danube Cruises (ADC) an und begleitet als Cruise Director Senioren aus den USA auf ihren Donaukreuzfahrten. 22 Tage auf der MS America von Regensburg bis ins rumänische Donaudelta liegen zu Beginn des Romans vor ihm, doch bevor das Schiff ablegen kann, müssen die zwischen den Aggregatzuständen „rüstig“ und „halbtot“ schwankenden Gäste vom Münchner Flughafen abgeholt werden, ein Unterfangen, das einen ganzen Tag dauert. 120 Touristen aus allen Ecken der USA sammelt Martin ein und schickt sie in drei Busladungen nach Regensburg, wo das Schiff, sein Kapitän Atanasiu Prunea, der Erste Offizier Tamás Király und der Rest der balkanisch bunten Besatzung warten.

„Sind wir schon in Europa?“ ist noch die einfachste Frage, die Martin während der Reise beantworten muss. Von Deutschland geht es über Österreich, die Slowakei, Ungarn, Kroatien, Serbien und Bulgarien nach Rumänien ins Donaudelta. Bei den Landgängen werden die arglosen Touristen, die alles „exzellent“ finden, von gelangweilten Reiseführern zu den überlaufenen Sehenswürdigkeiten geschleppt, mit Kitsch und Folklore abgespeist und nicht selten der Einfach­heit halber mit landestypischem Alkohol abgefüllt – aber nur so weit, dass sie noch gefahrlos zurück aufs Schiff gelotst werden können.
Martin gibt den immer fröhlichen Animateur, ist Betreuer, Seelsorger, Abfalleimer, Prügelknabe und darf sich für nichts zu schade sein, denn wenn sich einer der Gäste über ihn beschwert, verliert er seinen Job, und den macht er trotz aller Unannehmlichkeiten eigentlich ganz gern. Seine Zuversicht gerät auch nicht ins Wanken, als seine Exfreundin Mona aus heiterem Himmel auf dem Schiff erscheint und sich mit einem mys­teriösen Koffer eine Weile bei ihm verstecken will. Als allerdings an Bord ein Mord geschieht, verliert auch Martin ein wenig die Fassung. Nach dem zweiten Mord liegen seine Nerven blank, er fängt an zu trinken und versucht krampfhaft, die Kreuzfahrt ohne weitere „Zwischenfälle“ über die Bühne zu bringen. Aber dazu kommt es nicht mehr.

Michal Hvorecky, 1976 in Bratislava (Pressburg) geboren, schickt seine Leser in „Tod auf der Donau“ auf einen wilden Trip durch halb Europa, gespickt mit historischen und geographischen Details über die großen und kleinen Städte am Donauufer und die Entwicklung der Anrainerstaaten. Zwischendurch flicht er die Lebensgeschichte seiner Hauptfigur Martin ein: Kindheit im Plattenbau und erste Liebe, Studium und Entdeckung der großen Leidenschaft Übersetzen, Ernüchterung, Jobwechsel – ein exemplarischer Lebenslauf mit dem großen Bruch irgendwo mittendrin: dem Fall des Eisernen Vorhangs. Die Klischees über die Touristikbranche im Allgemeinen und Touristen aus den USA auf Europareise im Besonderen bedient Hvorecky vorbildlich, ohne dabei zu platt zu werden. Leider ist ihm auf den letzten 30, 40 Seiten die schöpferische Luft ausgegangen. Das Ende des Romans soll eine Art Katharsis darstellen, was misslingt: Eine Katastrophe, eine abstruse Geistergeschichte und ein Baby reichen dafür nicht aus. Dennoch ist der dritte Roman des Slowaken, der zu Recherchezwecken mit einem Grenzgänger-Stipendium der Robert Bosch Stiftung durch die südlichen Donauländer reiste, vergnüglich zu lesen. Über allem liegt diese seltsam vertraute „Nema-problema-Mentalität“, die den Leser alle Absurditäten ertragen lässt – auch das verquere Ende der Geschichte.

Doris Roth



Michal Hvorecky, „Tod auf der Donau“, Tropen/Klett-Cotta Verlag, Stuttgart, 2012, 272 Seiten, 19,95 Euro, ISBN 978-3-608-50115-5.
Tod auf der Donau: Roman
Michal Hvorecky
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Schlagwörter: Rezension, Roman, Balkan, Donau

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