7. Oktober 2012

Große Kunst auf Såchsesch

Annette Königes und Prof. Heinz Acker interpretieren in Stuttgart sächsisches Liedgut als Teil der deutschen Dialektlandschaft.
Am frühen Abend des 14. September musste im Saal des Stuttgarter Hauses der Heimat fortwährend aufgestuhlt werden, so groß waren der Andrang und das Interesse am „Informationsabend mit Liedbeiträgen“. Prof. Heinz Acker, 1942 in Hermannstadt als zweiter Sohn einer musisch beflissenen Lehrerfamilie geboren, war sich nicht sicher, ob es sich nicht doch um einen „Liederabend mit informativen Beiträgen“ handele.

Nachdem Heinz Acker sein Abitur gemeinsam mit seiner Gattin Marianne, geborene Rether, 1960 am Brukenthalgymnasium gebaut und in Klausenburg Musik studiert hatte, dozierte er zwischen 1965 und 1977 an der Staatlichen Musikschule in Hermannstadt, wo er u. a. auch Dirigentenverpflichtungen an der Hermannstädter Staatsphilharmonie wahrnahm. 1977 folgte die Ausreise in die alte neue Heimat. Danach wirkte er an der Musik- und Kunstschule Bruchsal und wurde 1987 zum Professor für Musiktheorie an der Staatlichen Hochschule für Musik in Heidelberg-Mannheim berufen.

Die gebürtige Zeidnerin und studierte Biologin Annette Königes lebt seit über 30 Jahren in München, wo sie als Gästeführerin fungiert, aber u. a. auch den Großen Siebenbürgerball gekonnt moderiert. Die leidenschaftliche Sopranistin verfügt über eine sehr gut entwickelte Konzertstimme, mit der sie das Publikum vom ersten Lied an begeisterte. Den ganzen Abend wurde sie durch Ackers äußerst ausdrucksstarkes Spiel am Konzertflügel begleitet. Die meisten der aufgeführten elf Werke hat Heinz Acker eigens für diesen Abend arrangiert, einige sind seiner neuesten Komposition „Carmina Selecta“ entnommen, die in Kürze auf den Markt kommt.

Unsere geliebte siebenbürgisch-sächsische Mundart ist unter unseren einheimischen Mitbürgern meist nur Experten bekannt. Für Sprachforscher allerdings ist ihr 850-jähriges Bestehen und Überleben allerdings ein Wunder, „als wenn ein Tierforscher auf einen Dinosaurier träfe“, so Acker. An diesem Abend wurden somit zwar nicht Eulen nach Athen, aber doch „Nelken nach Zeiden“ getragen.

Beim ersten Lied des Abends, „Naer Oostland willen wy ryden“ (nach Ostland wollen wir reiten), das Annette Königes gekonnt auf Flandrisch vortrug. Unsere Vorfahren kommen bekanntlich nicht nur aus dem Rhein-Mosel-Gebiet und Teilen Frankens, sondern auch aus Flandern. Das nächste Lied, das weit bekannte „Et såß e klii wäld Vijelchen“, ist, so Acker, weniger ein Liebes-, denn ein Freiheitslied: „uch nemest ka mech zwängen“. Das dritte Lied „Äm Hontertstroch“ wird weltweit von zahlreichen Völkern als eigenes Volkslied reklamiert, wurde aber vom Thüringer Hermann Kirchner, wie auch „Af deser Ierd“, in Siebenbürgen komponiert. Diese weltweite Inanspruchnahme sächsischen Liedgutes erklärt sich am besten durch folgenden Kalauer: Als Columbus die Welt entdecken wollte, nahm er aus jeder europäischen Nation zwei Vertreter mit. In der neuen Welt gestrandet, gab er allen Expeditionsmitgliedern zwei Tage Zeit, die neue Welt zu erkunden, jedoch mit der Vorgabe, pünktlich zurück zu sein. Nun, nach zwei Tagen waren alle zurück, außer den Sachsen. Nach einiger Zeit kamen auch sie: „Se messen entschäldijen, Herr Columbus, awer mer hun Landslet getrofen!“. Einwurf aus dem Publikum: „Ongnietler!“. Das tragische Ende des Liedes, als det Med trourich äm longhär verbläten Hontertstroch sätzt, spielt Acker in der Wiederholung ganz bewusst in Moll, um es am Schluss wieder in Dur aufzulösen. Im nächsten Lied trafen wir auf Ackers Wurzeln, denn sein Urgroßvater Carl Reich hat es geschrieben und komponiert: „Angderm Liirber såß ech iist...mät dem inje Schatzken“, ein wunderschönes Liebeslied, das zur Abwechslung mit einem Happy End schließt: „Awer fir as äs de Sann ne mi schlofe gangen“.

Dann kamen wir zu Georg Meyndt, einem ganz Besonderen seiner Zunft, so Acker, der „zwei linke Hände“ hatte, auch keine Noten schreiben konnte, aber das Tagesgeschehen im Dorf genau beobachtete und des Abends mit der Gitarre in Musik und Worte fasste. So hörten wir von Annette Königes, wie der Kokesch der Welt einen „Gade Morjen“ verkündet, respektive „kreischt“. Weiter erfuhren wir von Georg Meyndt, wie „Det Brännchen um gräne Riin“ ganz bewusst nicht „durch“, sondern „fir“ de ganz Gemiin fleßt und zwar Doach uch Nocht, Wängters- uch Sommerszegd. Darauf beschwerte sich wiederum Meyndt, dass ein Kneecht seinen Bauern „Treißig Krezer af den Doach kostet, däglich foafmol z’eeßen uch de Krezer af Tabak jo nor net vergieeßen“! Endlich folgten zwei Lieder zum Wichtigsten im Dorfleben, den Hochzeiten, zu denen ja bekanntlich meist das ganze Dorf eingeladen war.

Im ersten Hochzeitslied wollte Annette Königes voller Entschlossenheit, mit energischem Kopfschütteln und leichtem Zittern weder den „Kanter, dn Däschler, dn Schoster, dn Schiilmiister, noch dn Farrer“ nieen – nai, Motter, nai!, sondern schließlich mit voller Inbrunst und Glück „dn Gebouren, cha Motter, cha!“. Gemäß Acker sind Hochzeiten die Krimis jeder Zeit, man denke an die „Brokt von Urwejen“, aber auch in der Reklich Med flehte Annette Königes die Mutter schlussendlich mit ganzer Seele an: „Ach Motter, Motter zwänjt mich doch! Hm, hm, cha, cha, ach Motter zwänjt mich doch!“.

Königes trug uns im Anschluss das kürzeste sächsische Gedicht von Wilhelm Weitert vor: „Wo es det Boofliesch? Wo sen de Saxen?“. Dies in einer Zeit, da nach einer UNESCO-Studie alle 14 Tage eine der weltweit 6000 Sprachen stirbt, von denen wiederum gut ein Drittel vom Aussterben bedroht sind. In manchen sächsischen Dialekten kommen Vokale vor, wie sie in keiner anderen Sprache der Welt zu finden sind. Das wurde auch in der Folge deutlich, als die Zuhörer, ein jeder in seinem Dialekt, den Satz „Dr oolt Moun äßt am lääfsten e Stäckelschen Bruit met Zweiwel“ vortragen sollte, wobei vor allem der Rosenauer „Spewel“ allen bekannt sein dürfte. In einem Test hatte zuvor Acker mit seinem „Hermannstädter Oxford-Soksesch“ (Zitat Königes) behauptet, dass kein Nicht-Zeidner das Lied „Det Braontschen“ - oder auch mit drei Vokalen am Stück: Braounschen - verstehen würde. Als er selbst das Braounschen raounen hörte, dachte er an ein poetisches Raunen des Baches. Der letzte Programmpunkt war das alte Lied „Alle Birebimcher“, das als sogenannte Wandermelodie um die Welt ging und sich in Abwandlungen in Spanien und Portugal, aber auch in Moll statt Dur in der israelischen Hymne oder ebenso in Moll in Smetanas sinfonischer Dichtung „Die Moldau“ wiederfindet. Acker interpretierte die Birnbäume dann auch in den typischen chromatischen Balkan-Tonarten und zerfetzten rumänischen Rhythmen. Wieder im Original mit einer neuen Textversion, als sogenanntes schwäbisches Guetzle (Weihnachtskeks), sang Königes dann statt „det Siwegestern äs hänjderm Rech“ „dr Heinz uch dt Annette gohn no glech“. Doch ehe zum Abschluss alle, ein jeder in seinem Dialekt, „Äm Hontertstroch“ sangen, richtete Heinz Acker als Fazit des Abends, aber auch als Fazit für mehr als 850 Jahre siebenbürgisch-sächsische Mundart und Dialekte, den eindringlichen Appell an alle Anwesenden, sooft es nur geht und mit wem es nur geht, vor allem mit den Kindern und Enkelkindern sächsisch zu sprechen, damit unsere schöne Sprache und mit ihr ein großes Stück unserer Identität nicht so schnell verloren gehen möge.

Hans-Jürgen Albrich

Schlagwörter: Liederabend, Mundart, Stuttgart

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