16. Juni 2013

Von der Freiheit und Lebensfreude der Völker: Heinz Acker präsentiert "Carmina selecta"

Den beiden Kulturpreisträgern 2013 wurde beim Heimattag der Siebenbürger Sachsen in Dinkelsbühl die Gelegenheit gegeben, sich mit eigenen Werken vorzustellen. Gleich nach Franz Hodjaks Lesung am 18. Mai im Evangelischen Gemeindehaus St. Paul präsentierte Professor Heinz Acker sein jüngstes Werk, „Carmina selecta – Südöstlicher Divan“. Die Entstehung und Konzeption seiner Suite für Soli, gemischten Chor, Kinderchor und Orchester erläuterte Heinz Acker anhand von Klangbeispielen aus der CD mit dem Mitschnitt der Uraufführung vom 14. April 2012 in Heilbronn. „Carmina selecta“ sei „das zutiefst schöpferische und meisterliche Werk eines alle Register der kompositorischen Kunst ziehenden Kenners und Könners, eines Souveräns des Tonsatzes, des Kontrapunkts, der Orchestration“, schrieb Karl Teutsch in der Konzertbesprechung in der Siebenbürgischen Zeitung Online vom 8. Mai 2012. Heinz Ackers Vortrag wird im Folgenden gekürzt wiedergegeben.
Die Entstehung des Werkes hatte ganz praktische Gründe. Die „Gesellschaft für deutsche Musikkultur im Südöstlichen Europa“ (GDMSE) hat es sich zum Ziel gesetzt, die Kultur dieses Raumes zu fördern. Das geschieht z.B. durch die nun schon traditionsreichen „Löwensteiner Musiktage“, wo sich alljährlich ein großer Chor und Orchester plus Kinderchor aus ganz Deutschland zusammenfinden, um Werke deutscher Komponisten aus dem Südosten Europas neu zu entdecken und aufzuführen. Dies sind bislang vornehmlich Werke siebenbürgischer Komponisten gewesen. Die Gesellschaft vertritt aber den gesamten südosteuropäischen Siedlungsraum. Nachdem es ein solch globales Werk bislang noch nicht gab, habe ich mir gesagt – als künstlerischer Leiter der Löwensteiner Musiktage: Dann musst du es eben selber schreiben!

Kulturpreisträger Heinz Acker präsentierte am ...
Kulturpreisträger Heinz Acker präsentierte am Vorabend der Preisverleihung einem interessierten Publikum seine Suite "Carmina Selecta – Südöstlicher Divan". Foto: Konrad Klein
Es sollte eine Zusammenschau des so vielfältigen Liedgutes aus all diesen ehemaligen deutschen Siedlungsgebieten werden, also aus Siebenbürgen und dem Banat, Lieder aus der Batschka und der Sathmarer Schwaben, der Ungarn und Jugoslawien-Deutschen, aus Böhmen und Mähren, Wolhynien und Syrmien, dem polnischen Schtetl bis hin zu den Wolgadeutschen.

Das ergibt schon einmal eine enorme Buntheit musikalischer Idiome und eine Vielfältigkeit unterschiedlichster dialektaler Ausprägungen. Darüber hinaus aber sollte es nicht nur ein bunter Strauß volkstümlichen Liedgutes sein, vom Liebeslied über das Kinder- bis zum Gesellschaftslied in all seinen ernsten und heiteren Ausprägungen. Nein, es sollte auch zum historischen Spiegelbild der Kulturgeschichte dieser Völker werden, die hier seit Jahrhunderten siedeln und damit den Blick öffnen für die Gemeinsamkeit, aber auch die unterschiedlichen Schattierungen der Geschicke deutscher Siedlungen über den siebenbürgischen Erfahrungshorizont hinaus.

Das Lied quasi als Geschichtsquelle. Es heißt ja: „das Lied ist das Gedächtnis eines Volkes“. Der Doppeltitel des Werkes verrät diese Absichten. „Carmina Selecta“ meint „ausgewählte, aber auch „auserwählte, erlesene“ Gesänge von volkstümlich-rustikaler Herkunft im Sinne Carl Orffs („Carmina burana“). Der an Goethe anklingende Untertitel „Südöstlicher Divan“ verweist hingegen auf die Herkunftsgebiete der Lieder mit dem Reiz des Fremdartigen.

Alles, was klanglich in Löwenstein zur Verfügung stand, habe ich in diese Suite eingebaut: den großen Chor, den Kinder und Jugendchor, ein großes symphonisches Orchester und vier Solisten. Zusammengehalten wird das abendfüllende Werk von einer großen musikalischen Klammer, dem anfänglichen Prolog und dem abschließenden Epilog. Diese Teile geben Auskunft über die Geschichte der Siedler mit Textzitaten historischer Dokumente und Zeitzeugen. Es gibt auch eine musikalische Klammer, die den ganzen Zyklus zusammenhält. Es sind die Anfangsbuchstaben der „Gesellschaft für Deutsche Musikkultur im Südöstlichen Europa“ also die Töne: G – D – M(i) – (e)S – E. (ergänzt mit einem „H“ = Heimat, Hermannstadt, Heinz).

Dieses musikalische Akronym/Anagramm ergibt mit seinen beiden fallenden Quarten ein prägnantes Erkennungsmotiv, das im Verlauf der Suite leitmotivartig immer wieder auftaucht und Querverbindungen schafft. Letztlich wird dieses Quarten-Motiv zum Träger der Worte: „Leben – Sterben!“ mit dem das Werk endet als Polarität unserer menschlichen Existenz.

Der Prolog versucht die Frage zu klären: „Wer und was sie seyen“ (die Siedler nämlich) mit Textzitaten aus der Siedlungsgeschichte Siebenbürgens, stellvertretend für das Geschick der anderen und späteren deutschen Ostsiedlungen. Es sind Zitate aus dem „Goldenen Freibrief“ des ungarischen Königs Andreas (1224), dann aus der Rede des Sachsengrafen Huet (1521), ein Gedichtausschnitt von Wolf v. Aichelburg. Die Anrufung des Schicksals „O fortuna“, dieses Schicksals, das den Siedlern nicht immer gnädig war (da heißt es: „dem ersten der Tod, dem zweiten die Not, dem dritten das Brot“), geschieht mit den Worten des antiken Dichters Terentius Publius.

Es ist ein kleines Wunder, dass es noch Liedgut aus der Zeit der Einwanderung gibt. So das Lied „Naer Oostland willen wy reyden/Nach Ostland wollen wir reiten“, das von der friedlichen Besiedlung dieses Landes jenseits der Wälder berichtet, oder „Ze Krīne, ze Krīne virm Borjedīr“, ein Minnelied aus Kronstadt, und „Et såß e klī wäld Vijelchen“, das noch der Urheimat entstammt. Es ist eines der ältesten und wohl auch schönsten und bekanntesten siebenbürgischen Lieder, das sich in jeder deutschen Liedersammlung als „Siebenbürgisches Liebeslied“ findet. Für mich ist es aber mehr als ein Liebeslied, denn es kündet von dem Freiheitswillen des Vögleins, das sich durch keine Schätze der Welt („mät gielem Guld uch gräner Segd“) also nicht durch Gold und grüne Seide bestechen lässt, zu singen. Es singt nur, wann und wo es will. Dieser feste Freiheitswille sicherte den Siebenbürger Sachsen das Überleben über Jahrhunderte.

Nun wird es etwas munterer. Mit dem Lied „Der Kuckuck auf dem Baume saß“ folgt ein kindliches Scherzlied, das ich in unterschiedlichsten Ausprägungen in allen deutschen Siedlungsgebieten vorgefunden habe, hier in einer Variante aus Wolhynien (Ukraine) und dem Schönhengstgau (Sudetenland).

Mit dem Beitrag „Amor fallax“ (Wankende Liebe) kehren wir wieder nach Siebenbürgen zurück. Zwei Lieder unterschiedlicher Herkunft werden hier miteinander verflochten, so wie ja auch unterschiedliche Siedlungszüge miteinander verschmolzen sind: Das Lied „Drei Wochen vor Ostern“ stammt aus Waldhütten und ist eine Variante des bekannten Liedes „Bald gras ich am Neckar“. Es taucht immer im Wechsel auf mit dem Lied: „Schau, schau, wia’s regna tuet“, das die Landler (aber auch die Siedler aus dem Banater Erzgebirge) aus ihrer österreichischen (Tiroler) Heimat mitgebracht haben.

Die Liebe in all ihren Schattierungen ist sicher die ergiebigste Liedthematik durch alle Zeiten und Völker hindurch. Drei jiddische Liebeslieder entführen in das jiddische Schtetl, in dem „jiddischdaitsch“ gesprochen wird, also eine Abwandlung der deutschen Sprache, die aschkenasische Juden im Mittelalter aus Deutschland nach Osteuropa mitgenommen haben.

Der zweite Teil des Werkes führt uns zunächst nach Ungarn, das für seine feurigen Weine und sprühende Weinlaune bekannt ist. „Cantica hungarica“, und dann begeben wir uns mit einem siebenbürgischen und einem wolgadeutschen Scherzlied, die eine erstaunliche Ähnlichkeit aufweisen, in zwei Wirtshäuser. Auch mit dem Lied „Der Klosterzins“ (Banat) verbleiben wir in der Sphäre der Scherzlieder, Humor, der sich hier nun zum derben Unfug steigert. In das Traum-Paradies der Kindheit entführt danach eine wunderschöne Folge von Schlaf und Wiegenliedern aus Siebenbürgen, Sathmar, Syrmien/Kroatien, aus dem Pester Komitat (also Ungarn), aus Schlesien und Mähren.

Dem Epilog liegt der Choral „Gott der Vater wohn uns bey“ zugrunde, den ich in einer Agenda aus dem Jahre 1840 bei Stephan Ludwig Roth fand und erstaunt war, hier unser Leitmotiv wieder zu finden, und zwar bei den Worten „Leben – Sterben“. Ein Choral zum Abschluss bringt sinnbildhaft großes Gottvertrauen zum Ausdruck, das Grundlage deutscher Existenz über Jahrhunderte in diesen Regionen war.

Analog zum Prolog wird auch im Epilog Gott wieder angerufen. Dort war es die Bitte um das tägliche Brot der Siedler, hier ist es die doppelte Bitte um Frieden und Versöhnung, die in diesen Regionen nach den Geschehnissen des Zweiten Weltkriegs so bitter nötig ist. Deshalb zitiere ich aus Max Moltke „Siebenbürgenlied“ eine erstaunliche Textzeile einer Hymne, die nicht die eigene Nation beweihräuchert, sondern um Versöhnung mit allen Nationen eines Landes fleht: „Und um alle deine Söhne schlinge sich der Eintracht Band“.

Das Werk klingt mit dem Quartenmotiv „Leben – Sterben“ im decrescendo und pp aus. Das mag dann jeder Hörer individuell deuten nach eigenen persönlichen und geschichtlichen Erfahrungen.

Damit hat man einen Gang durch 800 Jahre deutscher Siedlungsgeschichte im Südosten vollzogen. Der letzte Glockenton allerdings, der eine Fortsetzung verlangt, deutet an, dass diese Geschichte noch nicht abgeschlossen ist.

Die CDs „Carmina selecta“ und „Heidelberg Variationen“ können zum Preis von je 10 Euro beim Komponisten erworben werden: Heinz Acker, Telefon: (0 62 21) 80 84 63, E-Mail: heinz.acker [ät] t-online.de.

Schlagwörter: Heimattag 2013, Kulturpreis, Musiker. Komponist

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