8. Juli 2013

Bitterböse, aber mit einem Lächeln: Christian Maurer legt neuen Lyrikband vor

Begonnen hat der heute fünfundsiebzigjährige Lyriker in den 1950er Jahren mit Natur- und Dinggedichten. Damals gehörte der Abiturient Christian Maurer zum Gründungsensemble der neugeschaffenen deutschen Nachkriegsbühne in Hermannstadt und galt, nachdem ihm bei einem Lyrikwettbewerb der Bukarester Tageszeitung Neuer Weg der Preis für das gelungenste der eingesandten Gedichte zugesprochen worden war, als einer der Hoffnungsträger der rumäniendeutschen Literaturszene, die sich nach dem stalinistischen Kahlschlag, noch verängstigt durch jahrelange Verfolgung und Ächtung, zögernd anschickte, zu neuem Selbstverständnis zurückzufinden.
Inzwischen ist mehr als ein halbes Jahrhundert in die Lande gegangen, Christian Maurer lebt nicht mehr in Hermannstadt, sondern in Kellberg, einem hoch über der Donau gelegenen Pfarrdorf, das zur Gemeinde Thyrnau bei Passau gehört, und hat mehrfach Enttäuschungen hinnehmen müssen, die ihm die Aufbruchstimmung von einst gründlich verdorben haben. Davon zeugt sein neuester Band mit Gedichten: „Vom violetten Spuk. Balladeske & skurrile Verse“.

Die Utopie vom „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ hat sich als trügerisch, ja als verbrecherisch erwiesen, die „Gemeinschaft“, für die man glaubte tätig sein zu müssen, brach weg, der in Siebenbürgen erfolgsverwöhnte Lyriker, Anekdotenerzähler, Stückeschreiber, Schauspieler, Regisseur und Theaterleiter musste sich nach seiner Aussiedlung 1990 als kleiner Museumswärter und nicht sonderlich bemittelter Arbeitsloser durchschlagen. Was Wunder, dass alles das Bitternis geweckt und zugleich die Augen geöffnet hat für die eigenen Grenzen und die Unzulänglichkeiten der Welt?

Bereits in Maurers erstem, 2002 hier in Deutschland veröffentlichen Gedichtband „Schöpf Sieb um Sieb vom Regen“ fanden sich Gedichte voll resignativer Nostalgie und verzichtbeschwerter Abkehr von dem einst heiteren Weltverständnis. Heute, ein Jahrzehnt später, hat sich das verschärft und ist umgeschlagen in zum Teil bitterbös-kritische Angriffslust, hin und wieder verbrämt von ironischem Lächeln über dies oder jenes gesellschaftliche Fehlverhalten, auch selbstironischem Be-Lächeln eigener Zeitweil. Pate stehen dabei Vorbilder wie Kästner oder Tucholsky, allen voran aber Morgenstern und Ringelnatz, die sich der Autor einverleibt und anverwandelt hat, er, „ein hintergründiger Geselle, ein migrationshintergründiger“ (S. 3) nämlich, wie er sich in einer Vorbemerkung zum Band selbst definiert.

Die Desillusion ist sogar rückwirkend, oder besser: sie war in Ansätzen immer schon vorhanden, selbst in der heimatlich heilen Natur seines „Bussardlandes“, die der Autor in seinem 1975 erschienenen Lyrikband noch liebevoll besang. Einer der ersten Texte seines vorerst letzten Buchs, der schon 1980 in Siebenbürgen entstanden ist und den Maurer nun heranzieht quasi als Beleg für die tieferen Wurzeln gegenwärtig enttäuschender Erfahrungen, entlarvt das einstige Ausweichen in die landschaftliche Idylle als „sommerseligen“, aber „schmerzlich kurzen“ Versuch einer Verortung in „der Freiheit Kräuterduft“ (S. 10).

Allerdings, es lässt sich mit Brecht und seinem „Puntila“ nicht mehr behaupten: „Verehrtes Publikum, der Kampf ist hart, / doch lichtet sich bereits die Gegenwart.“ Ganz im Gegenteil, diese zeigt sich eher eingetrübt bis zappenduster und gibt haufenweis Anlass zu Ärger und Verbitterung. Schon im skurrilen Aufeinandertreffen von medialer Scheinwelt und kruder Realität beim zweifelhaften „Fernsehvergnügen“ in einer niederbayerischen „Ausweich-Unterkunft für Spätaussiedler“ (S.23 ff) stößt das dem Neuankömmling auf. Und es verführt ihn zu satirischer Drastik in den Versen von „Arbeitnehmers Befindlichkeit zur allerbesten Sendezeit“ (S. 51), die, nämlich die Befindlichkeit, alle Anzeichen zünftigen Spießertums trägt, nachgewiesen auch in den „Leitstrophen für einen Deutschen Schäferhund“ (S. 52 f). Vieles, sehr vieles erregt den bitterbösen Widerwillen des Dichters: von der wölfischen Profitgier in Wirtschafts- und Finanzwesen bis zur rücksichtslosen Schädigung von Natur und Umwelt, von den Ungereimtheiten im deutschen Einigungsprozess bis zur medial-publicitylastigen Ausschlachtung von Homosexualität, vom Einbruch der Anglizismen in den zeitgenössischen deutschen Sprachgebrauch bis zu biedermännischer Traditionstümelei.

In einem Zyklus von epigrammatischen Fünfzeilern entmythisiert er biblische Mythen (S. 83-100), ironisiert im Gedicht „Der Falter oder Erkenne dich selbst!“ lächelnd das kirchliche Trinitätsdogma, oder er parodiert heiter, in mehreren Texten, lyrische Vorlagen von Goethe („Rasenblümlein“, S. 104) bis Morgenstern („Nachruf auf Morgensterns Wiesel“, S. 108), um dann andererseits mit schmerzlichem Ernst im „Lied vom kleinen Vögelein“ (S. 73 f), einer zehnstrophigen ­Abwandlung des bekannten siebenbürgisch-sächsischen Volkslieds, die Zerstörung überkommenen gemeinschaftlichen Sprach- und Kulturguts in der technizistischen Welt von heute zu beklagen.

Natürlich macht die Ironie auch vor dem eigenen Ich nicht Halt. Sie wird zur Selbstironie wie im Fünfzeiler „Trost“ (S. 80) und im Gedicht „Eigenste Bewandtnis“, das mit den Zeilen endet: „Der Tage Dünkel / dunkelt endlich, ernst: / das Leben lehrt dich, wie du es verlernst“, oder zur Ironie auf das eigene dichterische Bemühen: „Die Werke letzter Hand im Nu vergriffen. / Weil gar nicht aufgelegt, da nie verfasst. / Des Lebens Nachspielzeit längst angepfiffen. / Und viele Spielminuten schon verpasst.“ („Spielzeit“, S. 183)

Dennoch: Gerade das Spielerische, das Wortspielerische und damit die Leichtigkeit vieler Gedichte in diesem Band retten den Autor, der manch negative Erfahrung gemacht hat, wie kein Bierernst ihn hätte retten können. Seine Sprachbegabung gibt ihm das spielbare Werkzeug zur Hand, die Welt, wie sie ist, zu überstehen. Und das Spiel mit der Sprache, das letztlich jeder Sprachkunst eigen ist und das in einzelnen Texten dieses Autors sogar bis hinein in die verfremdete Silbe geht, macht seine Wortmeldungen glaubhaft und für den Leser vergnüglich. In einem Brief an den Schreiber dieser Zeilen begründet Christian Maurer diesen seinen Auswahlband, der mit ansprechenden Linolschnitten von Schülerinnen des Passauer Gisela-Gymnasiums illustriert ist, damit, er habe nicht gewollt, bloß als „Schwanengesang-Barde“ in das „(Kurzzeit-)Gedächtnis der Siebenbürger Sachsen“ einzugehen. Uns scheint, dass ihm das mit diesen seinen späten Gedichten gelungen ist.

Hannes Schuster


Christian Maurer: „Vom violetten Spuk. Balladeske & skurrile Verse“. Selbstverlag, Thyrnau 2013, ISBN 978-3-941425-66-8. Der Band ist erhältlich zum Preis von 15,00 Euro, einschließlich Versandspesen, bei Christian Maurer, Am Säumerweg 18 e, 94136 Thyrnau, Telefon: (0 85 01) 91 56 52.
Vom Violetten Spuk: Balladeske
Christian Mauerer
Vom Violetten Spuk: Balladeske & skurrile Verse

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Schlagwörter: Rezension, Lyrik, Ironie, Schauspieler, Hermannstadt

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Neueste Kommentare

  • 08.07.2013, 08:26 Uhr von orbo: Auch wenn das Wort "Pfarrdorf" unverständlich ist: Besten Dank für die anschauliche Rezension des ... [weiter]

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