17. Dezember 2013

Hermannstadt in Wort, Ton und Bild

Die Bildungsstätte „Heiligenhof“ in Bad Kissingen bot vom 15. bis 17. November etwa 70 Hermannstadt-Begeisterten die Möglichkeit zur Begegnung und angeregten Diskussionen über kulturgeschichtliche Aspekte der Stadt am Zibin. Studienleiter Gustav Binder war für den organisatorischen Rahmen zuständig und moderierte in lockerer, pointierter Manier die Seminarbeiträge.
In der Morgenandacht am Volkstrauertag stellte Altbischof em. Prof. Dr. Christoph Klein das Motiv der „tempi passati“, der Vergänglichkeit des Lebens, in den Raum, evozierte aber auch das Gefühl der Verbundenheit mit der Heimat, mit den Orten der Kindheit und wies darauf hin, wie bedeutsam ein rationaler Umgang mit der Geschichte und der Kultur der Siebenbürger Sachsen sei. In diesem Sinne erfolgte auch die Auswahl der Programmpunkte des Seminars. Die Vortragsreihe wurde am ersten Abend von Helmut Wolff (Pfarrer i. R., Bietigheim-Bissingen) mit einer interaktiven Power-Point-Präsentation zum Thema „Hermannstadt in alten Postkarten“ eröffnet. Ein Streifzug durch diese mittelalterliche Stadt faszinierte die Betrachter. Herr Wolff zeigte Postkarten mit Zeichnungen und Fotografien, auf denen die Plätze, das Rathaus, Befestigungsanlagen, Wehrtürme und die vielen Kirchtürme Hermannstadts – damals und heute – zu sehen waren. Ganz gleich, ob nach versteckten Winkeln der Ober- oder der Unterstadt gefragt wurde, die Anwesenden erkannten jedes Detail und konnten es der „Elisabethgasse“ oder dem „Schiffbäumel“ zuordnen. Der Samstagvormittag wurde von zwei jungen Historikerinnen bestritten. Julia Derzsi (Odorheiul Secuiesc) referierte über „Das Hermann-­ städter Spital in der Frühen Neuzeit“, indem sie die Entwicklung des „Siechenhauses“, das 1292 erstmals urkundlich erwähnt wurde, nachzeichnete und vor allem die Wirtschaftsstruktur dieser Wohltätigkeitsanstalt näher untersuchte. Im 16. und 17. Jahrhundert verfügte das durch Stiftungen finanzierte Hermannstädter Spital über ein beträchtliches Vermögen und wurde vom „Spitalsvater“ geleitet, der seine Einnahmen und Ausgaben in einer jährlichen Rechenschaftsablage akribisch dokumentierte. Aus diesen Quellen wissen wir auch, dass die Bedürftigen dort Unterkünfte und Lebensmittel erhielten, und dass in Pestzeiten neben der Jakobskapelle Almosen verteilt wurden. Das Siechenhaus hat bis heute als Wohltätigkeitsanstalt überlebt und fungiert nun als städtisches Altenheim.
Einen informativen und streckenweise sogar ...
Einen informativen und streckenweise sogar amüsanten Vortrag zu Hermannstadt und Wien im 17. und 18. Jahrhundert hielt die junge Budapester Historikerin Zsofia Szirtes. Foto: Konrad Klein
Über den Werdegang der Stadt am Zibin Ende des 17. und zu Beginn des 18. Jahrhunderts informierte die Historikerin Zsofia Szirtes (Budapest) mit dem Beitrag „Hermannstadt in Wien – Wien in Hermannstadt. Politik und Alltag der siebenbürgisch-sächsischen Hauptstadt am Anfang der Habsburgerherrschaft“. Während der Wirren der Türkenkriege (1683-1699) und auch danach, bei der Rückeroberung Ungarns, spielte Siebenbürgen eine strategische Rolle. 1687 war die Präsenz des kaiserlichen Generals Caraffa, des Fürsten Apafi und des Generals Scharffenberg mit Gefolge in Hermannstadt dokumentiert. Die Referentin erwähnte die diplomatischen Verdienste von Georg Klockner, Johannes Hosmann und das Verhandlungsgeschick von Johannes Zabanius, dem späteren Sachsencomes und Königsrichter Johannes Sachs von Harteneck. Die Anwesenheit der vielen kaiserlichen Soldaten und Offiziere in Hermannstadt führte zu beengten Wohn- und Arbeitsverhältnissen, sodass es – trotz der Treue der Sachsen zu den Habsburgern – zu politischen Spannungen kam. Sachs von Harteneck wurde vom Landtag wegen Hochverrats verurteilt und 1703 nach einem Schauprozess hingerichtet. Gleichwohl dürfen die kartografische Tätigkeit des Grenzkommissars Ferdinando Marsigli und die des Ingenieurs Giovanni Visconti nicht unerwähnt bleiben, die Hermannstadt ab 1699 vermessen haben und detaillierte Stadtpläne und eine Landkarte Siebenbürgens mit mehr als 1000 Ortsnamen hinterließen.

Der Nachmittag des zweiten Seminartages wurde von dem aus Hermannnstadt angereisten gemischten Chor Sälwerfäddem eingeläutet, dessen Auftritt in sächsischer Tracht mit einem bunten Repertoire von Liedern in sächsischer Mundart für eine optische und akustische Auflockerung des Programms sorgte. Der Bekanntheitsgrad mancher Lieder wie „De Astern“, „Et soß a kli wäld Vijelchen“ oder des Tanzes „Et wor amol a recklich Med“ weckte Erinnerungen und ermutigte viele mit einzustimmen. Unter der Leitung von Edith Toth setzte der Chor seine Darbietung mit mehreren humoristischen Liedern von Georg Meyndt fort, gab Abendlieder zum Besten und beendete sein Programm mit „Af deser Ierd“ – insgesamt ein Plädoyer auch für die zukünftige Pflege des sächsischen Liedguts. Nach dieser musikalischen Einlage rückte der Hermannstädter Junge Wald in das Zentrum der Aufmerksamkeit. Dr. Irmgard und Werner Sedler befassten sich mit der Entwicklung des Jungen Waldes „vom Erholungsort zum Freilichtmuseum“. Im 18. Jahrhundert wandelte sich die siebenbürgische Ständegesellschaft zur modernen Gesellschaft. Zunfttraditionen wurden außer Kraft gesetzt. Im Sinne der Sozialdisziplinierung befahl der Magistrat 1793 die Schließung aller Gast- und Kaffeehäuser um Mitternacht und ab 1815 war auch das Tabakrauchen und Musizieren auf den Straßen verboten. Es entstand eine neue Stadtkultur, ein neues ästhetisches Empfinden in aufklärerischer Manier und der „Verein zur Verschönerung der Stadt Hermannstadt“ öffnete seine Pforten. Nach dem Vorbild Wiens wurden Promenaden, Stadtparks und Seerosenteiche angelegt, man lustwandelte „Unter den Erlen“, tanzte und feierte auf der Wiese vor der Waldwirtschaft oder wohnte Theateraufführungen bei. Der Junge Wald war zu einem Kleinod der Hermannstädter geworden. Nach der Eingliederung Siebenbürgens in das Rumänische Königreich ab 1918 allerdings verloren ästhetische Kriterien ihre Bedeutung und das Existentielle wurde als primär angesehen. Der Architekt Czekelius erkannte in der Nachkriegszeit, dass die Sicherung siebenbürgisch-sächsischen Kulturguts mit Unterstützung rumänischer Wissenschaftler nötig war. In Zusammenarbeit mit dem Volkskundler Dr. Cornel Irimie und dem Architekten Dr. Paul Niedermaier gründete er im Jungen Wald eines der schönsten Freilichtmuseen Europas, das über 400 bauliche Einheiten und ein Zentrum für Restaurierungen verfügte, in dem bis heute Restaurateure ausgebildet werden. So ist es gelungen, die Sensibilität für sächsisches Kulturgut zu wecken und auch für nachfolgende Generationen zu erhalten.

Nach dem wissenschaftlichen Exkurs in das Naherholungsgebiet Hermannstadts kehrten wir wieder in die Altstadt zurück, die nun im Mittelpunkt einer belletristischen Darbietung stand: „Miniaturen – Lesung mit musikalischer Begleitung und Lichtbildern“ von Dagmar Dusil und Peter Szaunig (beide Bamberg) sowie Dr. Alfred Schuster (Clausthal). Wir begaben uns auf eine Fantasiereise, als Dagmar Dusil Kurztexte aus ihrem Buch „Hermannstädter Miniaturen“ vorlas. Wir waren wieder junge Romantiker und schlenderten über den Großen Ring und durch die Heltauergasse. Andrei Codrescu sagt im Nachwort des Buches treffend, dass Dusils Hermannstadt eine „Mischung aus Nostalgie, dem Déjà-vu vergangenen Lebens und der bewegten Gegenwart“ ist. Dr. Alfred Schuster, ein Hermannstadt-Experte, half unserer Erinnerung kulturhistorisch auf die Sprünge, indem er uns die Dächer und „Augen der Stadt“ aus der Vogelperspektive zeigte, uns die stattlichen Tore und Türme vergegenwärtigte und uns auf einem Spaziergang durch die alten Gassen, von der Kleinen Erde zur Neugasse, von der Burgergasse über den Kleinen Ring zum Generalloch mitnahm. Diese Zeitreise wurde von dem Pianisten und Komponisten Peter Szaunig musikalisch begleitet. Er interpretierte das „Adagio“ von Carl Filtsch, dem siebenbürgischen Wunderkind, von dem wir auch die Stücke „Nocturne“ und „Barcarolle“ zu Gehör bekamen, sowie „Tanz für Palucca“ und „Für Leli“ von Rudolf Wagner-Régeny. Von den synergetischen Effekten dieser interdisziplinären Vorstellung beseelt, begaben sich die Seminarteilnehmer anschließend in die Weinstube des „Heiligenhofs“, um den Abend gesellig bei einem Glas Wein ausklingen zu lassen.

Am Sonntagvormittag referierte Altbischof em. Prof. Dr. Christoph Klein nach der Morgenandacht anlässlich des 10-jährigen Jubiläums der Institution über die Geschichte des Teutsch-Hauses: „Das Begegnungs- und Kulturzentrum ‚Friedrich-Teutsch’ in Hermannstadt. Ort der Rettung und Bewahrung des siebenbürgisch-sächsischen Kulturerbes“. Um zu zeigen, welche zentrale Bedeutung das Teutsch-Haus für den Erhalt siebenbürgisch-sächsischen Kulturguts innehat, verwies Altbischof Klein auf die Symbolkraft des Teutsch-Denkmals vor der Evangelischen Stadtpfarrkirche in Hermannstadt. Es gehörte zu den großen Verdiensten von Bischof Dr. Georg Daniel Teutsch (1867-1893), dass er in einer Zeit, als die Sachsen ihr Selbstverwaltungsrecht verloren hatten (1867), die Evangelische Kirche zu einer „Volkskirche der Siebenbürger Sachsen“ ausgebaut hat – auch nachzulesen in Kleins Buch „Kirchen der Stadt – Stadt der Kirchen“ (hora-Verlag, 2007). 1899, sechs Jahre nach dem Tod des „Sachsenbischofs“, wurde sein Standbild vor der Evangelischen Stadtpfarrkirche enthüllt – in der linken Hand hält er die Bibel, mit der rechten aber stützt er sich symbolisch auf die Urkunden, die die Rechte und Privilegien der Sachsen dokumentieren, um deren Erhalt es immer schon erbitterte Kämpfe mit der österreichischen, ungarischen oder rumänischen Obrigkeit gab.

Der Sohn G. D. Teutschs, der Historiker und Stadtpfarrer Friedrich Teutsch, setzte das Lebenswerk seines Vaters fort und schuf die Voraussetzungen für die Grundsteinlegung des heutigen Teutsch-Hauses, das bei seiner Eröffnung im Jahr 2003 insgesamt 246 Gemeinde-Archivbestände, eine „Transylvanica“-Bibliothek, eine Schulbuchsammlung, 30 Nachlässe u.v.m. beherbergte. Das Teutsch-Haus besteht aus drei Modulen: dem Landeskirchlichen Zentralarchiv, dem Landeskirchlichen Museum und dem Begegnungstrakt „Erasmus-Bücher-Café“. Altbischof Klein beendete seinen Vortrag mit der Aufforderung an alle Zuhörer, die vielen wertvollen Kunstexponate, Zeugnisse unserer bewegten sächsischen Geschichte, zu besichtigen, und die zahlreichen kulturellen Veranstaltungen, die Teil der ökumenischen Öffentlichkeit Hermannstadts sind, zu besuchen. Die positive Resonanz in der Abschlussrunde zeigte erneut, dass der Heiligenhof in Bad Kissingen stets eine Reise wert ist.

Ulrike Rastel

Schlagwörter: Hermannstadt, Seminar, Bad Kissingen

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