7. April 2014

„Wie es einmal war, wird es nicht mehr, das ist vorbei“

Um eine Kulturlandschaft zu dokumentieren, reicht es nach Ansicht des Museologen Sören Pichotta nicht aus, Objekte zu sammeln. Deshalb hat er sich auf die Suche nach „authentischen Stimmen“ begeben. Die Idee, Angehörige der deutschen Minderheit in Rumänien zu interviewen, entstand durch die Projektarbeit bei der Evangelischen Akademie Siebenbürgen (EAS) in Hermannstadt. In insgesamt 27 Interviews schildern Siebenbürger Sachsen, Banater Schwaben, Deutsche aus der Dobrudscha, Bukowina, Sathmar u.a. ihr Schicksal in ihren ganz eigenen Worten. Pichottas ambitioniertes Buch „Schicksale. Deutsche Zeitzeugen in Rumänien. Lebensmut trotz Krieg, Deportation und Exodus“ erschien jetzt im Schiller Verlag. Es ist das Zeugnis einer Generation und rüttelt gegen das Vergessen auf.
Jedes Interview ist für sich die Geschichte eines Lebens: manchmal heiter, manchmal traurig, aber immer berührend. Sören Pichottas Buch ist gleichsam ein Abgesang. Ein Abgesang auf eine ganze Kultur, Tradition und Geschichte. Die Einsamkeit der Menschen lässt sich für den Leser schon nach ein paar Seiten fast mit den Händen greifen.

Vor jedem Interview steht ein kurzer Steckbrief zur befragten Person. Darin enthalten sind Geburtsjahr und -ort, der Familienstand, die Konfession und der Beruf. Fast alle Befragten sind auch mit einem kleinen Foto abgebildet. Pichotta erarbeitete, als Vorbereitung für sein umfangreiches Projekt, einen Fragenkatalog mit den biographischen Eckdaten, der Lebenswelt sowie dem Selbst- und Fremdbild, das die Deutschen in Rumänien haben. Zudem erörtert er Themenkomplexe wie das Bewusstsein als Minderheit und wie sich der Alltag damals und heute gestaltete. Viele Fragen beziehen sich auf historische Ereignisse. Abschließend sollten die befragten Personen ihre heutige Situation beschreiben, warum sie nicht ausgewandert sind, und ihren Blick auf Deutschland schildern.

In den meisten Fällen wurde nicht der gesamte Fragenkatalog durchgegangen, sondern es wurden vielmehr bestimmte Ereignisse behandelt. So nimmt die Erfahrung der Deportation in vielen Berichten einen großen Raum ein. Sehr detailliert und eindrucksvoll berichtet beispielsweise Hedda Katharina Vlad aus Marienburg, bei Schäßburg, über ihre Deportation und auch über die Menschen, die versuchten, sie vor diesem Schicksal zu bewahren. Sie beschreibt das Grauen in einfachen Worten und trifft den Leser ins Herz.

Auch die Frage nach dem Brauchtum, der Kultur und Tradition wird in einigen Interviews ausführlich behandelt. Reinhard Beer aus Wolkendorf spricht über Trachten, Nachbarschaften und Osterspritzen. Seine Schilderung, wie die jungen Männer die Mädchen mit Parfüm bespritzen, wirkt lebendig. Er bedauert es sehr, dass seit der Wende dieser Brauch in seiner ursprünglichen Form nicht mehr stattfindet, da die meisten aus seinem Dorf nach Deutschland gegangen sind. Deshalb werden die Parfümfläschchen nun zum Gottesdienst mitgebracht und anschließend wird gespritzt. Dabei zeigt sich, wie sich alte Bräuche den neuen Lebensumständen angepasst haben, ohne völlig verloren zu gehen.

Anneliese Pitter wurde 1942 in Großpold geboren und lebt auch heute noch dort. Sie beschreibt das Prinzip der Nachbarschaften, z.B. den Versöhnungstag zu Fasching und die Geldstrafen, die man an den Altnachbarn zahlen musste, wenn man beispielsweise nicht zu einem Begräbnis gegangen war. Die Nachbarschaft förderte den Gemeinsinn und den Zusammenhalt innerhalb der siebenbürgisch-sächsischen Bevölkerung. Dennoch haben nicht alle Befragten viel für derlei Traditionen und Bräuche übrig.

Es fällt auf, dass die Befragten ein und denselben Sachverhalt unterschiedlich wahrnehmen. Juta Adams beispielsweise kritisiert, dass sich die Siebenbürger Sachsen nach außen abgrenzen. Anderen Schilderungen zufolge sind die Siebenbürger Sachsen zwar unter sich geblieben, aber die alten Strukturen wurden im Kommunismus erheblich aufgeweicht. Viele der Interviewten sind oder waren mit Ungarn oder Rumänen verheiratet, obwohl Mischehen zunächst nicht gern gesehen wurden. Gerade in der Ära des Kommunismus wird der Wandel, den die deutsche Minderheit durchlebt hat, deutlich. Es wird öfters berichtet, dass man sich nicht mehr wagte, deutsch zu sprechen. Katharina Pavel aus Bukarest sprach erst nach der Wende wieder offen deutsch. Ihren Kindern brachte sie die Sprache jedoch nicht bei, aus Angst vor Repressalien. Sie fühlte sich ausgestoßen. Nachbarschaften gab es nicht mehr und auch keine Gemeinschaft. „Ich habe gewusst, dass es noch Deutsche gibt, aber in der kommunistischen Zeit haben wir uns nicht groß gezeigt.“

Ein weiterer Schwerpunkt der Interviews ist die Religion. Der Gegensatz zwischen dem katholischen und evangelischen Glauben skizziert Gertrude Vansurec aus Itzkany in der Bukowina recht unterhaltsam. Aus den Schilderungen von Siebenbürger Sachsen wird deutlich, welchen großen Raum der Glaube innerhalb der Gemeinschaft eingenommen hat.

Das Selbstbildnis der deutschen Minderheit in Rumänien ist bei fast allen Befragten das gleiche. Deutsche sind ordentlich und pünktlich, sie lügen und stehlen nicht. Die Rumänen, und da ist man sich ebenfalls weitestgehend einig, lernen von den Deutschen zu wirtschaften und Ordnung zu halten. Es gibt aber auch kritische Töne. Alies Simion sieht die Sachsen ebenfalls als arbeitsam, fleißig und ehrlich, aber auch auf eine Art ein wenig verschlagen und nicht so gutmütig und großzügig, wie behauptet wird. Immer wieder werden Vorurteile der Sachsen gegenüber den Banatern und umgekehrt deutlich, und es entsteht der Eindruck eines nicht zu überwindenden Gegensatzes.

Abschließend werden die Menschen nach ihrer Heimat befragt. Viele beklagen den Wandel und das Niedergehen des Deutschen in Rumänien. Sie alle haben sich für das Hierbleiben entschieden und begegnen denen, die gegangen sind, häufig mit Misstrauen und teils auch offener Ablehnung. Die Gründe für das Dableiben sind vielfältig. Einigkeit besteht vor allem in der Wehmut über das Ende einer ganzen Volksgeschichte. Oft angesprochen wird auch, dass in Deutschland offenbar keiner über die deutsche Minderheit in Rumänien Bescheid weiß. Sehr empört und treffend formuliert dies Katharina Schütz: „Die Deutschen kennen die Geschichte der Deutschen nicht.“

Den Heimatbegriff fassbar zu machen, versucht Martin Gohn. Er beschreibt seine Heimat als etwas, was Urgroßeltern, Großeltern und Eltern für einen erarbeitet haben. Für jeden der befragten Personen ist Heimat etwas Substantielles und sehr Persönliches.

Pichottas Ziel, Traditionen und Alltag durch Interviews „in die Erinnerung und Geschichtsschreibung zurückzuholen“ und eine Quellensammlung zu schaffen, ist ambitioniert. Es ist fraglich, ob er diesem Anspruch gerecht wird. Letztlich sind diese Interviews quellentechnisch kritisch zu betrachten, wie beispielsweise auch Autobiographien. Durch den Verzicht, die Interviews zu kommentieren, eventuell ungenaue oder falsche Aussagen zu revidieren, sind geschichtlich exakte Wiedergaben nicht zu erwarten. Den Menschen, die Pichotta in seinem Buch zu Wort kommen ließ, wird er, abseits des wissenschaftlichen Anspruches, durchaus gerecht.

Sarah Hummler


Sören Pichotta: „Schicksale. Deutsche Zeitzeugen in Rumänien. Lebensmut trotz Krieg, Deportation und Exodus“, Schiller Verlag, Hermannstadt/Bonn 2013, 294 Seiten, 15,85 Euro, ISBN 978-3-941271-90-6. Das Buch kann beim Büchercafe Erasmus bestellt werden.
Schicksale - Deutsche Zeitzeugen in Rumänien
Sören Pichotta
Schicksale - Deutsche Zeitzeugen in Rumänien

Hermannstadt/Bonn, Schiller Verlag
23,5 x 14,5 cm
294 Seiten
EUR 15,85 (+ Versandkosten)
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Schlagwörter: Buch, Zeitzeugen, deutsch-rumänische Beziehungen

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