24. April 2014

„Achtsam ortet man das Wort“: Ilse Hehn setzt sich mit der Securitate auseinander

Einen Weg zu finden, indem die „Waffen der Kunst“ sprechen, um die eigene Vergangenheit zu verstehen und aufzuarbeiten, diese Form der Bewältigung wählte Ilse Hehn in ihrem Buch „Irrlichter. Kopfpolizei Securitate. Gedichte, Notate, Collagen, Malerei.“
Eine künstlerische Auseinandersetzung in Wort und Bild mit dem Schrecken der rumänischen Sicherheitsbehörde, der Securitate. Ilse Hehn geriet 1976 in das Fadenkreuz der Securitate, als sie sich der Autorenvereinigung Die Kogge anschloss. Als Hehn 2011 ihre Akten einsehen konnte, fand sie ihre ganz eigene Form der Aufarbeitung.

Ilse Hehn wurde 1943 in Lowrin im Banat geboren. Nach ihrem Studium der Bildenden Kunst an der West-Universität Temeswar unterrichtete sich an den deutschen Gymnasien in Mediasch Kunst und Kunstgeschichte. Ihr Erstlingswerk „So weit der Weg nach Ninive“ erschien 1973. Neben ihrer Mitgliedschaft in der Kogge war sie, wie schon Herta Müller, Teil des Temeswarer Literaturkreises „Adam-Müller-Gutenbrunn“. Ihre Gedichte wurden in mehrere Sprachen übersetzt, unter anderem ins Japanische.

Ihr Bildband besteht aus zwei Teilen. Während sich vor allem letzterer mit der Securitate beschäftigt. Bei einigen ihrer Gedichte und Bildkompositionen wird der Eindruck einer Welt erweckt, wie sie schon George Orwell in „1984“ schuf. Die Kopien ihrer Akten verfremdete Hehn mittels Malerei und Collagen. Die „Fangarme“ der Securitate stellte sie in Form eines Kraken dar, der die ganze Akte einfängt.

Düsternis und Beklemmung verspürt man bei den meisten Seiten des Bildbandes, beim Lesen der Gedichte und dem Betrachten ihrer Bilder. Das Gedicht „Überwacht“ („Der Verdacht / Da geht jemand hinter dir / in deinem Kopf“) verdeutlicht, dass es die Securitate nicht nur vermochte, in das Leben eines Menschen einzudringen, sondern in Teilen auch in seine Gedankenwelt.

Die Erkenntnis, von Freunden und Bekannten bespitzelt worden zu sein, findet ihren Niederschlag in der Kunst Hehns. Ein Bild, das sie ebenfalls wieder über eine ihrer Akten zeichnete, zeigt einen Menschen, der offensichtlich nackt, wehrlos und verängstigt auf dem Boden liegt. Unweigerlich drängt sich die Frage auf, ob es wohl Hehn ist, den der Betrachter dort liegen sieht.

Die Securitate verstärkte die Maßnahmen, nachdem Die Kogge 1987 Hehn gebeten hatte, einen Beitrag zum Thema „Das verfolgte Wort“ zu verfassen. Teile ihrer Gedichtsammlung, die im Band „Das Wort ist keine Münze“ erschienen, wurden zensiert. Doch erst 1992 reiste Hehn schließlich nach Deutschland aus und arbeitet heute unter anderem als Kunstdozentin in Ulm.

Der Bildband Ilse Hehns bewegt den Betrachter und zeigt auf, dass trotz des Niedergangs des Ceaușescu-Regimes dessen Folgen heute immer noch spürbar sind. Die Opfer der Securitate müssen ihren Weg der Bewältigung selbst finden, Hehn nahm den künstlerischen und zeigte der Welt die Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Biografie.

SH


Ilse Hehn: „Irrlichter. Kopfpolizei Securitate. Gedichte, Notate, Collagen, Malerei“. Bilinguale Ausgabe, rumänische Übersetzung: Marlen Heckmann Negrescu, Gerhard Hess Verlag, Bad Schussenried 2013, 92 Seiten, 28,00 Euro, ISBN 978-3-87336-438-7.

Schlagwörter: Buchvorstellung, Kunst, Lyrik, Securitate

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