8. Mai 2014

Große Bereicherung für Minoritätenforschung: Dissertation über den Politiker Hans Otto Roth

Es ist erstaunlich, dass wir jetzt erst die erste wissenschaftliche Biografie Hans Otto Roths in den Händen halten, obwohl er ohne Übertreibung als der einflussreichste siebenbürgisch-sächsische Politiker des 20. Jahrhunderts gelten kann. Thomas Frühmessers Würzburger Dissertation schließt daher eine wichtige Lücke in der sächsischen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Der Autor stellt den homo politicus Roth ins Zentrum seiner Untersuchung. Um dessen politisches Handeln und Ziele nachzuzeichnen, zieht Frühmesser den Briefwechsel, Denkschriften und Eingaben aus dem Nachlass, Tagebücher und Erinnerungen von Zeitgenossen (etwa der Bischöfe Viktor Glondys und Friedrich Müller) und Archivalia aus Deutschland sowie Rumänien heran.
Die Arbeit besteht aus drei Teilen: Im ersten werden Roths Werdegang und Politisieren bis 1932 dargestellt. Im zweiten Teil behandelt Frühmesser Roths politische Strategien zwischen 1933 und 1945 und im dritten untersucht er die Hetzkampagnen gegen Roth sowie seine politische Marginalisierung nach 1945. Den Abschluss der Arbeit bildet ein Anhang, bestehend aus dreizehn Schriftstücken, die zumeist von Roth entworfene politische Reden und Programme sind.

Hans Otto Roths Eintritt in die Politik fällt mit dem Zerfall der Österreichisch-Ungarischen Monarchie zusammen und geht mit der Mediascher Anschlusserklärung 1919 einher. Er war eine der treibenden Kräfte für die Erklärung, die letztlich nur eine symbolische Bedeutung hatte, denn der Anschluss Siebenbürgens an Rumänien wäre in Paris auch dann beschlossen worden, wenn sich die sächsische politische Elite dagegen ausgesprochen hätte. Die Erklärung war somit Ausdruck einer pragmatisch-realpolitischen Einstellung, deren Alternative nur in einem sinnlosen Heroismus bestanden hätte. Frühmesser arbeitet im ersten Kapitel deutlich Roths Bemühungen um eine adäquate Berücksichtigung der legitimen Minderheiteninteressen der knapp 800000 Deutschen des Landes durch die rumänische Gesetzgebung heraus. Er zeichnet dabei das Bild eines wertkonservativen Politikers, der sich in unzähligen Denkschriften und Gesprächen auf der nationalen wie der internationalen Ebene für die Belange der Deutschen Rumäniens einsetzte. Was ihn dabei von den anderen sächsischen und schwäbischen Politikern unterschied, bezeichnet Frühmesser als eine „Kombination aus politischem Weitblick und Pragmatismus“ (S. 54). Damit meint er Roths Fähigkeit, die politischen Konsequenzen einer Entscheidung von den eigenen Erwartungen, Gefühlen und Wünschen unbeeinflusst erkennen zu können. Im Falle umstrittener Themen ging das mit der Option für jene Entscheidung einher, die am ehesten und schnellsten erreichbar war.

Ging es in den 1920er Jahren vorrangig um schulpolitische und wirtschaftliche Fragen, mit welchen sich Roth beschäftigen musste, so nahm ab Ende dieses Jahrzehnts die Bedeutung des völkischen Gedankens eine immer größere Rolle in den politischen Auseinandersetzungen ein. Hierbei stellt Frühmesser zum einen als eine Schwachstelle Roths dessen fehlende soziale Basis heraus. Woher sollte er von den drückenden wirtschaftlichen und sozialen Problemen der Rumäniendeutschen erfahren, wenn er selbst kaum authentischen Kontakt zu den sozial schwächeren Bevölkerungsteilen besaß? Zum anderen stellt der Biograf ab 1928 einen allgemeinen Wandel und eine Enttäuschung im Verhältnis zum rumänischen Staat fest, die er leider nicht ausführlicher belegt. Bezüglich Roths eigener Haltung betont Frühmesser eine im Laufe dieser Zeit immer stärkere Hinwendung zu Fragen des Deutschseins und des deutschen Nationalbewusstseins. Zugleich erwähnt er in seiner Untersuchung mehrfach, dass die Reden und Aussagen Roths in Deutschland häufig nationaler und ethnozentrischer gefärbt waren als in Siebenbürgen. Insgesamt hieß Roth aber Ende der 1920er Jahre ­offenbar eine großdeutsche Politik unter Einbeziehung Österreichs gut, weil er sich davon eine positive Auswirkung auf das Schicksal der rund zwölf Millionen Deutschen Osteuropas erwartete.
Hans Otto Roth, 1922 ...
Hans Otto Roth, 1922
Im zweiten Teil seiner Biografie untersucht Frühmesser diese durchaus ambivalente Haltung Roths gegenüber dem „Dritten Reich“ und dem Nationalsozialismus. Dabei geht er zuerst auf Roths Unterredung mit Adolf Hitler am 15. Juni 1933 ein, die Roth in seiner Funktion als Präsident des „Verbandes der deutschen Volksgruppen“, also der Dachorganisation und Interessenvertretung der deutschen Minderheiten Osteuropas, führte. Roth sollte im Auftrag der Verbandsleitung Hitler darauf aufmerksam machen, dass sich die antisemitischen Maßnahmen des Reiches negativ auf die Behandlung der deutschen Minderheiten auswirken könnten. Auf Hitler machten Roths Ausführungen freilich keinen besonderen Eindruck und er verteidigte jene Maßnahmen. Roth hingegen scheint spätestens nach diesem Gespräch Hitler und den NS-Politikern gegenüber eine instinktiv ablehnende Haltung entwickelt zu haben. Kaum drei Monate nach seiner Unterredung mit Hitler sprach Roth auf dem Europäischen Nationalitätenkongress in Bern gleich dreimal über das Recht der Nationalstaaten auf „Dissimilation“, also die Ausgliederung und Entfernung von Minderheiten aus den Reihen der Mehrheit. Dabei ging es um das „Dritte Reich“ und dessen diskriminierende Politik gegenüber den jüdischen Deutschen. Roths Reden verdeutlichten seine Inkonsistenz, denn in seiner ersten Rede sprach er den Staaten dieses Recht auf Dissimilation noch zu. In der dritten vertrat er dagegen den Standpunkt, dass „es keine nationalen Staaten geben kann und darf, die aufgebaut sind auf dem Untergang und der Vernichtung anderer Volkstümer, die in ihren Staaten leben!“ (S. 133). Roths Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus und dem „Dritten Reich“ muss vor dem Hintergrund von solch widersprüchlichen Äußerungen als inkonsequent bezeichnet werden. Konsequent war lediglich sein vorzeitiger Rücktritt vom Vorsitz der deutschen Volksgruppen 1935, was laut Frühmesser durchaus als stummer Protest gegen manche innenpolitische Maßnahmen des Reichs gedeutet werden kann. Zur nationalsozialistischen Bewegung innerhalb der deutschen Minderheit verhielt sich Roth überwiegend und zunehmend reserviert. Er teilte weder deren Radikalität, noch fand er den Import nationalsozialistischen Gedankenguts in Siebenbürgen gut. Dies führte schließlich Ende der 1930er Jahre zum eindeutigen Bruch selbst mit Fritz Fabritius, der noch nicht einmal der radikalste Nationalsozialist war. Der zunehmende außenpolitische Erfolg des „Dritten Reichs“ hatte aber nicht nur den Aufstieg der Radikalen zur Folge, sondern ging mit der politischen Marginalisierung Roths einher. Anhand von zwei Beispielen (Rücktritt von Bischof Glondys bzw. Wahl des neuen Bischofs Wilhelm Staedel) zeichnet Frühmesser Roths Versuche nach, gegen die Marginalisierung und die komplette Übernahme der Führung der Rumäniendeutschen durch die Nationalsozialisten anzukämpfen. Dabei sind sowohl die Verhaltensweise Roths etwa im Falle Glondys als auch seine Wortwahl als Landeskirchenkurator etwa bei der Einsetzung Staedels zumindest ambivalent und als vom NS-Zeitgeist beeinflusst zu nennen. Das zeigt eben den Spagat auf, den ein konservativer Politiker damals vollbringen musste, wollte er nicht jeglichen Einfluss auf die Politikgestaltung verlieren.

Im dritten Kapitel von Frühmessers Untersuchung verdienen zwei Aspekte besondere Aufmerksamkeit. Zum einen sind es die Anstrengungen Roths, sich nach dem Frontwechsel Rumäniens für den Verbleib der Sachsen in Siebenbürgen einzusetzen und sich 1944/45 gegen die Entrechtung der Deutschen des Landes zu stemmen. Zum anderen stellt Frühmesser mehrere Hetzkampagnen gegen Roth dar, die nicht nur von kommunistischer Seite erfolgten, sondern woran auch ehemalige Kampfgefährten wie Rudolf Brandsch oder Viktor Glondys beteiligt waren. Diese Angriffe mündeten schließlich in eine konzentrierte Aktion, an der der rumänische Geheimdienst und seine sächsischen Mitläufer (Erhard Andree und Adolf Fuß) beteiligt waren. Dabei ging es bereits um die Destruktion des bürgerlichen Rückgrates einer ethnischen Minderheit zur Durch- und Einsetzung kommunistischer Personen und Ideen. Als Opfer solcher Angriffe starb Roth am 1. April 1953 im Gefängnis von Ghencea.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Frühmessers Dissertation eine spannend, und in der Argumentation sowie den Wertungen nachvollziehbar geschriebene Politikerbiografie ist. Über die politische Leistung Hans Otto Roths ist damit zwar noch nicht das letzte Wort gesprochen, denn aus der Sicht des Rezensenten werden mehrere wichtige Themen in der Biografie nicht untersucht (Roths Haltung den Juden gegenüber bedarf einer noch genaueren Analyse; ein Vergleich Roths mit anderen deutschen Minderheitenpolitikern wie Ewald Ammende, Paul Schiemann oder Eduard Pant wäre aufschlussreich für Roths Einbettung gewesen; auf Roths Zusammenarbeit mit den anderen Minderheiten Rumäniens und seine Rolle im Minderheitenblock 1927/1928 wird überhaupt nicht eingegangen). Die falsche Schreibweise von Namen (Manuela statt Martin Scheuermann) und Begriffen („Transylvanismus“ statt „Transsilvanismus“ in der Angabe von Zsolt K. Lengyels Dissertation) legt nahe, dass in der Bibliografie manche Werke aufgeführt werden, deren Spuren man im Haupttext deswegen nicht findet, weil sie auch nicht benutzt worden sind. Ärgerlich am Buch sind zudem einige formale Aspekte wie etwa die Hinweise in den Fußnoten auf angeblich im Anhang befindliche Quellen, die es dort aber nicht gibt (vgl. S. 39, 67, 237). Dennoch stellt die Arbeit insgesamt eine große Bereicherung für die Minoritätenforschung dar, weil sie exemplarisch die Möglichkeiten und Grenzen einer Minderheitenpolitik im Zeitalter der Extreme untersucht und erläutert. Roth kann dabei als Musterbeispiel eines wert- und nationalkonservativen Minderheitenpolitikers gesehen werden, der seinen Überzeugungen über Jahrzehnte hindurch weitgehend treu geblieben ist, aber von ideologischen Extremisten je nach politischer Konstellation mal als zu weit „links“, mal als zu weit „rechts“ stehend wahrgenommen wurde. Dabei ist Roth seinem Wertesystem treu geblieben, aber die politischen Systeme haben sich geändert. Trotz der obigen Mängel darf das Buch in keinem Haushalt fehlen, in dem Interesse an der sächsischen Geschichte des 20. Jahrhunderts besteht.

Franz Sz. Horváth




Thomas Frühmesser: „Hans Otto Roth. Biographie eines rumäniendeutschen Politikers (1890-1953).“ Böhlau Verlag, Köln-Weimar-Wien, 2013, 44,90 Euro, ISBN 978-3-412-21026-7.

Schlagwörter: Roth, Politiker, Dissertation

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