8. Juni 2014

Pfingsten in Draas: Sächsische Bauernherrlichkeit anno 1914

Anmerkungen zu einem nicht nur trachtenkundlich bemerkenswerten Bild von Hermann Morres
Als der junge Kunstkritiker Hans Wühr auf die malerischen Fähigkeiten von Hermann Morres zu sprechen kam, war er nicht zimperlich in der Wortwahl. Anlass dazu hatte eine persönliche Ausstellung des Künstlers 1924 im Kronstädter Eislaufpavillon geboten, wo auch das Bild einer Gottesdienstfeier in einer sächsischen Kirche hing (der Titel wird nicht erwähnt): „Bauern und Frauen und Kinder sitzen in den Bänken. Akkurat wie leblos sitzen sie da, wie Wachsfiguren in einem Trachtenmuseum, kein Strich, kein Hauch von Leben, kein Funke von Geist, alles stumpf und tot. Das einzige Bild in dieser Ausstellung, das erfrischend und wirklich erfreulich gewirkt hat, war eine junge Dame, die Eintrittskarten verkaufte.“ Aber man könne, fuhr der zornige Kritiker fort, Morres „noch überbieten“, und das sei bei der Malerin Henriette Bielz der Fall. Ihre Bilder seien jedes einzelne ein „Triumph der Talentlosigkeit“. Alles nachzulesen in Zillichs Klingsor, Heft 6/1924.

Das Bild, das Wühr so verrissen hatte, ist – wie ich heute weiß – das anbei abgebildete. Wenn man Morres an Malern wie Leibl, Csók, Fritz Schullerus oder am eigenen Vetter Eduard Morres misst, hat er natürlich recht. Einen eigentümlichen Sog entwickelt Morres‘ Pfingstfeier-Gemälde mit seinem strengen, fast zentralperspektivischen Aufbau gleichwohl. Festgehalten hatte der Maler die versammelten Dorfbewohner beim gemeinsamen Singen – sicher auch in Anspielung auf jene mittelalterlichen Pfingstdarstellungen, in denen der Heilige Geist auf die „einmütig beieinander“ sitzenden Mitglieder der Urgemeinde herabkommt. Allein schon deshalb wäre es unangemessen, die nachgerade byzantinisch-streng erfassten Gottesdienstbesucher – die Kopftücher der Frauen lassen an die Heerscharen ostkirchlicher Märtyrer mit ihren Nimben denken – als leblose Wachsfiguren zu bezeichnen. Zu viel Lebendigkeit bei sächsischen Gottesdienstfeiern war sicher noch nie das Problem.

Was indes den Bildbesitzer Erwin Kraus und dann auch mich mehr beschäftigte als der künstlerische Wert des Gemäldes, war die Frage nach der Dorfkirche, in der sich die säulengestützte Empore („Gater“) mit der auffälligen Sonnentür im Hintergrund befindet. Fest stand nur, dass es sich um eine Kirche in der Repser Gegend handeln muss, weil Emporen dieser Art hier typisch sind. Aber hatten wir es überhaupt mit einem real existierenden Kirchenraum zu tun oder war dem Maler nichts an dokumentarischer Richtigkeit gelegen?
„Komm, o komm, du Geist des Lebens“: Pfingstfeier ...
„Komm, o komm, du Geist des Lebens“: Pfingstfeier in Draas, gemalt 1914 von Hermann Morres. 96 x 130 cm, signiert unten links HMorres (ligiert). Familienbesitz Kraus-Stephani, Freudental. Foto: Konrad Klein
Erst durch Heranziehen von älteren Fotos wurde klar, dass die hübsch bemalten Emporen mit den gezahnten Zierbrettern aus der Kirche in Draas stammen. Ähnlich wie Eduard Morres, der mehrere Malaufenthalte zwischen 1912-14 im geliebten, nicht weit entfernten Deutsch-Weißkirch verbrachte, zog es auch den in Kronstadt als Zeichenlehrer wirkenden Hermann Morres in den Ferien in die damals noch weitgehend heile Welt der burzenländischen Dörfer (Nußbach) und jene der Repser Gegend (Draas, Deutsch-Weißkirch).

Eine Überprüfung vor Ort wäre heute ohnehin nicht mehr möglich, weil sich das Kircheninnere von Draas in einem völlig desolaten Zustand befindet (siehe nebenstehendes Foto, das mir Wilhelm Roth freundlicherweise zur Verfügung stellte; das ORWO-Dia stammt noch aus seiner Tonbildschau „Kunsthistorische Führung im Repser Land“ aus den Jahren um 1980). Mit dem Bild von Hermann Morres besitzen wir die meines Wissens einzige farbige Darstellung der noch intakten Inneneinrichtung der nicht zuletzt für ihre Schreinermalerei berühmten Draaser Kirche – und das mit Gottesdienstteilnehmern im Festgewand; eine Farbigkeit, die noch frei ist von jedem Folklorismus und späterer Volkstümelei.
Innenraum der Kirche in Draas mit der ...
Innenraum der Kirche in Draas mit der auffallenden Holztür im Westportal (um 1980). Die historischen Ausstattungsstücke wurden wegen archäologischen Grabungen in der Kirche 1972 eingelagert und später in Großscheuern aufgestellt. Foto: Wilhelm Roth
Mit Hilfe eines Artikels von Heidemarie Gusbeth, der aus Anlass des 85. Geburtstags des Künstlers erschienen war (vgl. Karpatenrundschau vom 22. Mai 1970) konnte ich anhand eines dort angeführten Bildtitels sogar feststellen, dass das Gemälde keine normale Gottesdienstfeier, sondern den Festgottesdienst an Pfingsten darstellt: „Pfingsten in Draas (1914)“. Auch in einem Artikel von Horst Schuller in der Karpatenrundschau vom 17. Mai 1985 wird es – zusammen mit einer „Bockelung in Urwegen“ von 1924 (Samml. Christel, Offenburg) – als Beispiel für seine ethnographischen Bilder genannt. Der Pfingstsonntag fiel 1914 auf den 31. Mai. Keine zwei Monate später brach der Erste Weltkrieg aus, der auch 18 Draaser Burschen das Leben kostete und an dessen Ende das gute alte Europa in Trümmern lag.

Kaum bekannt ist, dass die Draaser während des Ersten Weltkrieges ihr berühmtes, in der Kirche aufbewahrtes „Schwert der Einwanderer“ vergruben, so dass es alle Kriegswirren heil überstand. Während des Zweiten Weltkriegs freilich, bei der Evakuierung der Gemeinde im September 1944, ging die wohlbehütete Reliquie unter bis heute nicht restlos aufgeklärten Umständen verloren. Und mit ihr die alte Sachsenherrlichkeit der einst so stolzen Draaser.

Konrad Klein


PS: Auf Initiative des Großscheuerner Pfarrers Hermann Kraus wurden die wertvollen Draaser Holzmalereien Ende der 1970er Jahre in die landeskirchliche Restaurierungswerkstatt nach Kronstadt gebracht, wo sie Ursula Brandsch und Anneliese Kocsis unter der Leitung von Gisela Richter auffrischten. Danach kamen die Brüstungstafeln der Emporen (einschließlich der Orgelempore 1637) und Teile der Wandverkleidung nach Großscheuern. Bereits 1970 brachte man die Draaser Orgel nach Reps, während die Kanzel mit ihren anrührenden Erbauungsbildern in Tartlau einen neuen Platz fand. Als man auch die Glocke abhängen wollte, bestand die letzte Sächsin von Draas darauf, dass dies erst nach dem Ausläuten ihres Todes erfolgen solle.

Schlagwörter: Gemälde, Pfingsten, Draas, Kirche

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  • 10.06.2014, 11:30 Uhr von SBS aus BW: Danke, Herr Klein. [weiter]
  • 08.06.2014, 09:48 Uhr von Lee Berta: Schöner, informativer, von Wehmut getragener Artikel. Ein Text, in dem das Sujet gewissermaßen ... [weiter]

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