31. Juli 2014

Besichtigung einer untergegangenen Welt

Zur Neuerscheinung „Habsburg. Bibliothek einer verlorenen Welt“ von Richard Wagner
Richard Wagner ist vielen Lesern des deutschsprachigen literarischen Raumes gut bekannt. 1952 in Lowrin im Banat geboren, ist Wagner Journalist und Schriftsteller. Er war in den 1970er Jahren Mitglied der Aktionsgruppe Banat, reiste 1987 mit seiner damaligen Frau Herta Müller aus und lebt in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Gedichte, Erzählungen, Romane, Essays und Kritiken. Bekannt geworden ist er besonders durch die lesenswerten Romane Miss Bukarest (2001), Habseligkeiten (2004) und Das reiche Mädchen (2007). Zusammen mit Thea Dorn veröffentlichte Wagner 2011 bei Knaus in München eine Sammlung von Essays mit dem Titel Die deutsche Seele. Kürzlich erschien bei Hoffmann und Campe der 240 Seiten umfassende Textband Habsburg. Bibliothek einer verlorenen Welt. Darin stellt Wagner zu Beginn das Leitmotiv seiner Publikation vor: „Wie viel Vergangenheit braucht eine Gesellschaft, wie viel Gegenwart weiß sie sich zu verschaffen? Wie viel Zukunft billigt sie sich zu?“.

Mehr als 70 Essays, Kurzgeschichten, Porträts, meditative Betrachtungen und sogar Rezepte, mehrheitlich aus der österreichischen kulinarischen Welt (z.B. für Doboschtorte, Quark-Pogatschen und Mohnstrudel) umfasst das Buch. Es sind Texte über die Wiener Kaffeehäuser, Sigmund Freuds Couch, über Schriftsteller wie Franz Kafka, Robert Musil und Joseph Roth, über Kaiser, Könige und Vampire, usw. Richard Wagner führt den Leser durch die Seelenlandschaft Mitteleuropas. Eine fiktive Bibliothek, ein Bibliothekar, der zur Besichtigung einer untergegangenen Welt bittet, die immerhin fünf Jahrhunderte überdauerte, durchziehen das Buch. Wer der Einladung des Bibliothekars folgt, stößt auf historische und literarische Fundstücke, die ein vielstimmiges Bild der Donaumonarchie kennzeichnen und auch heute noch Gültigkeit haben. Zahlreiche, meist historische Bilder lockern die Texte auf. Man kann die Essays am Stück, aber auch einzeln lesen, jedes ist inhaltsreich, oft auch erheiternd, z.B. die Nennung aller Titel, die Kaiser Franz Joseph führte. Und dass Habsburg immer noch präsent ist, bemerkt Wagner auch, indem er György Konrad zitiert: „Das Reich lässt sich nicht zurückdrängen“. Der Mythos Habsburg in wohl zahlreichen Bereichen der kulturellen Welt Mitteleuropas ist immer wieder zu spüren, nicht nur bei der Auflistung von Zitaten bekannter Literaten wie Kuśniewicz, Liviu Rebreanu, Jaroslav Hašek und Sandor Márai. Etwas Nostalgie spürt man immer wieder durch, z.B. in folgendem Text: „Es muss eine Zeit gegeben haben, in der der Sinn noch Bestand hatte. Das war wohl kurz bevor die Nationalisten kamen, die Faschisten und die Kommunisten, die Demokraten und die Undemokraten …“. Ein Text bespricht den Bistritzer Buchdrucker Gustav Zikeli, dessen Memoiren 1989 erschienen sind. Auf Seite 190 schreibt Wagner zum Titel Siebenbürgen Folgendes: „Siebenbürgen wird von drei konkurrierenden ethnischen Gruppen für die kollektive Imagination in Anspruch genommen: Rumänen, Deutsche, Ungarn. Sie wissen zwar um ihre Gemeinsamkeiten, schmücken aber ihre Alleingänge aus …“. Am Ende ein weiteres Zitat aus der Feder des ungarischen Geschichtsphilosophen Jenö Szücs: „Mitteleuropa – das ist wohl der gesamte Donau-Karpatenraum – ist der Übergangsraum von der westlichen Innovation und Dynamik zur östlichen Zeitlosigkeit und Sakralität“. Auch wenn schon zum Thema Habsburg zahlreiche Bücher erschienen sind – z.B. Ernst Trost „Das blieb vom Doppelalder“ – ist Richard Wagners Textband lesenswert.

HvK


Richard Wagner: „Habsburg. Bibliothek einer verlorenen Welt“, Hoffmann und Campe, Hamburg 2014, 240 Seiten, 27,99 Euro, ISBN 978-3-455-50306-7
Habsburg: Bibliothek einer ver
Richard Wagner
Habsburg: Bibliothek einer verlorenen Welt

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Schlagwörter: Buch, Wagner, Donaumonarchie

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