27. August 2014

Abseits aller Pfade: Mit Dieter Auner bei den Hirten in den Ostkarpaten

Rumänien, und damit auch unsere dort gelegene siebenbürgische Heimat, scheint es unschwer zu schaffen, eine schlechte Presse zu bekommen. Eine sich als weitgehend korrupt darstellende politische Klasse, Enthüllungen über den jahrzehntelangen Verkauf der Deutschen und Juden und nicht zuletzt unterschwellige Furcht schürende Warnungen vor einer neuen Armutswanderung im grenzenlosen europäischen Arbeitsmarkt bestimmen das Rumänienbild in der öffentlichen Wahrnehmung. Dagegen lenkt Dieter Auners neuer Film „Abseits aller Pfade“ unseren Blick auf die Menschen in Rumänien; er erzählt von ihren alltäglichen Sorgen und ungezwungenen Freuden und von ihrer Suche nach einem Weg ins Europa des 21. Jahrhunderts.
Melancholie, ja Trauer kennzeichneten die Stimmung in Dieter Auners Erstling, „Siebenbürger Abschied“ (2006), in dem er – emotional gebunden – seine Tante und seinen Onkel begleitete, die ihren Heimatort Arbegen im Zuge des großen Exodus der frühen 1990er Jahre verließen. In seinem neuen Film nimmt uns der in Mediasch aufgewachsene Filmemacher mit in die Ostkarpaten, in das Dorf Ruștior, und entwirft ein sensibles Portrait des jungen rumänischen Schafhirten Albin Creța und seiner Familie. Dem Stil von „Direct cinema“ verpflichtet, hat Auner sich seinen Protagonisten vorsichtig genähert und viel Zeit darauf verwendet, sich mit ihrem Umfeld und ihrem Leben vertraut zu machen. Mehr als 20 Wochen hat er bei den Schäfern verbracht und ihr Zutrauen gewonnen – wen wundert es da, wenn sie es ihm gestatten, sie auch in ganz intimen Momenten der Freude und der Trauer zu beobachten, sie dabei zu filmen – und die Sequenzen dann auch zu zeigen.

Eine langgezogene, wehmütige Melodie aus einer Hirtenflöte klingt auf, ehe der schwarze Hintergrund des Vorspanns den Blick auf einen Hohlweg freigibt, durch den eine Schafherde getrieben wird. Und schnell wird klar, dass Dieter Auner nicht der Versuchung erlegen ist, ein nostalgisches Bild eines über Jahrhunderte tradierten Schäferlebens in Rumänien zu entwerfen. Wie der Titel seines neuen Films verspricht, führt er uns nicht nur geographisch „Abseits aller Pfade“; er bedient keines der mit dem „spațiul mioritic“, dem Heidschnucken-Raum, verbundenen Klischees von einer angeblich heilen Welt der Hirten im Gebirge.
Albin Creța, jüngster Spross eines alten ...
Albin Creța, jüngster Spross eines alten Schäfergeschlechts – angekommen im 21. Jahrhundert … Foto: Dieter Auner
Die Entstehung des Films geht auf das Jahr 2006 zurück, als Auner im ostsiebenbürgischen Bergland unterwegs war und erlebte, wie die Abwanderung der jungen Generation die Existenz der traditionellen Hirtengemeinschaften bedroht. In der Familie Creța fand er Menschen, die einen Mittelweg gehen wollen. Während er sie durch das Jahr begleitet, erleben wir den Aufbruch des rumänischen Bergdorfes ins 21. Jahrhundert hautnah. Auch wenn die Jahreszeiten und die traditionelle Schafwirtschaft den Alltag gliedern, macht sich doch die Moderne auf den Weg zu den Hirten – oder die Hirten auf den Weg in die Moderne. Während die Männer die Schafe melken und scheren wie eh und je, denken sie über den Kauf von Autos nach und die Frauen fahren mit dem Linienbus nach Deutschland, um sich ein Zubrot zu verdienen. Rührend, wie die Männer Abschied nehmen, bewegend, wie sie ihren heimgekehrten Frauen lauschen, wenn diese von ihren Erlebnissen berichten. Den englischen Filmtitel „Off the Beaten Track“ – direkt übersetzt heißt das „Abseits ausgetretener Pfade“ – scheint Auner programmatisch gewählt zu haben, denn auch seine Regie geht unkonventionelle Wege. Er versteht sich selbst als Geschichtenerzähler, dem es wichtiger ist, Fragen zu stellen, als die Antworten vorwegzunehmen. Der Film kommt ohne eigenen Kommentar aus, das Mikrofon läuft mit der Kamera mit und fängt Gesprächsfetzen ein, wenn sich die Protagonisten ungezwungen unterhalten. Mehr als durch Worte spricht der Film durch seine Bilder. Albin Creța, der jüngste Spross der Schäferfamilie, steht für eine junge Generation, die sich vor die Entscheidung zwischen Tradition und Aufbruch, zwischen Bleiben oder Gehen gestellt sieht. So selbstverständlich wie der junge Mann sich auf die Führerscheinprüfung vorbereitet, mäht er im Gleichschritt mit seinem Vater das Gras oder rebbelt mit Mutter und Großmutter die Maiskolben. Wohl kaum ein Bild zeichnet diese Welt, abseits der ausgetretenen Pfade unserer Klischees, besser als jenes, das ihn mit dem „cojoc“, dem Schäferpelz, über den Schultern und dem Handy in der Hand zeigt, sein frohes, offenes Lächeln im Gesicht. Vielleicht liegt die eigentliche Botschaft des Films in diesem jungenhaften Lächeln: Seht her, wie schön das Leben ist, scheint er uns zuzurufen. Albin gehört auch die letzte Szene des Films: Er hat ein paar Kartoffelchips aus einer Dose entnommen, die die Mutter frisch aus Deutschland mitgebracht hat, und schließt die Dose mit einem kräftigen Druck, so als wolle er durch diese stumme Geste ausdrücken: Ich bleibe. „Wir träumen oft von Erfüllung, Glück etc., aber vergessen genauso oft zu tun, wovon wir träumen“, sagt Auner und hofft dabei, dass seine Zuschauer ebenfalls versuchen, die ausgetretenen Pfade ihres Lebens zu überdenken. Bleibt uns nur zu wünschen, dass Auners Film auch auf ein großes und interessiertes Publikum trifft.

Hansotto Drotloff


Der Film „Abseits aller Pfade – Off the Beaten Track“, Regie Dieter Auner, Irland, 2010, Länge 87 Minuten, ist als DVD für 17,99 Euro im Onlinehandel zu beziehen.

Schlagwörter: DVD, Film, Karpaten

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