30. August 2014

Männliche Staubwölkchen

Besprechung des Romans „Kriegerdenkmal. 1914 – Hundert Jahre später“ von Franz Heinz, Anthea Verlag, Berlin 2014, 180 Seiten, ISBN 978-3-943583-29-8, 19,90 Euro
Wieviel Welt passt in einen Roman? Nichts einfacher als das: Ganz passt sie hinein. Dazu braucht man nur Sprache, denn diese hat mit der Welt gemein, dass sie keine Grenzen kennt: „Der Rapid riss den Wagen in eine steile Krümmung, pfiff aufgeregt und stürmte gereizt in eine weißgraue Einöde …, überließ sich geradezu schicksalhaft der Weite, die bis hinter den Ural reicht, wo sich, zwischen Kalmücken und Samojeden, der Ostwind aufrafft, Staub und Eis im Rachen und die Ausdauer mongolischer Reiter in der Flanke.“

So klingt die Ouvertüre zu einer Reise durch das südöstliche Europa, deren Ziel mit der Einsicht erreicht ist, dass kein Name und kein Etikett, wie die Geschichte sie den Dingen aufdrückt, Bestand hat vor derselben. Auf dem Umschlag des Romans von Franz Heinz ist eine gezahnt beschnittene Fotografie zweier Soldaten des Ersten Weltkriegs zu sehen, aber sowohl Titel als auch Titelbild erschließen nur eine Hintertür zu diesem Buch, das weder Krieg noch Krieger noch Denkmal darstellt, sondern jene einst kaiserlichen und königlichen Landschaften, die in jenem Krieg zu sterblichem, vielfach tödlichem Ruhm gekommen sind und seither aussichts-, aber auch endlos mit dem Tod ringen.

Ein aus dem Banat stammender Westeuropäer und zwei Salzburgerinnen erkunden von Temeswar aus über Bukarest und die Moldau schließlich die Bukowina mit Czernowitz, die Reise dieses Phil geht sogar über das Romanende hinaus nach Lemberg weiter, und eine zwischengeschaltete Episode lässt ihn das sibirische Omsk mit seinen deutschen Einsprengseln und Überbleibseln erfahren. Wo immer sie aber hinkommen, was immer sie zu sehen oder erzählt bekommen: Nichts ist klar und eindeutig, nichts ist national, stilistisch, kulturell, konfessionell genau zu bestimmen, gewiss sind nur die Mischungen, ganz ungewiss jedoch die Mischungsverhältnisse. Zu entdecken gibt es für die Abendländler „einen von altem Kummer und unverbrauchter Lebenskraft gekennzeichneten Landstrich“.

Betty und Phil sind auf den Spuren kriegsversehrter Schicksale, die eine hat eine österreichische Offiziersfrau gekannt, die sich nach dem Kriegstod ihres Mannes in Czernowitz mit einer Ersatzliebe am Leben gerächt hat, in der Biographie des anderen werfen der Tod seines Großvaters, des Banater Bäckers und k. u. k. Honvéds Franz Potichen, als Kriegsgefangener bei Omsk und das Nachleben seiner Witwe Katharina Fragen über Fragen auf, deren Rätseln er in diesen „Landstrichen“ nachspürt. Marlen aber wird Phils Partnerin auf Zeit – zwecks Beförderung menschlicher Erkenntnis und Menschenkenntnis, die wiederum einen anderen Blick auf den Titel des Romans eröffnet. Davon später.

An der Oberfläche ist der Roman ein Bilderbuch in Textform. Diese historisch kundige und atmosphärisch dichte, poetisch resonante und bedächtig räsonnierende Schilderung in sich versunkener und weiter versinkender Welten spannt einen weitläufigen Bogen von der banatschwäbischen Dorfwelt in das einst glänzende, sozialistisch versehrte Bukarest und das nahezu gespenstische moldauische Bakau, streift in der Bukowina Radautz, die jahrhundertlang umkämpfte Zitadelle Chotin am Dnjestr und verweilt in Czernowitz. Davon erzählt der rabbinerhafte Alfred Roth, der im ehemals als „Habsburg“ firmierenden Czernowitzer Kaffeehaus zeitunglesend mit fatalistischer Gelassenheit dem Ende entgegenlebt, woraus ihm eine besondere Deutungshoheit erwächst: „Der Messias würde, wenn er einst käme, sich für Czernowitz nicht die Zeit nehmen, glaubte Herr Roth zu wissen. Dieses Wissen zehrt aus und macht zugleich geschmeidig.“

Das ist es aber nicht, worauf es Franz Heinz ankommt. Er sinnt zwar mit seinen Gestalten einer „Romantik von Halbbeziehungen“ nach, in die diese Gegend verstrickt ist. Doch sind das alles nur Stationen der Ratlosigkeit vor der großen Frage: Warum nur? „Alles dahin – die Aschkenasim ausgelöscht, die Habsburger untergegangen, die Träume enger gefasst.“ Wie war es möglich, dass Jahrhunderte in hundert Jahren zunichte wurden?

Bestand hat nur das Unstete, Veränderliche, Ungewisse, „die Rumänen weideten ihre Herden mit so großer Gelassenheit, als hätte der liebe Gott als erstes das Schaf erschaffen. Sie dienten in allen Heeren, gelegentlich sogar im eigenen, und blieben doch immer Hirten auf der Suche nach Weideplätzen und Legenden, und auch ein wenig nach sich selbst.“ Und auf just dieser Suche nach sich selbst findet die drei Protagonisten, findet ihr Erfinder Franz Heinz auch scheinbar beiläufig eine Antwort, die zurück auf den Titel verweist und die Welt als dürftiges Manneswerk aus vernunftferner Pflichtversessenheit sanft ironisiert: „Männer sind immer in der Pflicht. Sie sind ihr ausgeliefert wie der Prostata und lassen, wenn sie ruft, auch das zurück(,) was sie nicht besitzen. Wie ein Western-Held im Sattel, der ohne zurück zu blicken in die Weite hinaus reitet, weil er anders angeblich nicht könne, die Ranch im Rücken und eine wunderbare Frau, die das tapfer und verständnislos hinnimmt. Sie blickt noch eine Weile dem männlichen Staubwölkchen nach und kümmert sich dann um die Hühner.“

Das Westernklischee erklärt nicht nur den Osten – wo man derzeit oft meint, da kümmere sich gar niemand mehr um die Hühner. So lächerlich traurig wird Weltgeschichte gemacht, und Franz Heinz macht daraus ein herrlich bunt patiniertes und illusionsfreies Buch.

Georg Aescht

Kriegerdenkmal -1914 - Hundert
Franz Heinz
Kriegerdenkmal -1914 - Hundert Jahre später

Anthea-Verlag Berlin
Taschenbuch
EUR 14,90
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Schlagwörter: Rezension, Roman

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