8. September 2014

Aufbruch ins Ungewisse: Beginn der Evakuierung

Am 1. September 1939 entfesselte Hitler-Deutschland den Zweiten Weltkrieg. Nach zahlreichen Eroberungen bis Ende 1942 folgte nach der Niederlage von Stalingrad (Januar/Februar 1943) der verlustreiche Rückzug der Deutschen. Im Sommer 1944 ereignete sich ein Zweites Stalingrad, diesmal an der Donau: Rumänien, im Sommer 1944 arg bedrängt von der siegreichen Roten Armee, tritt am 23. August 1944 aus dem Bündnis mit Hitler aus und kehrt die Waffen gegen Deutschland.
Für Siebenbürgen war nun die Gefahr groß, von der Roten Armee überrollt zu werden. Was in Südsiebenbürgen nicht mehr möglich war, schaffte die Wehrmacht in Zusammenarbeit mit der Gebietsführung (Robert Gassner, Pfr. Dr. Carl Molitoris) in Nordsiebenbürgen: die Evakuierung der deutschen Bevölkerung (rund 35 000 Menschen) mit Trecks, Lastkraftwägen und Eisenbahnzügen aus 34 Orten des Nösnerlandes (Bistritzer Gegend), elf des Reener Ländchens und aus sieben Orten im Kokelgebiet (Draas, Felldorf, Katzendorf, Maniersch, Rode, Zendersch, Zuckmantel). Nach mehrwöchiger aufreibender Fahrt wurden die Flüchtlinge Ende Oktober/Anfang November im Reichsgebiet (vorwiegend in Österreich und im Sudetenland) untergebracht. Beim Herannahen der Sowjets flohen etliche Gemeinden nach Westen, die Masse blieb nach dem Krieg in der amerikanischen Besatzungszone Österreichs, etwa 6 000 wurden von den Sowjets nach Siebenbürgen in Marsch gesetzt. Nach schwierigem Beginn auch im Westen (besonders in Österreich, wo unsere Landsleute eine kritische Phase der Ablehnung und der rechtlichen Unsicherheit erfuhren) fanden die Evakuierten im Laufe der Jahrzehnte ihren Platz als geachtete Bürger ihrer neuen Heimat.

Hier und in weiteren Folgen der Siebenbürgischen Zeitung sollen einige Schlaglichter zur Evakuierung von 1944 und deren Folgen aus Zeitzeugenberichten veröffentlicht werden.

Horst Göbbel

Über den Beginn der Evakuierung schreibt Pfarrer Adolf Wagner aus Wallendorf Ende des Jahres 1944:

„Samstag, den 16. September 1944, spät abends, erhielten wir den Befehl zum Aufbruch. Ich war zum Führer der Kolonne bestimmt, die aus den Gemeinden Jaad, Wallendorf, Kleinbistritz, Pintak, Windau und Kuschma bestand. Als Treffpunkt und Zeit bestimmte ich im Einvernehmen mit der Führung Sonntag, den 17. September, 6 Uhr abends, Mettersdorf. In der Nacht wurden die Gemeinden durch Boten verständigt.

Das erste Tagesziel war nahe, von Wallendorf, meiner Gemeinde, nur 12 km entfernt. Der Grund dafür war: Alle Gemeinden sollten die gemeinsame Fahrt mit ausgeruhten Pferden antreten, und wir sollten Zeit und Gelegenheit haben, Mängel, die sich hauptsächlich am Anfang der Fahrt schon zeigen würden, zu beheben. Schon am Ende von Wallendorf musste ein Wagen umgeladen, mussten Räder umgewechselt werden. Es war möglich, weil einer dem anderen hilfsbereit beistand.

Sonntag um neun Uhr kamen die Gemeindeglieder im Gotteshaus zusammen. Die letzten Anweisungen für die Fahrt wurden gegeben. Wir sangen das Lied „Befiehl du deine Wege“, und ich sprach ein kurzes Gebet. Nach dem Gottesdienst wurden die Kerzen aufgeteilt, die sich im Laufe der Jahre angesammelt hatten. Wir gingen auseinander.

Am Nachmittag verspätete sich unser Aufbruch. Wir warteten noch auf Pferde. 17.45 Uhr ließ ich – wie sonst zum Gottesdienst – läuten. Beim Zusammenläuten der drei Glocken fuhr ich mit meiner Frau und der Magd aus dem Hof. Die anderen Wagen schlossen sich an. 103 Pferdewagen und 13 Kuhwagen verließen die Gemeinde, 526 Personen. Frauen mit kleinen Kindern, Kranke und Alte fuhren mit dem Zug. Fünf Männer blieben in der Gemeinde, um Frucht und Vieh der Wehrmacht zu übergeben. Sie sind später nachgekommen. Außer den Andersvölkischen sind nur ein alter Mann, eine alte Frau, beide ohne Familie, sowie eine Familie von vier Köpfen zurückgeblieben. Manche sind nicht aus Furcht vor dem Feind geflüchtet, sie wollten sich aus der Gemeinschaft nicht lösen.“

Schlagwörter: Flucht und Evakuierung, Nordsiebenbürgen

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