27. September 2014

Siebenbürgische Musik im Mittelpunkt

Karl Teutsch, einer der besten Kenner der siebenbürgischen Musikgeschichte und Musikpflege, feierte am 9. September 2014 seinen 80. Geburtstag. Seine unzähligen Artikeln und musikwissenschaftlichen Arbeiten, die u.a. auch in der Siebenbürgischen Zeitung fast regelmäßig zu lesen sind, zeugen nicht nur von ausgezeichneten Kenntnissen der siebenbürgischen Musikszene in der alten und neuen Heimat, sondern auch von einem einfühlsamen Verständnis für das, was wir an die nächste Generation weitergeben könnten und sollten.
Er war viele Jahre – ab 1984 – im Leitungsgremium des Arbeitskreises Musik Südost (heute Gesellschaft für deutsche Musikkultur im südöstlichen Europa e.V.), veröffentlichte bis dahin unbekannte Werke siebenbürgischer Komponisten und beteiligt sich bis heute an der Erforschung, Präsentation und Pflege der Musikkultur der Spätaussiedler aus dem Südosten Europas.

Ein Sohn Schäßburgs

„Aus einer alten siebenbürgisch-sächsischen, in der Kleinstadt Schäßburg beheimateten Familie stammend, bin ich am 9. September 1934 in dieser Stadt geboren, einer Stadt, in der man an jeder Ecke der Vergangenheit, Geschichte und Tradition begegnet. Hier stößt man auch auf ein ausgeprägtes Interesse an Musik und Gesang und auf ein starkes Bedürfnis nach musikalischer Betätigung. Diese zwei Aspekte haben mich von Anfang an geprägt und mich bewogen, einerseits Musikunterricht zu nehmen, andererseits mich mit der Vergangenheit zu befassen. Als Schüler und danach als Student, begann ich – insgeheim – auch über Musik und Musikgeschichte zu schreiben.“
Karl Teutsch, 2004 ...
Karl Teutsch, 2004
Aus diesen autobiographischen Worten von Karl Teutsch ist fast eine Liebeserklärung an seine Geburtsstadt zu vernehmen. Auf seinem weiteren Weg zum Musikstudium wurde er in Schäßburg besonders durch folgende Persönlichkeiten begleitet und beeinflusst: Selma Orendi, Ernst Weißkircher, Dr. Robert Jacobi und vor allem Ernst Irtel. Nach seinem Klausenburger Musikstudium und einer kurzen Tätigkeit am dortigen Musikgymnasium ließ er sich mit seiner Frau 1962 in Bukarest nieder, wo er sowohl im Filmsymphonieorchester (1962-1968), dem Studiosymphonieorchester beim Bukarester Rundfunk (1968-1970) als auch in Musikschulen tätig war. Gleichzeitig gestaltete er 1970-1974 einige Musiksendungen für die Sendung in deutscher Sprache beim Bukarester Rundfunk.

In seiner Bukarester Wohnung versammelte er seit 1968 einen Kreis von Musikern, dem siebenbürgisch-sächsische, Banater, rumänische und magyarische Interpreten und Musiklehrer angehörten. Aus diesem Musizierkreis, der sich zunächst nur der Hausmusik widmete und in Privatkonzerten auftrat, ging in offizieller und institutioneller Form das „Ensemble für Alte Musik beim Rumänischen Rundfunk und Fernsehen“ hervor und trat unter der Leitung des Dirigenten Lajos Bács (Ludovic Baci) auf. Zwischen 1966-1974 war Teutsch freier Mitarbeiter der Zeitung Neuer Weg, in der er Konzertbesprechungen, Rezensionen, Artikel über Komponisten und andere musikalische Themen veröffentlichte. Nach seiner Aussiedlung 1975 in die Bundesrepublik konnte er seinen Beruf als Musikpädagoge in Stuttgart, Ludwigsburg, Tübingen und zuletzt in Leonberg weiter ausüben.

Neuer Anfang in Deutschland

Hier, in seiner neuen Heimat, stellte Karl Teutsch fest, dass sich die Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben in Deutschland in der Öffentlichkeit fast nur von der volkstümlichen Seite präsentierten mit Blasmusik, Trachtenkapellen, volkstümlichem Chorgesang und Volkstanz. Dagegen war natürlich nichts einzuwenden, und es war gut, das zu fördern. Doch es stellte nur die eine Seite musikalischer Betätigung dar. Es galt, auch die kunstmusikalischen Traditionen hier neu zu wecken, zu pflegen, weiterzuführen und zum Bestandteil kultureller Bemühungen werden zu lassen. Weder die Landsleute und das siebenbürgische Publikum, noch einheimische Musikinteressierte, ja nicht einmal die aus Siebenbürgen stammenden Musiker waren mit den siebenbürgischen Musiktraditionen vertraut. Sie kannten siebenbürgische Musikschöpfungen und die herausragenden siebenbürgischen Komponisten sehr oft nicht einmal dem Namen nach. Diese Situation war damals bei allen deutschen Spätaussiedlern aus Rumänien vorzufinden: im kommunistischen Rumänien waren Forschungen zur eigenen Minderheitenkultur nur bedingt möglich. Ganze Sparten der eigenen Kultur und Identität, wie z.B. die Kirchenmusik, waren einer strengen Zensur unterlegt. Aus dieser für ihn so überraschenden wie bedrückenden Erkenntnis und Enttäuschung heraus begann er eine publizistische Tätigkeit, hielt Vorträge, veranstaltete Konzerte, bemühte sich um Notenveröffentlichungen, gründete einschlägige Vereinigungen, regte die hier lebenden siebenbürgischen (und einheimischen) Musiker an, siebenbürgische und südosteuropadeutsche Musik zu spielen und in die Öffentlichkeit zu tragen. Erste Darbietungen mit Musik siebenbürgischer Komponisten organisierte er seit 1977 anlässlich von Jubiläen, Gedenkfeiern und Tagungen, darunter im Rahmen der Jahrestagungen des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde, unter dessen Dach Karl Teutsch 1981 die Sektion „Musik“ ins Leben rief. Einer Anregung und Bitte des früheren Bibliothekleiters im Siebenbürgischen Dokumentationszentrum auf Schloss Horneck in Gundelsheim a.N., Balduin Herter, folgend, begann er 1977 mit der Einrichtung eines Siebenbürgischen Musikarchivs als Abteilung der Siebenbürgischen Bibliothek. Die Musiksammlung umfasst inzwischen über 3000 Titel an musikalischen Transylvanica: gedruckte und handschriftliche Musikalien, Bücher, Schriften und Aufsätze über siebenbürgische Musik, Selbstzeugnisse und Briefe, Lehrbücher, Lieder- und Chorbücher, Presseartikel, Konzertprogramme, Fotos und Tonträger.

Deutsche Musik aus der Fremde

1984 bereitete Karl Teutsch die Konstituierung des „Arbeitskreises für südostdeutsche Musik“ vor, zu dessen erstem Vorsitzenden er gewählt wurde. Wichtige Persönlichkeiten aus Siebenbürgen und dem Banat gehörten damals dazu: Peter Szaunig, Andreas Porfetye, Helmut Plattner, Anneliese Barthmes, Walter Michael Klepper, Horst Gehann, Jakob Konschitzky, Wolf von Aichelburg, Wolfgang Meschendörfer, Erwin Lessl, u.v.a. Der Arbeitskreis hat sich im Dezember 1997 mit der Bezeichnung „Gesellschaft für Deutsche Musikkultur im Südöstlichen Europa“ (GDMSE) neu konstituiert. Auf den von seiner damaligen Lebensgefährtin Antje Neumann und ihm initiierten und gestalteten „Sing- und Musizierwochen“ – zuerst abgehalten in Altenberg, später und bis heute in der Tagungsstätte Löwenstein bei Heilbronn – sorgte er dafür, dass möglichst viel und oft Instrumental- und Vokalmusik deutscher Autoren aus dem Südosten einstudiert und dargeboten wurde. In dieser Form finden die Musikwochen alljährlich in den Osterferien immer noch statt. Auch hier wieder wirken Dozenten und Kursteilnehmer als Multiplikatoren. Manche seiner Initiativen versandeten allerdings, weil es an finanziellen Mitteln fehlte.

Ein Ziel seiner publizistischen, musikhistorischen und organisatorischen Tätigkeit war und ist es, die Musikgeschichte, die musikalischen Entwicklungen, Leistungen, Traditionen und schöpferischen Hinterlassenschaften der Siebenbürger Sachsen und anderer Südostdeutschen zu dokumentieren, bekanntzumachen, für nachfolgende Zeiten zu bewahren und zugänglich zu machen. In unzähligen Büchern und Sammelbänden erschienen seine musikhistorischen Arbeiten zur siebenbürgischen Musikgeschichte. Darunter seien besonders drei hervorzuheben: Die große Allgemeine Enzyklopädie der Musik. Die Musik in Geschichte und Gegenwart (MGG), das Lexikon der Siebenbürger Sachsen (1993) und die dreibändige Ausgabe Beiträge zur Musikgeschichte der Siebenbürger Sachsen (1999-2002). Die Zeitungen und Zeitschriften, für die Teutsch seit 1977 schreibt, sind u.a. die in München erscheinende Siebenbürgische Zeitung, die Organe des AKSL und des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte im südöstlichen Europa (Südostdeutschen Kulturwerks) sowie Regionalzeitungen und Zeitschriften.

Für das praktische Musizieren hat Karl Teutsch eine Anzahl von Sammelpublikationen herausgebracht: Motetten siebenbürgischer Komponisten (1987), Chormusik zeitgenössischer Komponisten aus dem Banat, der Batschka, Russland und Siebenbürgen (1990), zwei Bände Lieder siebenbürgischer Komponisten für eine Singstimme und Klavier (1993) und Kompositionen von Heinrich Neugeboren, Wilhelm Berger, Helmut Sadler und Dieter Acker. In diese Bemühungen reiht sich auch das 1983 herausgegebene Siebenbürgische Chorbuch.

Alle diese Aktivitäten und das berufliche Wirken als Lehrer haben ihn voll ausgefüllt, oft zur Überbürdung geführt und auf vieles verzichten lassen. Er konnte sich deshalb nur wenige freie Wochenenden und Ferien gönnen.

„Ich bin kein Musikwissenschaftler“

Es wäre mühsam, die über 1000 (!) Artikel und Aufsätze aufzuzählen, die in Deutschland und Rumänien von Karl Teutsch erschienen sind. Diese würden nicht nur mehrere Bände füllen, sondern auch einen ausgewogenen Einblick in die Vielfalt der Musikkulturen deutscher Minderheiten Südosteuropas gewähren. Den immensen Um­fang seines musikwissenschaftlichen Schaffens hätte kein Musikinstitut vollbringen können. Und all dies vollbrachte er in seiner ihm typischen Bescheidenheit: seinen eigenen Aussagen nach sei er eigentlich gar kein Musikwissenschaftler. Als Musikwissenschaftler kann man nur beschämt sein Haupt vor solchen Taten neigen …

Seine Arbeiten und Veröffentlichungen haben in Deutschland die Sichtweise auf das Musikschaffen der Siebenbürger Sachsen nicht nur in der Öffentlichkeit verändert. Obzwar die äußerst vielfältige und reichhaltige Musikkultur der Spätaussiedler aus Rumänien in Deutschland schon längst angekommen ist, wird sie nur mit Müh und Not gefördert. Von ihrer systematischen Erforschung kann mangels institutioneller Förderung keine Rede sein. Ganze Sammlungen und Archive mit wertvollen Handschriften und Musikwerken aus Siebenbürgen oder dem Banat gammeln vor sich hin, Projekte und Förderungen werden nur mit Müh und Not genehmigt.

Anscheinend hat unsere deutsche Politik die Musikkultur der deutschen Spätaussiedler schon längst vergessen. Umso wichtiger sind deshalb die musikhistorischen Arbeiten von Karl Teutsch: entstanden aus der Feder eines Menschen, der selbst ein Teil dieser Historiographie ist, ehrlich und unverblümt, sachlich und kompetent, wissenschaftlich brisant und – typisch für unsere südosteuropäischen multikulturellen Räume – völkerverbindend. Genau so wie die Musik der Siebenbürger Sachsen durch Franz Xaver Dressler geschildert wurde: „Die deutsche Musik in Siebenbürgen möge für die Bundesrepublik Deutschland nicht länger eine Kunst der Fremde, sondern die Kunst der deutschen Heimat in der Fremde bedeuten.“

Dr. Franz Metz

Schlagwörter: Musik, Jubilar, Teutsch

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