10. Oktober 2014

Dagmar Dusil mit Literaturförderpreis der GEDOK ausgezeichnet

Am 19. September 2014 verlieh die GEDOK (Verband der Gemeinschaften der Künstlerinnen und Kunstförderer e. V.) im Spiegelsaal des Heidelberger Palais Prinz Carl ihre Literaturpreise. Den mit 5000 Euro dotierten Ida Dehmel Literaturpreis 2014 erhielt die Schriftstellerin und Journalistin Karla Schneider, den mit 3000 Euro dotierten GEDOK Literaturförderpreis 2014 die Autorin und Übersetzerin Dagmar Dusil. Die Laudatio auf die gebürtige Hermannstädterin von Prof. h. c. Dr. Peter Motzan drucken wir in einer gekürzten Fassung.
Ein wenig buchhalterische Pedanterie schadet, so meine ich, nie – erst recht nicht im Zusammenhang mit der diesjährigen, überregional kaum bekannten Trägerin des GEDOK Literaturförderpreises, deren Biografie kein Lexikon dokumentiert, die in der Freien Enzyklopädie Wikipedia nicht vorgestellt wird und die auch keine eigene Homepage ins Netz gestellt hat. Dagmar Dusil wurde 1948 als Tochter eines traumverlorenen tschechischen Orchestermusikers und einer bodenständigen transsilvanischen Teutonin in Hermannstadt geboren, ebenso wie ihr Laudator, der sie seit über 50 Jahren kennt – wir besuchten in den frühen 1960er Jahren dasselbe Gymnasium. Aus meiner fremd klingenden Aussprache haben Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, sicherlich herausgehört, dass ich weder ein Wessi noch ein Ossi bin, sondern wie Dagmar Dusil zu den „Deutscher der dritten Art“ (Dieter Schlesak) gehöre.

Dagmar Dusil. Foto: Any Maurer ...
Dagmar Dusil. Foto: Any Maurer
Nach dem Abitur studierte die gertenschlanke und hellblonde Dagy Anglistik und Germanistik in Klausenburg, wirkte danach als Englischlehrerin in mehreren siebenbürgischen Ortschaften und in ihrer Geburtsstadt. 1985 übersiedelte sie mit ihrer Familie in die Bundesrepublik. Hier war sie als Übersetzerin für Englisch und Spanisch sowie in der Organisation von internationalen Messen in mehreren Unternehmen tätig. Sie lebt heute als freie Autorin und Nachdichterin aus dem Rumänischen und Englischen in Bamberg.

Der Auszug aus einer überschaubaren Sphäre klar umrissener Freund- und Gegnerschaften in eine Realität der Waren und des Geldes verlief nicht ohne Orientierungsschwierigkeiten, Anpassungsnöte und Wahrnehmungsirritationen, und der neue zeitintensive Brotberuf drosselte schöpferische Energien. Doch hielt vor allem eine schier unüberwindliche Schüchternheit Dagmar Dusil, die schon als Schülerin Gedichte schrieb, davon ab, an die Öffentlichkeit einer medial gesteuerten Gesellschaft zu treten, und sie lebte jahrzehntelang ihre Kreativität für die Schublade aus. Ich darf sie daher als junge Autorin ansprechen, da ihre vier Bücher erst im Zeitraum 2004-2012 in einem Bamberger Verlag erschienen sind. Sie zeugen allesamt von einer eigenen Handschrift und sind autobiografisch zentriert.

Die beiden ersten sind noch von Selbstzweifeln markiert und kombinieren daher autofiktionale Aussagen mit Diskursregeln von Sachbüchern. Blick zurück durchs Küchenfenster (2004) verknüpft nahtlos Gebrauchs-, Unterhaltungs- und Informationswert. Es handelt sich um ein Buch voller Kochrezepte aus einer Mehrvölkerlandschaft, die geschickt in eine Erfahrungsgeschichte eingebaut werden. Diese erzählt – vorwiegend aus der Sicht eines neugierigen und aufgeweckten Kindes – nicht nur von den Essgewohnheiten und Küchenritualen einer ethnisch ‚gemischten‘ kleinbürgerlichen Großfamilie sowie der ihrer Nachbarn und Freunde, sie bietet auch erhellende Einblicke in die Lebensformen und Verhaltensweisen einer nationalen Minderheit in einem kommunistischen Staat, in dem man sich schlecht und recht einzurichten versuchte, dessen Ideologie jedoch kaum in die abgeschirmten Privatzonen eindrang. Das Buch wurde ins Rumänische übersetzt, in geradezu hymnischen Rezensionen in führenden Bukarester Kulturjournalen kommentiert und ist im September 2014 in zehnter Auflage im Leipziger BuchVerlag für die Frau erschienen.

Kulinarisches Heim- und Fernweh (2006), ein nachgereichtes Ergänzungskapitel zu Blick zurück durchs Küchenfenster, erzählt von den vielen Reisen, die Dagmar Dusil mit ihrem Mann nach dem Abschied aus einem eingekerkerten Land unternommen hat, Reisen, angetrieben von einem unstillbaren Nachholbedarf, die kreuz und quer durch Europa, nach Übersee und nach Südostasien führten. Diesmal breitet die Autorin aus vieler Damen und Herren Länder mitgebrachte Kochrezepte aus, doch auch hier bildet der Rahmentext – die Begegnung mit dem Anderen und Unbekannten – den Haupttext.

In ihrem dritten Buch Hermannstädter Miniaturen (2012) leistet sich die nunmehr weitgereiste Dagmar Dusil eine Rückkehr in ihren Geburtsort. Schwermütige Heiterkeit und heitere Schwermut finden in den poetischen Evokationen einer Stadt zusammen, die in einer leider vorauskalkulierbaren Zukunft nur noch in Museen, in Büchern, Dokumentensammlungen und nicht zuletzt in der Architektur von ihren Gründern und Erbauern und deren kulturellen Hochleistungen in einer jahrhundertelangen Historie Aufschluss zu geben vermag. 1930 lebten im Königreich Rumänien noch 740 000 Deutsche, heute im EU-Staat Rumänien sind’s nur noch 37 000.

Die Miniaturen umgreifen Ober- und Unterstadt, Wehrtürme und mittelalterliche Befestigungen, Straßen und Tore, Treppen und Parkanlagen, sie sind angereichert durch Exkurse in die Geschichte, sie konfrontieren die in der Kindheit und Jugend erlebte Stadt mit dem Bild, das sich der Heimkehrerin auf Zeit darbietet. Dabei lodert kein Zorn über die vielen Verlusterfahrungen auf, eine verhaltene Nostalgie, der eine Melodie des Nevermore entströmt, grundiert die Texte, die im Rückblick einen Topos der Geborgenheit im unwiederholbaren Einst entbergen.

Doch fanden im unsichtbaren Reisegepäck Dagmar Dusils auch ganz andere Erinnerungen an ihre eigene Kindheit Platz, Erinnerungen, die sie in ihrem Band Wie die Jahre verletzen (2012), der 18 Prosatexte enthält, aufruft und künstlerisch durchformt. Dessen Titel erinnert an einen oft zitierten Satz aus Herta Müllers großer und früher Erzählung Niederungen (1982), die eine verstümmelte Kindheit in einem stockkonservativen banatschwäbischen Dorf beschreibt: „Und wo man etwas berührt, wird man verwundet.“ Dagmar Dusil bringt dabei ihrem Personenensemble ein ungleich größeres Maß an Barmherzigkeit und Verständnis entgegen, und sie durchleuchtet ein anderes soziales Segment: das Kleinbürgertum einer siebenbürgischen Stadt in dürftiger Zeit, als die allein regierende Rumänische Arbeiterpartei – unter sowjetischem Patronat – eine radikale Umstrukturierung der Gesellschaft mit Brachialgewalt durchsetzte. Sie illustriert anschaulich an Einzelfällen die Deportation großer Teile der deutschen Bevölkerung im Januar 1945 zur Aufbauarbeit in die von Wehrmachtsverbänden und SS-Truppen verwüstete Sowjetunion, sie erzählt von Grenz- und Krisensituationen, von Enteignungen, Marginalisierungen und Ausgrenzungen, von allgegenwärtigen Bedrohungen. Der real existierende stalinistische Terror – die frühen 1950er Jahre – und seine Auswirkungen werden auf beklemmende und berührende Weise geschildert: eine verkehrte Welt, aus der Normalität und Sicherheit ausgeschlossen sind. Das um sich greifende diffuse Gefühl der Angst vergegenwärtigt sie in einem metaphernreichen Diskurs von sinnlicher Intensität.

Doch wird auch punktuell auf das zählebige nationalsozialistische Gedankengut hingewiesen, das gleichermaßen in Köpfen Daheimgebliebener und Ausgewanderter spukt. Die Ankunft in der idealisierten Bundesrepublik Deutschland ist von Trennungen und Beziehungsproblemen begleitet, Familien der Ausgereisten zerbröckeln unter dem Stress neuer Lebensverhältnisse und für die ‚Einheimischen‘ bleiben sie merkwürdige ‚Zugereiste‘, obwohl die meisten in unterschiedlichen Berufen Fuß fassten. Damit entwickelt Dagmar Dusil illusionslose Gegenbilder zu den in regionalen Verbandsmedien erzählten Geschichten einer reibungslosen Integration.

Ich gratuliere Dagmar Dusil, die derzeit an ihrem ersten Roman bosselt, zu dem GEDOK Literaturförderpreis 2014 und ich danke u. a. dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend für die finanzielle Energiezufuhr. Lapidar und witzig konstatierte der rumäniendeutsche Lyriker Rolf Bossert in einem seiner frühen Gedichte, dem Zweizeiler pardon, in Umkehrung des berühmten Hölderlin-Verses „Was bleibet aber, stiften die Dichter“: „wenn wer was stiftet, bleiben wir dichter“.

Dr. Peter Motzan

Schlagwörter: Dagmar Dusil, Literaturpreis

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