15. November 2014

Im Schatten der Kirchenburgen

Michaela Stadelmann hatte im Januar 2014 das Preisausschreiben „Im Schatten der Kirchenburgen“ initiiert und legte kürzlich die Anthologie unter dem gleichen Titel im Erlanger „Der Wunderwaldverlag“ auf, in dem sie sozusagen die reifsten Früchte des Preisausschreibens zwischen den Buchdeckeln versammelte. Der Herausgeberin ging es auch darum, die Aufmerksamkeit der Leser auf die siebenbürgischen Kirchenburgen und Wehrkirchen zu lenken, aber vor allem „auszuloten, was die Phantasie in einer Zeit, in der scheinbar alles erzählt ist, hergibt“. (Seite 3) Und die Phantasie von zehn Autoren gab einiges her. Der Titel des Preisausschreibens und der Anthologie suggeriert als Metapher Geheimnisvolles, Gefahr, versunkene Zeit und die Autoren gehen dem erzählend und darstellend in historischen Episoden nach, wobei das Mittelalter dominiert. Die zehn Autoren treten als Geschichtsträger auf und verraten mit ihrer Erzählung, in welchem Maße sie es auch sind.
Der Band führt uns nach Siebenbürgen, Thüringen, Franken, Hessen, Sachsen und Baden. Die Handlungen der Erzählungen entfalten sich im Kern- oder Halbschatten, jedoch die zweier Erzählungen nur außerhalb des Kirchenburgschattens. An den Anfang gestellt ist die preisgekrönte Erzählung „Zurückgedrehte Zeit“ von Dagmar Dusil, der es gelingt, mehrere Zeitebenen zu verbinden. Sie lässt einen gebürtigen Siebenbürger mit Sohn und dessen Freundin in die alte Heimat reisen und diesen dann seinen Schicksalsweg beschreiben.

Nach dem siebenbürgischen Mittelalter und der Neuzeit folgen wir Bele Freudenberg nach Thüringen in den historischen Kernschatten der Kirchenburg Belrieth. Hier belagern Raubritter die Burg, in der Gruppen der eingeschlossenen Bevölkerung im Konflikt liegen, der bis zum Schluss die Spannung aufrecht hält. Aus Thüringen führt uns die Anthologie nach Franken. Zunächst folgt die Erzählung „Wie David und Jonathan“ von Kathrin Pohl, die zwei Anleihen (eine aus der Bibel und die zweite aus einem Erinnerungsband) geschickt in ihre Handlung einwebt. Auch die vierte Erzählung, „Hexengold“, von Sabine Kohlert spielt in Franken, im Kernschatten der Kirchenburg Effeltrich. Die Erzählung „Zwischen Narrentor und Wehrkirche“ von Sigrid Gross führt uns nach Hessen. Die Autorin lässt ihren Haupthelden eine Treppe hinabstürzen. Während er im Koma liegt, wird er ins Mittelalter katapultiert und agiert in verschiedenen Rollen. Von Hessen geht es ins Sachsenland. Bernd Daschek beweist mit seiner Erzählung „Die Zinne des Taugenichts“ einmal mehr, dass Sachsen die lustvoll-fröhlichere Baracke der deutschen Lande ist. Dascheks Hauptheld ist ein drittgeborener Bauernsohn, dessen Zukunftsaussichten zunächst sehr trübe sind. Aber Anna, die bauernschlaue, liebende Bauerstochter und alleinige Erbin eines Bauernhofs, führt ihn „in Sünde“ auf den richtigen Weg, auf ihren Hof. Annas Kettendeutung von Sünde hat einen besonderen Charme.

Die Anthologie macht nun einen größeren Sprung nach Osten, von den echten Sachsen zu den „falschen“, den „Saxones“, die nichts dafür können, in der fernen Geschichte als Sachsen bezeichnet worden zu sein. Und da tut sich mit Corina Schattauers „Die Mauern von Arkeden“ tatsächlich Science Fiction auf, die Phantasie spielt mit der Geschichte Zukunft. Die Anthologie verweilt mit der Erzählung „Versteckte Spuren“ von Anne Junesch bei den Siebenbürger Sachsen. Hier fällt bloß ein leichter Schatten der Stadtmauer Hermannstadts in die Erzählung.

Wir verlassen Siebenbürgen zunächst und machen einen großen Schwenk in das damalige Grenzgebiet Stuttgarts und Württembergs, aus dem Inga Kess den Stoff für ihre Erzählung „Die Zuflucht“ schöpft. Sie führt den Leser in eine konfliktgeladene Zeit, in der Pest und Judenhass herrschen und die herumziehenden Geißler Angst, Verfolgung und Tod bringen. Die Anthologie führt uns schließlich mit Andrea Fürstenbergs Erzählung „Mutige Agnes“ noch einmal nach Siebenbürgen, in die Kirchenburg Mediasch. Da ein Türkenüberfall Konflikt und Spannung bestimmt und man die erzählte Zeit nicht genauer bestimmen kann, kann man im Sinne von C. G. Jung behaupten, dass uns die Erzählung ein archetypisches siebenbürgisches Geschehen des Mittelalters näherbringt.

Hannes Elischer


Michaela Stadelmann (Hrsg.): „Im Schatten der Kirchenburgen.“ Der Wunderwaldverlag, Erlangen, 2014, 104 Seiten, 6,95 Euro, ISBN 978-3-940582-68-3.

Schlagwörter: Kirchenburgen, Erzählungen, Buchvorstellung, Anthologie

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