23. Januar 2015

Europäische Impressionen in Siebenbürgen und Rom

Vom 15. November bis zum 8. Dezember 2006 kam der Schriftsteller Hans Bergel auf einer Vortrags- und Lesereise nach Klausenburg, Hermannstadt, Kronstadt, Bukarest und Rom. Dabei entstanden Notizen von Klausenburgs St.-Georg-Reiterstandbild bis zu Roms berühmtem Palatin-Hügel – Geschautes und Gedachtes über Begegnungen, Orte- und Landschaften, zu Geschichte und Gegenwart, Politik, Kultur und Kunst. Der Berliner Noack & Block-Verlag machte daraus ein schmales, dafür umso lesenswerteres und schönes Buch: „Europäische Impressionen.“
2013 hatte der Verlag Bergels ebenfalls 2006 niedergeschriebene „Reisenotizen aus Israel“ unter dem Titel „Von Palmen, Wüsten und Basaren“ herausgebracht. Wie diese enthalten nun auch die „Europäischen Impressionen“ – Untertitel: „Reisebeobachtungen zwischen Klausenburg und Rom“ – Feststellungen, Betrachtungen, Erkenntnisse eines weit herumgekommenen, belesenen Meisters der beschreibenden und analytischen Prosa, auch sie mit Farbfotos bereichert. Den ersten Buch-Teil überschrieb der Autor mit „Siebenbürgische Reflexionen. Von Straßen, Städten und Heiducken“, den zweiten mit „Römische Momente. Von Pinien, Fresken und Palazzi“. Die Vielfalt der Situationen, Eindrücke und Einblicke wird dem Leser in knappen, präzisen Sätzen mitgeteilt. Ungewohnte Sichtweisen, überraschende Blickwinkel, Geistesblitze machen die Lektüre zum Genuss und zwingen zum Weiterlesen.

So z.B. wenn vom mitternächtlichen Gang um die Schwarze Kirche, von der Stunde Bach̕scher Orgelmusik in Hermannstadts Stadtpfarrkirche oder von der morgendlichen Meditation vor der Reiterstatue in Klausenburg die Rede ist. Nicht anders wenn von den Pkw-Überquerungen der Südkarpaten, von der Partisanenlegende Gavrilă-Ogoranu oder von der Versammlung hunderter Offiziere bei der „11th International Conference“ der Militärakademie Hermannstadts (Land Forces Academy) berichtet wird, die Bergel zu zwei Vorträgen eingeladen hatte. Die Definition der historischen Überlebensformel der Deutschen in Siebenbürgen liest sich um nichts weniger spannend wie der Absatz über die Wiederbegegnung mit dem ehemaligen Szekler Spitzensportler und Securitate-Offizier. Usw. All dies ist in genauen, immer wieder schlagartigen Erhellungen zu Papier gebracht und, nicht zuletzt, spannend mitgeteilt, mit Einblicken in Geist und Wesen deutscher Geschichte in Siebenbürgen, wie sie in dieser gedanklichen Weite und Tiefe nicht alltäglich sind.

Da ist z.B. die Frage der Emigration der Deutschen aus Siebenbürgen: „Es ist ein europäischer Exodus. Sie überließen dem Land, aus dem sie gingen, Zeugnisse mediävaler Natur, wie sie hier nirgendwo wieder zu finden sind. Die Geschichte ließ ihnen keine Wahl.“ (47) Oder: „Prinz Charles, der nahebei Grund und Boden erwarb: erkannte er das seiner angelsächsischen Art Verwandte in den zu transsilvanischen Saxones gewordenen ‚hospites‘? Émile Cioran wies auf die Wesensverwandtschaft hin. Vor ihm hatte es der Brite Boner 1865 ausführlich getan.“ (64) Oder: „Kronstadt und Hermannstadt formten das abendländische Segment meines europäischen Bewusstseins mit einer Klarheit, die der mancher Westeuropäer überlegen ist, weil ich sie von Kind an im Vergleich mit östlichen Völkern gewann.“ (58) Oder: „Im Siebenbürger liegt mehr Europäisches als im Deutschen, Franzosen oder Italiener. Er wuchs in einem Vielvölkerraum auf und erlernte den vernünftigen Umgang mit dem Anderen lange vor den großen Völkern Europas. Rund ein halbes Jahrhundert vor dem Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges, in dem sich die Menschen Zentraleuropas aus Glaubensgründen umbrachten, schlossen die Siebenbürger quer durch Nationen und Konfessionen einen Religionsfrieden. Ich nenne das: Vernunft. Die anderen Europäer waren noch lange nicht so weit.“ (60) Oder: „Die Tragödie Rumäniens ist nur vordergründig der Schutt aus vierzig Jahren Marxismus. Es ist die nachrevolutionäre Zäsur: die Erfahrung des nicht steuerbaren Missbrauchs der Demokratie.“ (19) Usw. Die Beispiele sind willkürlich herausgegriffen, ihr ganzes Aussagespektrum erschließt sich erst im Zusammenhang.

Gleiches gilt für die Rom-Notizen im zweiten Buch-Teil. Bergel war Gast der Università della Tuscia Viterbo, er kennt die Stadt von mehrfachen Aufenthalten her. Was er über das Colosseum schreibt („Wunderwelt architektonischer Ebenmaße”), die Sixtinische Kapelle („Die Kraft der Decken- und Wandgemälde stürzt gleich Sturmstößen auf den Betrachter nieder“) oder den Weihnachtsmarkt auf der riesigen Piazza Navona, nachdem er den spektakulären Trubel geschildert hat („All dies von schmerzhaft gellendem Licht und Lärm überdeckt“), ist jedes Mal anschaulich und zugleich intellektuell in der Substanz verständlich gemacht. Es zeigt einen Kenner der Ewigen Stadt: der Plätze, Basiliken, Obelisken, Brunnen und Paläste. Seine Formulierungen sind Kostbarkeiten gedanklicher Erfassung und sprachlicher Gestaltung. Als Beispiel für viele lese man die Passage über Roms Pinien auf Seite 102.

Wie sind in ein und demselben Buch Siebenbürgen und Rom vereinbar? Bergel erwähnt zuerst nebenbei (57) Siebenbürgens römische Vergangenheit 106-270 n.Chr. Nachdrücklich kommt er dann auf diese zurück (108-111) und stellt Abbildungen (110) deutscher Kunstwerke Siebenbürgens solchen der italienischen Renaissance gegenüber. Dazu schreibt er: „Hatte das Kultur- und Kunsteuropa des Mittelalters, der Renaissance nicht eine dezidiertere Einheit gebildet als das Europa späterer Epochen? Der Ausdruck des Leids im Gesicht der Pietà, die Ulrich von Kronstadt schuf, ist der Ausdruck des Leids im Gesicht der gleichzeitig entstandenen Pietà Michelangelos. Nicht vom Genie, das sich im Werk äußert, ist die Rede! Sondern von der Selbstverständlichkeit der europäischen Übereinkunft im Erschauen der Welt, im Bewusstsein der Conditio humana.“ U.Ä.m. Das ist ebenso kühn wie einleuchtend, frappierend wie zwingend. Und auch dies muss im Zusammenhang gelesen werden: Bergel stellt wie kein anderer Siebenbürgen ins europäische Gesamtbild. Er bewegt sich damit in bester Gesellschaft: Hatte nicht der herausragende Wilhelm Pinder (1878-1947) über den Hl. Georg der Brüder von Clusenberch (14. Jh.) geschrieben, er sei ein Kunstwerk, das „die Deutschen insgesamt zu ihren großen Schöpfungen rechnen“ dürfen?

Diese Ausführungen zu den „Europäischen Impressionen“ sind skizzenhaft und unvollständig. Hingewiesen sei aber noch auf die Anmerkungen zu den Diskussionen mit dem Publikum nach Bergels Lesungen in Klausenburg (51), Hermannstadt (59-61), Bukarest (33), Rom (104-106) und, in der Retrospektive, in Jerusalem (121): Es sind Einblicke in die Ideen- und Bildungswelt eines Schriftstellers, der sich Geist und Kultur Europas – und nicht nur – zu eigen machte. Die schöne Aufmachung des Buches, das edle Papier, die klaren Drucklettern erhöhen die Kurzweil der Lektüre. Es stellt sich die Frage: Warum gab der Verlag die ebenfalls 2006 verfassten Reisenotizen aus Israel nicht in einem gemeinsamen Band mit diesen „Impressionen“ heraus? Wer die „Europäischen Impressionen“ lesen will, ist gut beraten, die israelischen Reisenotizen zusätzlich zu lesen. Sie ergänzen sich gegenseitig und beschreiben mit ihrer Informations- und Ideenfülle einen weitgespannten Kulturhorizont. Dass der im Jahr 2006 81-jährige Bergel sie auf seinen Fahrten zwischen Klausenburg, Rom und Jerusalem niederschrieb, macht die erstaunliche Vitalität und den geistigen Elan dieses Schriftstellers deutlich.

Karl-Joachim Umbacher



Hans Bergel: Europäische Impressionen. Reisebeobachtungen zwischen Klausenburg und Rom. Edition Noack & Block, Berlin, 2014. 128 Seiten, Harteinband, 20 Farbbilder, 14,80 Euro, ISBN 978-3-86813-022-5

Hans Bergel: Von Palmen, Wüsten und Basaren. Reisenotizen aus Israel. Edition Noack & Block, Berlin, 2013. 86 Seiten, Harteinband, 21 Farbbilder, 14,80 Euro, ISBN 978-3-868-13-019-5
Von Palmen, Wüsten und Basaren
Hans Bergel
Von Palmen, Wüsten und Basaren: Reisenotizen aus Israel

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Schlagwörter: Rezension, Bergel, Reisen

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