30. Juli 2015

Evakuierung 1944-1945: Wie entgeht man der Zwangsarbeit?

Den Deutschen drohte nach der Rückkehr aus Österreich u.a. auch Zwangsarbeit. Viele Sachsen suchten Zuflucht bei Rumänen in Dörfern im Somesch- oder im Borgotal. Der Jaader Michael Engler, gerade 18 geworden, entging der Verfolgung durch die Polizei, indem er bei Freunden seiner Eltern aus der Vorkriegszeit Aufnahme fand. Er berichtet darüber im Jahr 1990.
Auf dem Weg zum Pavel Gălan wurde ich von verschiedenen Rumänen als „der Sohn vom Seidel“ gerne mit Lebensmittel versorgt und bei Pavel Gălan gut aufgenommen. Von diesem gelangte ich zu einem Namensvetter von ihm, und schon am ersten Abend sagte dieser zu mir: „Mikol, în patul ăsta dormi“ (Mikol, in diesem Bett schläfst du) und ich meinte, das sei meine Schlafstätte. Ich habe zwar gesehen, dass im gleichen Zimmer noch ein Bett war, aber für mich war es wichtig, dass ich ein Dach über dem Kopf hatte, dass es warm war, dass ich zu essen hatte ... Im Haus stank es förmlich nach Käse, überall, und bis man sich mit dem scharfen Geruch anfreundet ... Nun fragten sie mich über dies und jenes, ich war aber todmüde nach dem langen Marsch und den vielen Gedanken und Sorgen um die Eltern zu Hause, was sie letztlich auch merkten und mich ins Bett schickten. Ich war so zerschlagen, ich dachte, die Welt geht unter ... Kaum war ich eingeschlafen, da hörte ich jemanden laut sagen: „O venit Sinovica! O venit Sinovica!“ (Sinovica ist gekommen), das war die Tochter. Sie sei vom Ölpressen aus Bistritz gekommen. Sie erzählte, wie es war, und ich fragte mich, wo sie denn wohl schlafen würde, denn es gab eigentlich kein übriges Bett für sie. Nachdem sie sich um die Pferde gekümmert hatten, kamen sie herein und Sinovica sagte: „Herrgott, wo schlafe ich jetzt, der Mikol liegt ja in meinem Bett!“ „Na, wo wirst du denn schlafen“, sagte ihr Vater, „in deinem Bett neben dem Mikol!“ Mir blieb der Atem stocken und ich wurde ganz wach. Ich hatte ja eigentlich keine Angst, aber mir ging ständig der Gedanke durch den Kopf: wenn mein Vater her kommt und findet mich mit einer Rumänin im Bett, was fange ich dann an? Er meint sicher, ich sei übergeschnappt. Er liegt mit einer Rumänin im Bett! Also so was! ... Nun gut! Ich konnte ja nicht bestimmen und musste wohl oder übel gute Miene zum bösen Spiel machen. Beim Ausziehen von Sinovica – ich hatte ein Auge zu, mit einem blinzelte ich in ihre Richtung – merkte ich, wie die rumänischen Frauen ihre „Brâie“ anziehn, der gesamte Kittel ist im Bereich der Hüfte hochgewickelt und gebunden, am Abend wird er aufgebunden und aus dem Rock bis zu den Knöcheln wird ein ganz langes Schlafhemd, auf dessen Saum man beim Gehen tüchtig stolpern könnte. Sie legte sich neben mich ins Bett, ich habe trotz Müdigkeit die ganze Nacht kein Auge zugetan. Ich dachte, Herr Gott im Himmel, das ist ja bei uns in Jaad nicht vorgekommen. Sie erzählte und erklärte mir, dass dies in der Gebirgsgegend üblich sei, man den Burschen, der unter Umständen viele Kilometer zu seinem Liebchen am Abend kam, am späten Abend nicht in die kalte Nacht wegließ, wo unter Umständen ihm in der wilden Natur auch Gefahren zustoßen könnten ... Was das Essen dort anbelangt, so gab es in der Früh Polenta, mittags Polenta und abends Polenta. Gabeln habe ich keine gesehen, mit den Fingern tunkten wir die Polenta in die Eierspeise, aßen natürlich Polenta mit Käse und mit Milch ...

Textauswahl: Horst Göbbel

Schlagwörter: Evakuierung

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