20. September 2015

„DA-SEIN oder PERPETUUM“: Sieglinde Bottesch in Ingolstadt

Unter dem Titel „DA-SEIN“ zeigt die siebenbürgische Künstlerin Sieglinde Bottesch Installationen, Skulpturen und Zeichnungen aus den letzten fünf Jahren vom 27. September bis 18. Oktober im Exerzierhaus, Klenzepark 3, in Ingolstadt. Die Ausstellung findet im Rahmen der 21. Ingolstädter Künstlerinnentage unter dem Motto „Der Oktober ist eine Frau“ statt. Die Schau ist von Donnerstag bis Sonntag, 11.00-18.00 Uhr, geöffnet. Sieglinde Bottesch, die in Hermannstadt geboren und in Bukarest an der Hochschule für Bildende Kunst studiert hat, bietet am 3. und 11. Oktober, jeweils um 11.00 Uhr, Führungen durch ihre Ausstellung an. Dem Ausstellungskatalog entnehmen wir im Folgenden eine einfühlsame Einführung in Botteschs Werk, verfasst vom Kunstpädagogen Günther Koppel.
Das Sein in seinem immerwährenden Wandel – dieser Gedanke liegt dieser Ausstellung wie auch den meisten Arbeiten der Künstlerin Sieglinde Bottesch zugrunde. Mit ihren Werken markiert sie gleichsam Phasen primärer Schöpfung, Momente des Werdens und Vergehens, der Erneuerung und des Verfalls.

Auf der Basis genauester Naturbeobachtung kultiviert sie das Herausschälen und Begreifen von Prinzipien organischen Wachstums. Andererseits ist die Begegnung mit unterschiedlichen Materialien, denen sie nachspürt, Grundlage ihres künstlerischen Tuns. Ihrem Formungswillen folgend lotet sie die Möglichkeiten in Gips, Papier und Wachs aus, um deren eigenen Ausdruck zu erkunden und ihn in ihre Arbeit aufzunehmen. Technisch brillant ist die aufwendige Oberflächenbehandlung, die durch Glätten, Bemalen, Abschaben und Abschleifen, Ritzen und Polieren subtile, bisweilen irritierende Strukturen entstehen lässt. Die auf diese Weise geschaffenen Oberflächenkontraste erzeugen Spannung, wecken Aufmerksamkeit, Neugier und schließlich das Verlangen nach Berührung.

Dies alles ist keine Kunst des Zufalls, sondern von Anfang ein Schöpfungsakt. Sieglinde Bottesch liebt es, mit unserer Wahrnehmung zu spielen. Ohne rigides Festlegen auf eine bestimmte Sehweise pendelt unser Sinneseindruck zwischen den Assoziationen. So entsteht im Betrachter ein lustvolles „Das ist .... – oder doch nicht?“, ein Spiel ohne surrealen Anspruch, weit jenseits trivialer Diesseitigkeit.

Je größer unser Fundus an Seh-Erfahrungen in Bezug auf organische Formen, umso tiefer und vielschichtiger werden unsere Eindrücke sein, wenn wir ihren Arbeiten begegnen: Frühe Entwicklungsstufen im Bereich des uns evolutionär nahe stehenden Lebens verkörpert die Installation „Aufgehoben“. Wie große leere Boote hängen schwebende Hülsen von der Decke über dem Boden. Behältnisse der Geborgenheit? Wiegen, zur Aufnahme neuen Lebens? Leere Fruchthülsen? Kostbar wie Perlmutt schimmern sie im Inneren und erzeugen so eine diaphane Beziehung zwischen Objekt und Raum, der wie verwandelt in Erscheinung tritt.
Sieglinde Bottesch: Stier, 2015, Keraquick, ...
Sieglinde Bottesch: Stier, 2015, Keraquick, poliert, 162 x 80 x 345 cm. Foto: Hubert Klotzeck
Als wohl markanteste Arbeit zeigt der „Stier“ eine starke physische und psychische Wirkung, die von seiner materiellen Präsenz ausgeht. Als Inbegriff von Vitalität und Virilität steht er im Raum. Präsent und entrückt zugleich nehmen wir ihn wahr, und wer sich ihm nähert, erkennt die hochsensible Struktur seiner Oberfläche, die gleichsam Verletzbarkeit andeutet. Darunter spürt man die immense, pulsierende Kraft, die nach außen drängt, jedoch nicht zum Angriff bereit, sondern eher als Äußerung gebündelter Lebenskraft.

Kleiner in ihrer Ausdehnung aber nicht minder monumental in ihrer Wirkung zeigen sich weitere Werke. Ebenso sorgsam in der Behandlung der Oberflächen, verfremdet und befremdlich und doch gleichzeitig irgendwie vertraut in ihrer durch und durch organischen Beschaffenheit.

Da liegen etwa leere Hülsen aus Gipsbinden, farblich raffiniert gefasst, die aber formal stark genug sind, um sich selbstständig zu behaupten. Spuren eines früheren Seins treten in Erscheinung, die auf den Wandel des Lebendigen hinweisen.

Häufig tangiert der künstlerische Prozess ein archaisches Areal oder enthält Schöpfungsmythen einer östlichen Spiritualität. So gibt uns auch die Plastik „Quell“, ähnlich einem Füllhorn, kostbar schimmernd, Rätsel auf: Ein eingerolltes Blatt? Eine sprudelnde Quelle? Ein Sinnbild des Ursprungs? Die Künstlerin nimmt auch hier die Rolle der Schöpferin ein und gestaltet die scheinbar aus der Natur entnommene Gestalt bewusst reduziert. Form, die das Geheimnis der Ambivalenz in sich birgt.

Ein faszinierendes Spiel ist es, das diese Objekte so sinnlich vertraut, aber gleichzeitig irgendwie rätselhaft werden lässt. Dieses trifft auch auf die Werke zu, die die Opulenz gereifter Früchte verkörpern. Schlicht in ihrer Erscheinung – denn das Leben genügt sich selbst – sind sie Träger der Botschaft von der Feier der Natur, die ihre Erfüllung lebt.

Die Kraft der Reihung zeigt sich in der Installation „Verlangen“. Im Ausdrucksrepertoire von Sieglinde Bottesch spielen Gras und Häute eine wichtige Rolle. Die fiktiven Häute aus Papier und Wachs reduzieren die Information „Rind“ auf die Silhouette, zeigen die Tiere in mobiler Haltung, stehend in zwei Reihen gegenüber. Dazwischen wachsen auf Stelen Grasstücke auf kleinstem Raum; eine „Gedankenallee“, poetisch entrückt, in rhythmischer Leichtigkeit. Kündet sie von der Sehnsucht, zu finden, was verloren? Ist es das prosaische Verlangen, zu dem das Leben drängt? Oder ein Streben, letzte Ressourcen zu retten? Die Silhouette als Idee des Eigentlichen, ästhetisch ambitioniert, sinnlich und vieldeutig.

Sieglinde Bottesch thematisiert das Sein als Streben des Lebendigen in einem Zeitraum, in dem das Wachstum und die Hinfälligkeit, das Werden und Vergehen gleichzeitig und immerwährend stattfinden. So lassen „Körper-Früchte-Formen“ Spuren des Verfalls, der Welkheit und Verwitterung, das Wirken der Zeit sichtbar werden. Metamorphose, Alterung wird hier nicht als Abstieg thematisiert, sondern als Veränderung – die Zeit als Modulator und nicht als Vernichter. Wenn wir schließlich vor der Bodenarbeit „Gleichnis“, mit ausgelegten „Tierhäuten“, die zur Hälfte aus verdorrtem Gras, zur anderen Hälfte aus übereinander geschichtetem Pergament stehen, bleibt für uns die Frage offen, ob das verwelkte Gras sich zu neuem Leben aufrichten wird: „Denn alles Fleisch, es ist wie Gras ...“ (erster Petrus-Brief). Transformation? Vergleich? Sieglinde Bottesch überlässt uns auch hier das bewegende Spiel mit wechselnden Assoziationen.

Günther Koppel

Schlagwörter: Bottesch, Ausstellung, Ingolstadt

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