24. Oktober 2015

Die deutsche Minderheit in Bukarest

Vom 25. bis 27. September fand in der Bildungs- und Begegnungsstätte „Der Heiligenhof“ in Bad Kissingen ein Seminar zum Thema „Deutsche Minderheitenkultur in Bukarest“ statt. Über das Haus des Deutschen Ostens vom Bayerischen Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration gefördert, war es von der Akademie Mitteleuropa e.V. in Zusammenarbeit mit der Heimatortsgemeinschaft Bukarest und dem Demokratischen Forum der Deutschen in Bukarest organisiert worden.
Der Leiter des Hauses, Gustav Binder, konnte neben über 40 Teilnehmern namhafte Referenten aus Kirche, Politik und Medienwelt begrüßen. Aus Bukarest waren angereist Dr. Daniel Zikeli, Bischofsvikar und Dechant des Burzenländer Kirchenbezirks, Stadtpfarrer von Bukarest, die Unterstaatssekretärin im Departement für ethnische Beziehungen bei der rumänischen Regierung und Vorsitzende des Demokratischen Forums der Deutschen in Bukarest, Christiane Cosmatu, weiterhin Victor Chiriță, Nachrichtenredakteur des rumänischen Fernsehens TVR, Rohtraut Wittstock, Chefredakteurin der Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien (ADZ) in Bukarest, sowie Carmen Culceriu, Lehrerin an der Deutschen Schule Bukarest. Aus Deutschland kamen Robert C. Schwartz, Leiter der Rumänien-Redaktion der Deutschen Welle, Berlin, und Brigitte Drodtloff, Filmschaffende aus München.

Frau Drodtloff war es dann auch, die den ersten Abend des Seminars bestritt. Sie hat ihre Kindheit in Bukarest verbracht und immer noch eine starke emotionale Bindung an diese Stadt. In Deutschland hat sie mit dem „Bavaria“-Filmstudio als Drehbuchautorin zusammengearbeitet und produziert seit 2012 eigene Filme. Den mitgebrachten Kurzfilm „Omul“ (Mensch) mit symbolischer Handlung über die Weitergabe ideeller Werte hat sie mit dem hochbegabten Schauspieler Marcel Iureș in Bukarest gedreht. Trotz surrealer Handlung wirkt auf den Bukarester der Schauplatz vertraut. Der Film wurde vielfach prämiert und zuletzt eingeladen zum internationalen „Lady Filmmakers“-Festival vom 23. bis 25. Oktober in Los Angeles.

Am Samstagvormittag standen zunächst die innenpolitischen Ereignisse seit Rumäniens Eintritt in die EU am 1. Januar 2007 im Vordergrund. Die detailreiche Schilderung des Geschehens durch den Nachrichtenredakteur des rumänischen Fernsehens, Victor Chiriță, stellte vor allem die Begebenheiten des Jahres 2012 in den Mittelpunkt. Der damals unternommene und letztlich gescheiterte Versuch einer Amtsenthebung des Staatspräsidenten Băsescu sei im europäischen Ausland als Putschversuch bezeichnet worden. Wörtlich sagte er: „Nur dank des kategorischen Eingriffs der Europäischen Union (...) sowie der Vereinigten Staaten konnte die erst brüchige rumänische Demokratie gerettet werden.“

Robert C. Schwartz von der Deutschen Welle (DW), davor Direktor der Deutschen Schule Bukarest, profunder Kenner der Verhältnisse in Rumänien, berichtete von seinem ersten Interview mit Klaus Johannis nach dessen Wahl, das in fast alle der 30 Sendesprachen der DW übersetzt worden sei. Er habe, so Schwartz, Ernsthaftigkeit in die rumänische Politik gebracht. Andererseits werde ihm aber auch mangelnde Kommunikationsfähigkeit vorgehalten, in der europäischen Ostpolitik habe er eine mögliche Vermittlerrolle nicht wahrgenommen und seine Haltung in der Flüchtlingspolitik sei bei einigen europäischen Partnern nicht gut angekommen.
Teilnehmer des Seminars „Deutsche ...
Teilnehmer des Seminars „Deutsche Minderheitenkultur in Bukarest“ in Bad Kissingen. Foto: Gerhard Scharf
Christiane Cosmatu sprach im ersten Teil ihres Vortrags über ihre Tätigkeit im Unterrichtsministerium, ihre Bemühungen zur Förderung des deutschsprachlichen Unterrichts sowohl landesweit als auch in europäischer Kooperation. Im zweiten Teil berichtete sie über das Demokratische Forum der Deutschen in Bukarest, dessen vielfältige kulturelle und soziale Tätigkeiten und die zahlreichen Angebote im Kulturhaus „Friedrich Schiller“. Zwar gebe es seit 2013 einen ins Vereinsregister eingetragenen Jugendverband des Forums, der allerdings noch ausbaufähig sei.

Die zwei Namen der letzten noch verbliebenen deutschen Tageszeitung in Südosteuropa, nämlich Neuer Weg vor 1989 und Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien (ADZ) danach, spiegelten die durch die Zäsur der Revolution zweigeteilte Nachkriegsgeschichte Rumäniens. Durch die Geschichte dieser Zeitung führte der anschauliche, reich bebilderte Vortrag der Chefredakteurin Rohtraut Wittstock. In der Zwangsjacke erdrückender Zensur sei es dem Neuen Weg nicht möglich gewesen, echte Information zu bieten. Für die ADZ hingegen sei ein anderes Problem aufgetreten: Durch die Auswanderung vieler Deutscher nach 1990 sei die Auflage auf 3.000 Exemplare gesunken. Die finanzielle Existenz sei zur Zeit durch die Unterstützung des Forums gewährleistet. Es sei das gemeinsame Interesse von Forum und Redaktion, dass die ADZ „nicht nur ein Vereinsblatt ist, sondern eine qualitätsvolle Tageszeitung.“ Ihr Ziel sei es, die deutsch Lesenden in den verschiedenen Teilen des Landes zu verbinden.

Beeindruckende Zahlen und Fakten über das Leben an der Deutschen Schule Bukarest, die jetzt den stolzen Namen „Goethe-Colleg“ trägt, konnte Carmen Colceriu, Deutschlehrerin ebendort, berichten. An der Schule (Grundschule und Lyzeum – 12 Klassen) seien 107 Lehrkräfte beschäftigt. Das deutsche Abitur, von Lehrern aus Deutschland abgenommen, werde in Deutschland anerkannt. Durch den guten Ruf der Schule sei der Andrang sehr hoch, so dass schon für die Aufnahme in den Kindergarten (zur Zeit 200 Kinder) ein Eignungstest vor einer unabhängigen Kommission (ebenfalls aus Deutschland) nötig sei. Schüleraustausch wie zuletzt mit Neu-Ulm müsse hauptsächlich von den Eltern finanziert werden. Zunehmend Sorge bereite allerdings die Abnahme deutscher Muttersprachler bzw. entsprechend sprachkompetenter Lehrkräfte.

Ein schönes Geschenk zum Tagesausklang hatte Jutta Tontsch mitgebracht. In jahrelanger Arbeit hat sie altes Filmmaterial, in dem schulische Ereignisse festgehalten sind, gesammelt und zu mehreren Kurzfilmen verarbeitet, die sie nun zeigte. Da gab es großes Erstaunen und Freude, wenn man ehemalige Schulkameraden oder einst geschätzte Lehrer auf der Leinwand erkannte. Dabei zeigte sich wieder einmal, in welch starkem Maße die Deutsche Schule in Bukarest ein einigendes Band für viele deutsche Bukarester war. Ein großzügiger Geburtstagsausschank ließ den Abend fröhlich ausklingen.

Der Sonntagmorgen begann mit einer Andacht, die Bischofsvikar und Stadtpfarrer Dr. Daniel Zikeli nach der Ordnung der Evangelischen Michaelsbruderschaft hielt. In Auslegung von Matthäus 15,21-28 sprach er über das Geschenk eines festen Glaubens. Seinen informativen PowerPoint-Vortrag „Aus dem Leben der evangelischen Kirchengemeinde Bukarest“ hatte Dr. Zikeli in drei Teile gegliedert: 1. Aus der Geschichte der Bukarester Gemeinde, 2. Gemeindeleben – heute und 3. Auf der Suche nach Zukunft. Daraus seien hier nur zwei Daten erwähnt: Bereits 1574 ist eine lutherische Holzkirche in Bukarest dokumentiert. Und als zweites: Die Gemeindegliederzahl am 30. Juni 2015 betrug 978, damit ist Bukarest die zweitgrößte Gemeinde der Landeskirche. Eine praktische und liturgische Frage stelle sich: Für die Zukunft werde eine „gründlich bedacht(e) und überlegt(e)“ Ausgewogenheit zwischen Beibehaltung der deutschen Sprache und teilweiser Hereinnahme des Rumänischen unumgänglich sein.

Abschließend kann man sagen, dass bei diesem Seminar die intellektuelle Aufarbeitung des Themas in einer fast familiären, von persönlichen Erinnerungen geprägten Atmosphäre geschah, die vielen Teilnehmern in angenehmer Erinnerung bleiben wird.

Bernddieter Schobel

Schlagwörter: Bukarest, deutsche Minderheit, deutsch-rumänische Beziehungen, Seminar, Bad Kissingen

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