30. November 2015

Exil-P.E.N.-Tagung in Berlin

Der Exil-P.E.N., Zentrum der Schriftsteller im Exil deutschsprachiger Länder e.V., tagte in diesem Jahr vom 13. bis 15. November in der Galerie Benakohell in Berlin. Im Mittelpunkt des Eröffnungsabends standen die Begrüßungsworte des Präsidenten, Professor Dr. Wolfgang Schlott, die Vorstellung des Tagungsortes in der Kunstgalerie der iranischen Künstlerin und Poetin Shalah Aghapour sowie Lesungen verschiedener Mitglieder.
Ursula Jetter, Herausgeberin der exempla – älteste Literaturzeitschrift in Baden-Württemberg –, las neue Gedichte; sie fand „alle Worte sind leer und Antworten lautlos“ („Im Krieg der Wortgefechte“). Boris Shapiro suchte den „Gott des Vergessens“ und fand, dass „wer nicht begehrt, der lebt verkehrt … und umgekehrt“. Kira Mantsu trug Gedichte aus dem Arumunischen in der Übersetzung von Horst Samson vor, Wolfgang David las aus seinem neuen Prosatext, während Shalah Aghapour auf Persisch und Deutsch Verse vortrug.

Bedrohten Journalisten zu helfen, in Freiheit zu schreiben, könnte auch als Motto für diese Tagung stehen. Das Treffen mit dem syrischen Journalisten und Autor Hammoud Hamoud am Sitz der „Reporter ohne Grenzen“ in Berlin beweist, wie wichtig es ist, über die eigenen Grenzen hinauszublicken, nationale Befindlichkeiten zu überwinden, da auch im Journalistischen und Literarischen die Internationalität sich nicht allein auf die Globalisierung bezieht, sondern ebenso auf den Zwang zum Exil und zur Asylsuche. Der etwa 30-jährige Journalist Hammoud Hamoud, Verfasser mehrerer Bücher zum Islamismus in Syrien, lebt in Deutschland im Asyl. Seine Schwester wird von Terroristen gefangen gehalten. Er blickt zwar zuversichtlich, aber unsicher in eine ungewisse Zukunft. Die Zahl der verfolgten Journalisten und Autoren weltweit steigt. Wie Wolfgang Schlott betonte, ist es auch eine Aufgabe des Exil-P.E.N. e.V., die „interkulturellen Probleme aufzuarbeiten“.
Horst Samson und Hans Bergel. Foto: Dr. Maxim ...
Horst Samson und Hans Bergel. Foto: Dr. Maxim Dubaev
Im Mittelpunkt des zweiten Lesetages stand Hans Bergel, vorgestellt von Horst Samson, der den Teilnehmern den Jubiläumsband der Literaturzeitschrift Matrix, die dem 90. Geburtstag Bergels gewidmet ist, empfohlen hat. Hans Bergel las seine Geschichte „Das Lächeln des Koros“ – eine reale Begegnung mit einem Russen, die zur Wendezeit spielt, aber auch eine zeitlose Begegnung zweier Kronstädter, der eine aus Kronstadt auf dem siebenbürgischen Längengrad, der andere aus dem auf einer Insel im Finnischen Meerbusen gelegenen Kronstadt. Der Tagungsbeitrag von Wolfgang Schlott widmete sich dem „Zufall“, der Kunst und dem Risiko des Zufalls, Beobachtungen und Theorien, aufgezählten Neurosen des in die Freiheit entlassenen Menschen, seiner Oikophobie (Angst vor dem Nachhausegehen) – eine wahrhafte Wortakrobatik, die aber im Melancholischen enden könnte. Nicht ins Melancholische, sondern in poetische Bilder einer freiheitlichen Lyrik von bezwingender Schönheit verführte uns Horst Samson mit seinen Gedichten zum Meer: „Das Meer“ widerspiegelt die Sehnsuchtsschwere, den Seelenort, den Rückzugsort, Erlebnisort, Gefahrenort (Zugang zum Meer) oder Erinnerungsort (an Ingeborg Bachmann, an Elisabeth Lüdde), Ort der Entbehrung. Samson findet am Meer zu seinem Gedicht, seiner Stille, seinem Seelengang. Die Gedichte von Hellmut Seiler, Generalsekretär des Exil-P.E.N seit 2014, kreisen vielfältig um gesellschaftliche Themen, die er originell und mit viel Sprachwitz kurzweilig subversiv behandelt. Seiler versteht es auf bewundernswerte Weise, in seinen Gedichten der Zeit den Spiegel vorzuhalten, sich sprachkritisch und bewusst seinen Themen vergnüglich, aber auch mit scharfer Zunge zu nähern und kreative Hochformen zu schaffen. Peter Finkelgruen las eine spannende Geschichte aus Shanghai, wo er als Kind geflüchteter deutscher Juden das Licht der Welt erblickte. Katharina Kilzer las aus ihrem neu herausgegebenen und übersetzten Novellenband „Die vier Jahreszeiten“ der rumänischen Autorin Ana Blandiana. Die anschließende Diskussion der Tagungsteilnehmer mit lebhaften Beiträgen von Hans Bergel, Horst Samson, Hellmut Seiler, Wolfgang Schlott, Boris Shapiro und Maxim Dubaev beschäftigte sich mit der Zensur in der Diktatur und der kommerzialisierten Zensur in der Demokratie. Schlott regte eine Neuschreibung der Literaturgeschichten der einstigen kommunistischen Länder an. Die „gesperrte Ablage“ einiger Autoren, die weitgehend unbeachtet blieben, sollte auch in die Literaturgeschichte dieser Länder einfließen (siehe Ines Geipel, Joachim Walther: „Gesperrte Ablage“. Unterdrückte Literaturgeschichte in Ostdeutschland 1945-1989, Düsseldorf, 2015).

Es folgte der Tagungsbericht des Vorsitzenden, neue Mitgliederanträge und ein Bericht von Hellmut Seiler zum Tagungsort Katzendorf in Siebenbürgen, der von Frieder Schuller als Ausweichort für Mitglieder zum Aufenthalt für kreative Schreibphasen angeboten wurde, sowie die Ankündigung einer neuen Anthologie, die 2016 im Pop-Verlag Ludwigsburg erscheinen soll und bei der Tagung 2016 in Röcken, dem Nietzsche-Ort, vorliegen wird.

Katharina Kilzer

Schlagwörter: Tagung, Exil-P.E.N., Berlin, Schriftsteller

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