30. Januar 2016

875 Jahre Siebenbürger Sachsen?

Vor 875 Jahren, am 16. Februar 1141, wurde Geisa II. (ungarisch Géza, kroatisch Gejza) in Stuhlweißenburg/Székesfehérvár zum König von Ungarn gekrönt. Der Elfjährige regierte danach 21 Jahre lang, bis zu seinem frühen Tod am 31. Mai 1162. Irgendwann in diesen 21 Jahren rief er Siedler aus dem Heiligen Römischen Reich in zwei wirtschafts- und verteidigungspolitisch wichtige Regionen: Zips (slowakisch: Spiš, ungarisch: Szepes) und Siebenbürgen (rumänisch: Ardeal oder Transilvania, ungarisch: Erdély). Damit begann die Geschichte der Zipser und der Siebenbürger Sachsen.
Diesen Beginn ihrer Ansiedlung feierten die Siebenbürger Sachsen vor 25 Jahren groß, in der Frankfurter Paulskirche, im Beisein von Altbundespräsident Professor Karl Carstens. In seiner dortigen Festrede stellte Professor Dr. Dr. Harald Zimmermann die rhetorische Frage: „Vielleicht feiern wir zur falschen Zeit?“

In der Tat ist es wenig wahrscheinlich, dass ein Kind auf dem Thron diese weitblickende, historisch bedeutsame und bis heute nachwirkende Aktion der Berufung, Ansiedlung und Privilegierung westlicher Siedler in seinem Königreich gestartet hat. Und auch sein Vormund, Ban Belos, der Bruder seiner serbischen Mutter, der damals die Regierungsgeschäfte führte, hatte sicher andere Sorgen, als politisch so schwerwiegende Entscheidungen zu treffen, die auch die Beziehungen zum römisch-deutschen Reich betrafen, um die es gar nicht gut bestellt war – bis 1146 brachen immer wieder kriegerische Auseinandersetzungen zwischen Ungarn und seinem westlichen Nachbarn aus. Aber dass in der Regierungszeit Geisas II. die Ansiedlung erfolgte, ist urkundlich belegt. Im Goldenen Freibrief der Siebenbürger Sachsen hielt König Andreas II. 1224 fest, dass die Privilegierten von seinem Großvater berufen wurden (vocati fuerant, a rege Geysa, avo nostro).
Hermann, der Sage nach ein Anführer der deutschen ...
Hermann, der Sage nach ein Anführer der deutschen Einwanderer in Siebenbürgen, bei der Gründung von Hermannstadt. Kreidezeichnung von Georg Bleibtreu, 1883. Original im Brukenthal-Museum, Hermannstadt. Fotografie aus der Sammlung Konrad Klein, Gauting
Man feiert also nicht falsch, wenn man den Regierungsantritt dieses Herrschers zum Anlass nimmt, an die Besiedlung Süd- und Nordwestsiebenbürgens um die Mitte des 12. Jahrhunderts zu erinnern, denn es ist der einzige Anhaltspunkt, für alle anderen Datierungsvorschläge fehlt die quellenmäßige Grundlage, auch wenn manche von den Wissenschaftlern artikulierten Annahmen plausibel erscheinen.

1147 könnte so ein Jahr gewesen sein, denn damals, im Juli, trafen sich Kaiser Konrad III. und der gerade volljährig gewordene und nun selbst regierende Geisa II. während des Durchzugs der Teilnehmer am Zweiten Kreuzzug (1147-1149) durch Ungarn. Nicht auszuschließen, dass damals auch über die Ansiedlung von Gästen im Königreich der Magyaren gesprochen wurde, nicht auszuschließen, dass einige Kreuzzügler daran zu denken begannen, in diesem Land, zu dem auch Siebenbürgen damals gehörte, eine Zukunft aufzubauen. Und ein Hezelo von Rucelenfelt und Merkstein bei Aachen hat tatsächlich 1148 seinen Besitz einem Kloster verkauft, weil er nach Ungarn übersiedelte. Sollte er der Gründer von Hetzeldorf sein? Wir haben keine urkundlichen Beweise dafür, aber dass Orte nach ihren Lokatoren benannt wurden, war in Siebenbürgen keine Seltenheit!

Danach waren die Beziehungen zwischen Ungarn und dem römisch-deutschen Reich so schlecht, auch die innenpolitischen Verhältnisse wegen des Machtkampfes zwischen Geisa II. und seinem Onkel Belos so instabil, dass eine Siedlungsaktion unvorstellbar ist. 1152 verbesserte sich die Lage nach der Königskrönung Friedrichs I. Barbarossa, der dann 1155 auch Kaiser wurde. Im Januar 1158 kam eine ungarische Delegation zum Reichstag in Regensburg, danach unterstützte Geisa den Kaiser während seines zweiten Italien-Feldzugs in der Lombardei, und vielleicht wurde im Gegenzug vereinbart, dass Wehrbauern aus dem römisch-deutschen Reich die ungarischen Grenzen in der Zips und in Siebenbürgen schützen dürfen. In den Jahren 1152-1158 jedenfalls könnte, meinen die Historiker, die Anwerbung und Ansiedlung der Siebenbürger Sachsen am ehesten stattgefunden haben.

Wie dem auch sei, die Gerufenen haben in Siebenbürgen was geleistet! Auf der auf Seite 1 abgebildeten Zeichnung von Georg Bleibtreu von 1883 sehen wir, wie man sich im 19. Jahrhundert die Ansiedlung der Siebenbürger Sachsen und die Gründung von Hermannstadt vorgestellt hat: Hermann, der legendäre Lokator (Anführer einer Siedlergruppe) der nach ihm benannten Stadt, hält eine Fahne mit der Inschrift Ad retinendam coronam hoch, vor ihm zeigt ein geistlicher Vertreter des Königs eine Privilegialurkunde, Hermann und noch ein Ritter stoßen zwei Schwerter in die Erde, die dann nach Broos und Draas getragen werden, den beiden äußersten Orten des künftigen Siedlungsgebiets. Die Urkunde erinnert an ein angenommenes „Geisanum“, in dem die Rechte und Pflichten der Neuankömmlinge festgehalten worden sein sollen – Andreas II. nimmt darauf im „Andreanum“ Bezug, doch ist die Urkunde leider nicht erhalten.
König Geisa II. als Jugendlicher. Illuminierte ...
König Geisa II. als Jugendlicher. Illuminierte Initiale in der Wiener Bilderchronik (Chronicon Pictum Vindoboniensis)
Freiheit (libertas) war das wichtigste Wort in dieser Urkunde (es kommt elf Mal in dem nur 21 Zeilen langen Urkundentext vor), Selbstverwaltung, Eigenkirchlichkeit, freie Wahlen der weltlichen und kirchlichen Würdenträger und eigene Gerichtsbarkeit weitere – alles Grundlagen der künftigen Entfaltung der Siebenbürger Sachsen. Unus sit populus, einig sei, das heißt eine Gemeinschaft bilde dieses Volk, stand wohl im „Geisanum“, steht nachweislich im „Andreanum“, und bildet einen Grundpfeiler dessen, was diese Gruppe auszeichnet: Gemeinschaftsgefühl und Gemeinschaftssinn.

Und ad retinendam coronam, zum Schutze der Krone, auch im Goldenen Freibrief des Königs Andreas dokumentiert, aber auch vom Initiator der Ansiedlung, Geisa II., eingefordert, ist mehr als nur das Versprechen, den König zu schützen. Es ist die Treue zum Staat, der hier durch die Krone repräsentiert wird, zum Staat, der die Gruppe schützt und bevorrechtet, zum Staat, den man im Gegenzug unterstützt, indem man sich aktiv mitgestaltend, zuweilen durchaus auch kritisch einbringt. Wenn heute ein Mitglied dieser Gruppe Staatspräsident Rumäniens ist, ein anderes im Deutschen Bundestag wirkt, dann sind das auch Zeichen dafür, dass Loyalität gelebt und durch Taten belegt wird. Die Siedler haben eine wehrhafte Demokratie Jahrhunderte lang gefestigt, die Waffen auf Bleibtreus Bild symbolisieren das. Gleichzeitig aber haben sie Strategien der gegenseitigen Toleranz und der friedlichen Koexistenz mit anderen Völkern, Religionen und Kulturen auf engem Raum entwickelt, die heute ebenso gefragt sind wie damals. Davon ist auf Bleibtreus Bild leider nichts zu sehen, auch die Kirchenburgen sind noch nicht eingezeichnet, wohl aber wird das blühende Städtewesen dadurch angedeutet, dass die Gründung von Hermannstadt zum Thema dieses Ansiedlungsbildes gewählt wurde. Wehrbauern und städtisch gekleidete Bürger umringen auch ihren Anführer auf Bleibtreus Bild.

All das gibt Anlass, das Jahr der Thronbesteigung Geisas II. zu feiern, jenes Königs, dessen Name für den Anfang der siebenbürgisch-sächsischen Geschichte und Kultur steht, die nun fast acht und drei Viertel Jahrhunderte gewährt haben, lebendig sind und weiterentwickelt werden. „Man soll die Feste feiern, wie sie fallen“, sagte Professor Zimmermann vor 25 Jahren – feiern wir also auch heuer diese nunmehr 875 Jahre!

Konrad Gündisch

Schlagwörter: Geschichte, Jubiläum, Siedler, Siedlung, Gündisch

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Neueste Kommentare

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